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57 Jahre alte Angeklagte aus Weißenfels gesteht 24 Jahre nach der Tat vor Gericht, ihren damals 28-jährigen Freund vorsätzlich getötet zu haben "Ich habe ihm das Messer weggenommen und einen Stich ins Herz versetzt"

Von Bernd Kaufholz 06.06.2012, 03:15

Weißenfels/Halle l Letztlich hatte die 57 Jahre alte Mord-Angeklagte aus Weißenfels wohl gar keine andere Wahl mehr, als die Karten auf den Tisch zu legen. Gestern - 24 Jahre nach dem Messerstich, der ihren damaligen Lebensgefährten Lutz B. tötete.

Hatte sich doch ihre Hoffnung, mit dem Kapitalverbrechen von 1988 durchzukommen, spätestens am 14. Mai dieses Jahres zerschlagen. An jenem Tag, als das sogenannte 3-D-Stichgutachten Thema der Hauptverhandlung am Landgericht Halle wurde. Und die Gemeinschaftsarbeit von Landeskriminalamt, der Magdeburger Firma Medical Images und des renommierten Rechtsmediziners Professor Manfred Kleiber wurde zum Fallstrick für Marion W.

Die von ihr erfundene und von den Weißenfelser DDR-Ermittlern (warum wird wohl immer ein Geheimnis bleiben) 1988 ohne zu hinterfragen übernommene Selbstmord-Theorie fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Gestern nun trat die Angeklagte die Flucht nach vorn an, um zu retten, was noch zu retten ist. Sie ließ von ihrer Strafverteidigerin Katharina Müller eine Stellungnahme verlesen, die ihr Zusammenleben mit Lutz B. in dunkelsten Farben malte und die Umstände der Tat so darstellte, dass es sich nun anstatt um Mord "lediglich" um Totschlag handeln könnte.

Das Geständnis

Die entscheidenden Passagen ihres Geständnisses: "Am 1. Dezember 1988 feierte meine Tochter in meiner Wohnung ihren 15. Geburtstag. Mein Freund (sie bezeichnet ihn mehrfach als "sehr dominant") wollte das nicht. Gegen 23 Uhr sind wir nach einem Gaststättenbesuch nach Hause gekommen." Die Töchter und Freunde hätten Karten gespielt. Marion W. habe sich mit an den Tisch gesetzt und einige Runden mitgespielt. Ihr Freund habe eine Weile zugesehen und sei dann ins Schlafzimmer gegangen.

Als ein Gast geäußert habe, dass er in der Wohnung übernachten wolle, habe sie Bettzeug aus dem Schlafzimmer geholt. "Dabei hat mich mein Freund beschimpft, ich soll endlich die Gäste rausschmeißen. Als ich ihm mitteilte, dass wir einen Übernachtungsgast haben, hat sich Lutz B. aufgeregt."

Sie habe sich gewaschen, Zähne geputzt und Nachtzeug angezogen. Dann sei sie ins Bett gegangen. Sie habe auf der linken Seite gelegen - von ihrem Partner weggedreht. "Lutz wollte Sex. Aber ich habe ihm gesagt, dass ich müde bin. Wütend hat er mich angeschrien: Judensau, Schlampe, F... Dreh dich um!"

Als sie der Aufforderung nachgekommen war, habe sie ein Küchenmesser in der rechten Hand von B. gesehen. "Er hat mich beschimpft: Du bist zu blöd, gesunde Kinder zu kriegen. Du bist zu nichts zu gebrauchen."

Sie sei nun auch wütend geworden und habe ihm an den Kopf geworfen: Ich hasse Dich! Daraufhin habe B. auf das Messer gedeutet und gesagt: Na, dann los, solche Gelegenheit wirst Du nicht wieder kriegen. "Ich habe ihm das Messer weggenommen und einen wuchtigen Stich ins Herz versetzt." Dann sei sie ins Wohnzimmer gerannt und habe gerufen: Lutz stirbt!

Kennengelernt hätten sie sich im Sommer 1986 in einem Weißenfelser Café bei der Disco. Die Beziehung sei zuerst "gut" gewesen. Dann habe sich herausgestellt, dass B. "sehr eifersüchtig" war. "Er hat mich kontrolliert. Kam ich später von der Arbeit, hat er mir eine Affäre unterstellt." Alles habe sich nach ihm richten müssen. "Stand das Essen nicht pünktlich da, hat er mich Schlampe, Hure, F... genannt. "

Dann schilderte die Angeklagte "Ausraster". Anfang 1987 habe B. ihr mit der Handkante gegen den Hals gesachlagen, so dass sie zusammengebrochen und mit dem Kopf gegen die Spüle geschlagen sei. Ähnliches sei nach einem Besuch einer Weißenfelser Gaststätte passiert. "Weil er Geld von mir haben wollte, hat er mir draußen wieder einen Kantenschlag gegeben. Ich war ohnmächtig."

Nachdem sie schwanger von ihm geworden war, habe er von ihr verlangt, das Kind abzutreiben. Als sie das nicht wollte, habe er ihr sein Knie in den Leib gestoßen. Deshalb habe sie das Kind verloren.

Nach einer Weihnachtsfeier 1987 habe er sie in Weißenfels von einer Brücke in die Saale geworfen. Sie wäre beinahe ertrunken und sei unterkühlt und mit Prellungen ins Krankenhaus gekommen.

Verjährungsfrist unterbrochen

Folgt die 1. Große Strafkammer der Schilderung der Angeklagten, läuft es wohl auf eine Verurteilung wegen Totschlags hinaus. Einen entsprechenden "rechtlichen Hinweis" hatte die Kammer bereits gegeben. Eine Verjährung der Tat kommt nicht in Frage. Zwar verjährt Totschlag nach 20 Jahren, aber bei allen DDR-Kapitalverbrechen, die bis zum 3. Oktober 1990 nicht aufgeklärt waren, begann die Frist neu. Die Deadline wäre der 3. Oktober 2010 gewesen. Da die Ermittlungen 2009 jedoch wieder aufgenommen worden waren, sei die Verjährungsfrist unterbrochen worden.

Das Urteil wird am 12. Juni erwartet.