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Geschmack Britischer Chic

Unser Gastautor aus London berichtet über sein neues Leben in Sachsen-Anhalt. Er sinniert über englischen und deutschen Stil.

Von Paul Kilbey 29.10.2017, 15:44

Magdeburg l Es gibt viele Klischees über uns Briten, von den meisten bin ich nicht überzeugt. Von uns wird beispielsweise oft behauptet, dass wir alle versnobt sind, was nun wirklich nicht stimmt. Britisches Essen schmeckt deutlich besser, als ihm nachgesagt wird. Und der durchschnittliche Brite hat vollkommen akzeptable Zähne. Aber ich habe immer geglaubt, dass ein Stereotyp sehr wohl zutrifft: dass wir kein Gefühl für Mode haben. Wir glauben, dass Franzosen und Italiener einen guten Geschmack haben. Aber wir Briten? Wir lieben Selbstbräuner, sind dafür bekannt, viel zu früh im Jahr Sommerklamotten zu tragen und ja, wir gehen mit Socken in Sandalen aus dem Haus. Wir sind nicht modisch - denken wir über uns selbst.
Sie können sich sicherlich vorstellen, wie überrascht ich war, als ich in einer deutschen Mode-Broschüre eine Kollektion fand, die mit "Brit-Chic" betitelt war. Gütiger Himmel, dachte ich. Ein anderes Land denkt tatsächlich, dass wir "chic" sind! Vor Überraschung wäre mir fast meine Teetasse aus der Hand gefallen. Aber schnell wurde aus der Verblüffung Enttäuschung. Ernsthaft? Ein Regenschirm-Ständer? Ein Set Whisky-Gläser und daneben der Schriftzug "Gin o’Clock"? Noch nicht einmal die Spirituose hatten sie richtig zugeordnet.
Die weiteren Fotos aus dem Katalog waren nicht von dieser Welt. Eine Frau, die mit ihrem Jack Russel spazieren geht. Es regnet eindeutig nicht, dennoch hält sie ihren Regenschirm im schottischen Karo-Muster, das perfekt zu dem Muster ihres Oberteils passt. Ist das etwa ein weiteres Klischee über uns? Dass wir zu jedem Outfit den passenden Regenschirm besitzen? Auf einem anderen Foto trägt ein Mann eine Wollmütze und lehnt sich lässig an einen Zug an. Dampf umhüllt seine Knöchel, die Szene soll mysteriös wirken. In welche spannende britische Stadt er wohl reist? Nach Milton Keynes? Oder Leeds.
Aber richtig deprimierend ist das Foto, auf dem die Schlafzimmer-Kollektion abgebildet ist. Ein Mann sitzt alleine auf der Lehne eines grauen Sessels. Er trinkt ein Glas Whisky (obwohl eigentlich Gin o’Clock ist) und starrt sehnsüchtig auf sein Bett. Dieses ist komplett in Grautönen gehalten. Graues Kopfende, graue Kissen, grauer Deckenbezug. Sogar das Handtuch, das zerknüllt auf dem Bett liegt, ist grau.
DIE FEINE ENGLISCHE ART - verkündet die zu dem Bild passende Überschrift, die mit dem Muster einer britischen Flagge unterlegt ist. "Fein": ist das Ironie? Geht es nach dem Bild, steht britische Kultur also für einen Mann, der alleine trinkt, zu erschöpft, um sich richtig in seinen Sessel zu setzen oder sein Handtuch aufzuhängen. Die einzige Sehnsucht, die er hat, ist die, sich unter seiner grauen Bettdecke zu verkriechen.
Wie kann so etwas in einem Mode-Katalog abgedruckt werden? Während ich mich das fragte, erinnerte ich mich daran, in welchem Land ich mich befinde. Obwohl das jetzt vielleicht weniger höflich klingt, als von einem Briten erwartet wird, haben die Deutschen vermutlich eine mindestens genauso komplizierte Beziehung zu Mode, wie wir. Ich meine, wer kauft schon seine Klamotten und Bettbezüge von einer Kaffee-Rösterei? Und ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich noch nie einen Deutschen gesehen habe, der Sandalen mit Socken trägt - eine Kombination, die meine Freunde aus anderen europäischen Ländern als modischen "faux pas" bezeichnen. Neugierig fragte ich einige Deutsche, ob sie finden, dass wir Briten einen schlechten Stil haben. Überhaupt nicht, sagten sie. Die Deutschen hingegen...
Fest an das eigene fehlende Modebewusstsein zu glauben, scheint eine deutsch-britische Gemeinsamkeit zu sein. Ob wir damit Recht haben, ist Ansichtssache. Aber vermutlich sollten wir uns nicht gegenseitig um Rat bitten.
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