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Fremdsprachen Mut zum Sprechen

Unser Gastautor aus London berichtet über sein Leben in Sachsen-Anhalt und von einem Deutschkurs, der ihm mehr abverlangt, als er dachte.

Von Paul Kilbey 03.03.2019, 08:34

Magdeburg l „Guten Tag“, sagte ich, „ich bin heute hier, um euch etwas über Fremdsprachen in meinem Heimatland England zu erzählen.“ Und dann sprach ich für etwa fünf Minuten. Ich erzählte davon, dass die Engländer schlecht sind im Lernen von Sprachen und dass sie deshalb oft Schwierigkeiten haben, wenn sie ins Ausland reisen – oder ziehen.

Ich machte mit Sicherheit viele Fehler. Benutzte die falsche Grammatik, die verkehrten Wörter – und vermutlich war meine Aussprache auch alles andere als perfekt. Aber ich konnte für fünf Minuten sprechen. Und meine Mitschüler – und noch wichtiger: meine Lehrerin - schienen das, was ich sagte, zu verstehen. Und so schnell kann’s gehen. Ich war auf einmal fertig mit meinem Deutschkurs. Das heißt dann wohl, dass ich jetzt Deutsch sprechen kann.

Es ist komisch, was so eine Prüfung mit dem Ego machen kann. Denn seit ich den sprachlichen Test bestanden habe, fühle ich mich tatsächlich selbstbewusster, wenn es ums Deutschsprechen geht. Ich habe noch nicht einmal ein Zeugnis oder ein Zertifikat in die Hand gedrückt bekommen. Aber schon die einfache Tatsache, dass ich den Test gemacht - und bestanden – habe, reicht aus. Sie ist für mich der Beweis dafür, dass ich ein gewisses Level erreicht habe.

Auf der anderen Seite habe ich gelernt, dass Selbstbewusstsein das A und O ist, wenn es um das Erlernen einer Sprache geht. Bedauerlicherweise ist es gleichzeitig meine größte Schwachstelle.

Seit ich in Deutschland lebe, denke ich oft an die Zeit zurück, zu der ich Französisch in der Schule hatte. Ich habe mit elf Jahren angefangen. Jeden Tag habe ich nach der Schule zu Hause fleißig meine Hausaufgaben gemacht. Vokabeln gelernt, Grammatik geübt – und versucht, alles auszusprechen, ohne vor lauter „Rs“ zu ersticken. Doch es gab einen Unterschied: Beim Französischunterricht stand für uns Schüler nicht viel auf dem Spiel. Klar, was die Note anging, schon. Aber das war’s dann auch. Niemand von uns lebte in Frankreich. Da der Druck minimal war, machte es mir Spaß, Französisch zu lernen. Als Gedächtnisübung. Ein bisschen wie Mathe oder Chemie – nur einfacher.

Doch auch im Französischunterricht sagte ich nicht viel. Aber was ich sagte, klang okay. Ich rollte manchmal mit den Augen, wenn einige meiner Mitschüler redeten und redeten, ohne sich Sorgen über Fehler zu machen. Wie peinlich, dachte ich damals. Sie haben einen Grammatikfehler gemacht. Ich hielt mich damals für sprachbegabt.

Nun ja, meine Einstellung hat sich sehr stark geändert. Wenn meine Mitschüler aus dem Deutschunterricht mehr sprechen als ich, verspotte ich sie nicht mehr, wenn sie etwas Falsches sagen. Im Gegenteil: Ich beneide sie. Weil ich jetzt gelernt habe, dass das der einzige Weg ist, eine Sprache zu lernen: indem man spricht, spricht und noch mehr spricht. Ich stehe mir dabei oft selbst im Weg: Ich habe zu große Angst davor, Fehler zu machen.

Jetzt wohne ich fast zwei Jahre in Deutschland. Und würde mich nicht mehr als sprachbegabt bezeichnen. Ja, einige Dinge kann ich vielleicht: Ich kann mir Grammatik-Regeln merken und die Bedeutung von Wörtern schnell erraten. Ich kann deutsche Texte auf Deutsch lesen und schreiben (gut, Schreiben ist schließlich auch mein Job). Leider hilft mir all das im Alltag wenig. Denn in der einen, der wichtigsten Sache, hinke ich hinterher: Ich habe nicht das nötige Selbstbewusstsein, auf Deutsch zu sprechen.

Jetzt, nachdem ich den Test bestanden habe, hoffe ich, dass das besser wird. Es ist ein langer Weg, aber ich muss mich zwingen, ihn zu gehen: indem ich einfach mehr Deutsch spreche.

Wer weiß, vielleicht schaffe ich es ja gerade noch rechtzeitig, bevor ich durch den Brexit das Recht verliere, hierzubleiben. Eine großartige Vorstellung.

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