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Feuchter Sommer Die Pilze sprießen schon

Es ist Pilzzeit. Für Pilzberater Volker Lerch (54) aus Sachsendorf im Salzlandkreis bedeutet das: Er hat alle Hände voll zu tun.

Von Thomas Linßner 03.09.2017, 03:00

Sachsendorf l Volker Lerch wohnt idyllisch im Elbe-Saale-Winkel. Hier stoßen die schwarzerdenen Elbauen auf eiszeitliche Sandlandschaften. Was aus Perspektive des Pilzsammlers heißt: Champignon trifft auf Marone.

Lerch wohnt mittendrin. Ein paar Pilze für das Foto finden? Kein Problem. Nach ein paar Schritten hinter dem Haus dreht er eine Handvoll Wiesen-Champignons aus dem Gras, deren Echtheit der Nasentest ergibt: Sie duften nach Anis. Ihre gefährlichen Verwandten, die Karbol-Egerlinge, machen ihrem Namen Ehre. Sie riechen unangenehm nach Karbol.

„Die Bedingungen waren besonders Anfang August optimal“, erklärt Volker Lerch das beinahe explosionsartige Wachstum der Pilze. Dabei spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. So hatten die Sporen durch die lange Trockenheit im vergangenen Winter optimale Möglichkeiten zur Verbreitung gehabt. Als dann die warmen Sommerregengüsse auf den gut durchgewärmten Waldboden trafen, wirkte dies wie eine Initialzündung. Die Pilze seien förmlich zwischen den Nadeln und Gräsern hervor geschossen. Das letzte Drittel des Augustes sei dann aber wieder zu trocken gewesen und das Pilzwachstum ließ nach. „Der vorausgesagte Regen des kommenden Wochenendes kann das Blatt aber komplett wenden und es geht wieder los“, so der Fachmann. Zudem sei der Herbst erfahrungsgemäß die richtige Pilzzeit.

Volker Lerch hat mit dem Salzlandkreis einen Beratervertrag. „Wir helfen nicht nur den Sammlern, die giftigen und ungenießbaren auszusortieren“, hebt er die Augenbrauen, „wir gucken uns auch Auslagen in den Supermärkten an.“ Denn dort komme es zuweilen vor, dass Champignon, Pfifferling & Co. überlagert sind. Lerch rümpft die Nase, wenn er davon erzählt. „Frische Speisepilze sind leicht verderbliche Lebensmittel und unterliegen wegen ihres hohen Wassergehaltes einem schnellen und kontinuierlichen Alterungsprozess.“ Oft würden sich unter der Verpackungsfolie die ersten Tropfen von Kondenswasser bilden: „Idealen Bedingungen, um die Eiweißzersetzung zu beschleunigen.“

Auch Hobby-Sammlern, die an seine Türe klopfen, rät er, die Pilze alsbald zu verbrauchen. Sein Fachwissen wird in solchen Momenten auf unterschiedliche Weise gefordert. Werden die bitteren Gallenröhrlinge mit Steinpilzen verwechselt ist das Ungemach bei Magen-Darm-Beschwerden überschaubar.

Richtig gefährlich kann es bei Grünen und Weißen Knollenblätterpilzen werden. „Es kommt immer wieder vor, dass man sie mit Champignons verwechselt“, weiß Lerch. Der Knollenblätterpilz führt die Liste der gefährlichen Sorten an. Bereits die Aufnahme von Bruchstücken dieses Fruchtkörpers kann tödliche Folgen haben.

Vor ein paar Jahren bekam der Sachsendorfer einen Anruf aus dem Bernburger Krankenhaus. Eine Frau war am Fuße des Nienburger Wasserturms fündig geworden. In der Meinung, sie habe Champignons gefunden, schmorte sie die vermeintlichen Edelpilze. Nach einer halben Stunde wurde der Köchin nur vom Kosten der Soße schlecht: Schweißausbruch, erhöhter Speichelfluss, tränende Augen.

Dem herbei gerufenen Notarzt wurde Gott sei Dank der Kochtopf mit dem noch nicht verzehrten Gericht mitgegeben. „Es war der Ziegelrote Risspilz, der hat 350 mal mehr von dem giftigen Alkaloid Muscarin in sich, als der Fliegenpilz“, hebt Lerch den Finger. Der Frau konnte glücklicherweise über die Giftnotrufzentrale geholfen werden.

Hat Volker Lerch, der seit 1984 die Lizenz zum Beraten hat, auch einen persönlichen Lieblingspilz? „Eigentlich nicht“, schüttelt er den Kopf. „Am liebsten mag ich Mischpilzgerichte: Steinpilz, Täubling, Parasol oder Rotfüßchen und so weiter.“ Wem die jetzige Ausbeute - bei Wärme ist das oft so - zu madig ist, dem rät der Mann aus Sachsendorf: „Geht im Herbst Pilze sammeln, da gibt es weniger Pilzfliegen.“

Und noch eine Episode zum Abschluss: Der Fliegenpilz beinhaltet bekanntlich berauschende Substanzen, die jedoch zu unangenehmen Nebenwirkungen neigen. Trotzdem wurde er auch zu rituellen Anlässen gegessen. So zum Beispiel in Sibirien. Aus diesem Grund munkelte man hinter vorgehaltener Hand zu DDR-Zeiten, „dass die Russen Fliegenpilze abkönnen“, erzählt der Pilzberater und schmunzelt.