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Devisenläden Stasi war beim Intershop-Einkauf dabei

Er war der Traum aller DDR-Konsumenten - der Intershop. Vor 55 Jahren wurden die Devisenläden gegründet.

Von Steffen Honig 15.12.2017, 00:01

Magdeburg l Was ist schizophren?, fragte ein DDR-Witz. Antwort: Wenn ein Volkspolizist im Intershop über den Tresen springt und um politisches Asyl bittet. Die Intershops, die Inseln des „Goldenen Westens“ im DDR-Einerlei waren Anlass für Spott und Neid, aber vor allem Sehnsuchtsorte der westlichen Warenwelt.

Die politische Führung verfolgte mit dem Verkauf von Gütern aus dem Kapitalismus vor allem ein Ziel: Das in der Bevölkerung der DDR kursierende Westgeld und das der Besucher aus der Bundesrepublik abzugreifen und in den Staatshaushalt zu pumpen.

Das Geschäftsmodell hatte seine Risiken: Die D-Mark entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einer Zweitwährung und spaltete die Gesellschaft in Besitzer und Nichtbesitzer. Denn von 1974 an war der Westgeld-Besitz offiziell gestattet. Wer keines hatte, war in der Mangelgesellschaft der Dumme.

Die der Einfachheit „Shops“ genannten Devisenläden waren ein Politikum und wurden deshalb vom MfS überwacht. Wer kauft hier wie viel ein und woher hat er das Geld?, war dabei eine Hauptfrage, auch um Schwarzhändler zu entlarven.

Durch das von der Stasi gewobene Spinnennetz von Inoffiziellen Mitarbeitern (IM) waren die SED-Bezirksleitungen ständig darüber im Bilde, was die Bevölkerung zu den Intershops gerade bewegte.

Im Frühherbst 1978 braute sich in dieser Richtung etwas zusammen. In einer „Einschätzung über die Stimmung und Meinungen der Werktätigen zu aktuellen Problemen“ der Magdeburger Stasi-Bezirksverwaltung heißt es aus dem Schwermaschinenbaukombinat SKET: „Die Mitarbeiterin in der Hauptabteilung LT ... erzählte über die bevorstehende Sperrung der Intershopläden für DDR-Bürger. Sie war am Wochenende wiederholt in den Magdeburger Intershopläden und beobachtete viele ,Hamsterkäufe‘ sowie auch den Ausverkauf vieler Waren.“

Die hier geschilderten Massenkäufe mit Westgeld in einer DDR-Großstadt (!) waren durch Gerüchte ausgelöst worden, die wie so oft in der DDR die fehlenden Informationen durch die Medien ersetzten. Denn geplant war tatsächlich eine gravierende Änderung. Doch dazu später.

In dem Bericht jedenfalls heißt es an anderer Stelle in verquastem Stasi-Deutsch: „In der letzten Zeit gab es unter den Stammgästen der HOG ,Landhaus Süd-West‘ zur Frage Intershopläden verschiedentliche Diskussionen. Über das Westfernsehen bzw. Westrundfunk soll es Mitteilungen gegeben haben, wonach entweder diese Läden geschlossen werden sollen bzw. nur Personen aus dem kapitalistischen Ausland dort gegen Vorlage ihrer Pässe kaufen dürfen. DDR-Bürgern soll also künftig der Einkauf mit Währungen aus dem kapitalistischen Ausland nicht mehr gestattet sein.“

Ganz so passierte es nicht. Doch zum 16. April 1979 wurde der Einkauf für Westgeld umgestellt: DDR-Bürger durften im „Shop“ nur noch für Forumschecks einkaufen. Diese konnten die Bürger gegen D-Mark (Verhältnis 1 : 1) einwechseln. Der Staat wollte damit schneller in den Besitz der Devisen kommen und den Schwarzhandel mit der D-Mark eindämmen.

Außerdem wollte die SED-Führung den Intershops den Ausbau von Exquisit-Läden entgegensetzen, in denen hochwertige Ost- und Westwaren zu exorbitanten Preisen in Ostgeld gehandelt wurden.

Das kam beim Volk nun gar nicht gut an. Die Stasi fasst Meinungen aus der Abteilung Ökonomie des SKET: „Im Zusammenhang mit den Diskussionen über die Intershopläden nimmt die Diskussion über die Exquisitläden einen beachtlichen Umfang ein. Sie finden in der Zusammenfassung der Gespräche mit dem Argument der zur Zeit nicht vollen Warenabdeckung keine Zustimmung (...) In den Argumentationen kommt mit heraus, daß jene Kreise, die das Geld haben, ihr Leben noch angenehmer gestalten können; der einfache Werktätige aber seine Bedürfnisse nach Mode spürbar über den Kauf in diesen Läden ersparen muß.“

Beirren ließ sich die Staatsführung von diesen Stimmungsberichten ihres Sicherheitsorgans nicht. Es waren dringend Devisen nötig, da dem Staat die Pleite drohte. Die musste bei Strafe des Untergangs verhindert werden. Also wurden noch mehr Intershops eröffnet, bald hatte fast jede Stadt mindestens einen.

Die Rastanlagen an der DDR-Autobahn 11 (heute BAB 2) vom Berliner Ring bis Marienborn gehörten zu den ergiebigsten D-Mark-Quellen.

Im Bezirk Magdeburg gab es solche in Theeßen und westlich von Magdeburg. Der dortige Rasthof Börde erlebte Anfang der 1980er Jahre die größte Bauphase seit der Nazizeit.

Neben dem Parkplatz wurde ein neuer Intershop in Kaufhallengröße gesetzt, eröffnet am 28. 9. 1985, mit 112 Mitarbeitern Sollstärke. Modern ging es zu, an den computergestützten Kassenbereichen wurden die Preise mit einem optischen Laser erfasst – wie im Westen. Die Tageseinnahmen betrugen zwischen 30.000 und 100.000 DM, wie ein Stasi-Bericht ausweist. Nur außen war Osten. Das fiel bei einer Begehung durch Vertreter der SED-Leitungen des Bezirkes und des Kreises Wolmirstedt, der Volkspolizei-Bezirksbehörde, der Mitropa, der Forum GmbH, von Verkehrsbetrieben und der Staatssicherheit Anfang 1986 unangenehm auf. Die Kommission stellte fest, „dass dieses Objekt nicht den Anforderungen eines sozialistischen Betriebes, der ständig von NSW-Personen (NSW: Nichtsozialistisches Wirtschaftsgebiet d. Red.) frequentiert wird, entspricht“ und ordnete eine freundlichere Gestaltung an.

Das MfS beschäftigte am Rasthof noch schwerwiegenderes Ungemach: Manipulationen und Betrügereien von devisenhungrigen Tankwarten. Die „Einleitung schadensverhindernder Maßnahmen“ forderte ein entsprechender Bericht. Die Staatssicherheit griff dabei zu einem bewährten Mittel, um das unsozialistische Treiben zu beenden: Sie durchsetzte Tankstellen-Personal mit etlichen Zusatz-IMs.