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Flüchtlinge Leben in die Leere zurückbringen

Eine Traumidee, die Realität werden soll: David Lenard erstellte mit jungen Flüchtlingen in Stendal ein „Grandhotel Altmark“.

Von Anne Toss 25.05.2016, 01:01

Stendal l Rund hundert Interessierte hatten sich am Samstagabend im Rangfoyer des Theaters der Altmark (TdA) eingefunden, um zu erfahren, was sich hinter dem Arbeitsbegriff „Grandhotel Altmark“ verbirgt. David Lenard, Regisseur am TdA, führte durch den Abend, in dessen Mittelpunkt ein Haus aus Pappe stand.

Im Rahmen des Bundesmodellprojekts „Dehnungsfuge – Auf dem Lande alles dicht?“ wird Leerstand mit Kultur, Kunst und Bildung gefüllt. Das Projekt „Grandhotel Altmark“ ist eine mögliche Umsetzung dieses Ziels: Junge Flüchtlinge haben in Workshops von ihren Träumen in Deutschland berichtet und diese in einen utopischen Ort – das „Grandhotel Altmark“ – einfließen lassen. „Es ist ein Ort, an welchem Werte wie Freiheit und Solidarität gelebt werden, wo Hilfe zur Selbsthilfe stattfindet“, sagt David Lenard.

Zum Abschluss stellten sie ihr Modell, das ein reales Gebäude in Stendal, einen alten Speicher an der Dr.-Arthur-Schulz-Straße zum Vorbild hat, vor. Auf fünf verschiedenen Ebenen entstanden mithilfe von Bühnenbildern des Theaters ein Clubraum mit Billard und Tischkicker sowie einer Bar, Einzel- und Gruppenarbeitsräume, die auch von Firmen angemietet werden können, Räume für Kunst- und Kulturausstellungen und zuletzt auch Übernachtungsmöglichkeiten in Form von Einzel- und Doppelzimmern im Obergeschoss.

Laut Lenard, der das Projekt leitet, soll es jedoch nicht bei einem Pappmodell bleiben. „Es gibt zwar zurzeit noch keinen realen Raum, aber es finden bereits Gespräche mit der Stadt statt.“ So werde angestrebt, das Konzept innerhalb der nächsten vier Jahre im Landkreis Stendal umzusetzen. Falls es tatsächlich realisiert wird, könnten Migranten auch durch die Möglichkeit einer Ausbildung bei Kooperationspartnern gefördert werden.

In Deutschland existieren bereits zwei solcher Häuser, das „Grandhotel Cosmopolis“ in Augsburg sowie das „Unperfekthaus“ in Essen. Das „Grandhotel Cosmopolis“ entstand in einem leer stehenden Pflegeheim – eine Immobilie der Diakonie –, das auf vier Pfeilern beruht: Ateliers/Galerie, Asylhotel (Flüchtlingsunterkunft), Gastro/Kultur und Hotel ohne Asyl (vier Hostel- und zwölf Hotelzimmer). Laut der Homepage ist das „Grandhotel Cosmopolis“ „ein gesellschaftliches Gesamtkunstwerk im Augsburger Domviertel und setzt Akzente für ein friedliches Zusammenleben in der modernen Stadtgesellschaft. Die dringliche Aufgabe der Unterbringung von Asylbewerbern wird hier verknüpft mit kultureller Vielfalt und vor allem mit einem Angebot zur Teilhabe für alle.“

Das „Unperfekthaus“ in Essen bietet jedem die Möglichkeit, „eine Geschäftsidee auszuprobieren oder zu versuchen, als Künstler bekannt zu werden. Ohne Miet- und Nebenkosten, mit ganz vielen kostenlosen Hilfen“, berichtet Reinhard Wiesemann, Erfinder des „Unperfekthauses“ auf seiner Homepage. Auf 4000 Quadratmetern ist dort eine eigene kleine Welt entstanden, in der Vielfalt und Freiheit zum Ausprobieren im Mittelpunkt stehen.

Das Projekt realisierte David Lenard zusammen mit zehn jungen, männlichen Flüchtlingen, allesamt aus Syrien. Sie stellten sich in einer Videobotschaft auf Arabisch vor. Firas (32) flüchtete aus der Stadt Homs nach Deutschland. Dort hatte er sein eigenes Fotostudio, nun möchte er auch in Stendal wieder als Fotograf arbeiten. Dafür könnte er im „Grandhotel Altmark“ einen der Einzelarbeitsplätze nutzen.

Hammoud (16) lebt seit acht Monaten in Deutschland und besucht seit wenigen Tagen die Schule. „Ich interessiere mich für Dekoration und Häuser und möchte Architektur studieren“, sagt er. Zwei seiner Mitstreiter, Mohammed Ali (18) und Jowan (17), haben bereits in einem Beruf gearbeitet. Jowan war für drei Jahre als Schneider tätig. Mohammed Ali hingegen möchte jetzt Informatik studieren: „In Syrien habe ich in einem Computergeschäft gearbeitet“, erklärt er seinen Wunsch. In Meßdorf, wo er untergebracht ist, hat er bereits einige Probleme mit dem W-Lan gelöst. Bei der Vorstellung wird auch klar, dass die jungen Männer ihre Heimat nicht gerne verlassen haben. „Mein Leben vor der Revolution war wunderschön“, sagt Mohammed Ali, „ich hatte viele Freunde.“

Mohammad (17) aus Damaskus beteiligte sich ebenfalls am Projekt. „Neben der Schule habe ich als Frisör gearbeitet“, erzählt der 17-Jährige, „ich arbeite am liebsten mit meinen Händen.“ Als der Krieg ausbrach, floh er zuerst in die Türkei, dann nach Deutschland.

Der 16-jährige Ahmad hätte nahe am „Grandhotel Altmark“ gerne einen Sportplatz. Er selbst ist begeisterter Basketballer. Sein Landsmann Ammar (16) interessiert sich dafür mehr für Technik. „Als ich in der neunten Klasse war, brach der Krieg aus“, sagt Ammar, „hier in Deutschland möchte ich als Ingenieur arbeiten.“ Dieses Ziel verfolgt auch der 17-jährige Mazen, der auch beim Projekt dabei ist.

Zuletzt betraten Majed (17) und Moe (29) die Bühne. Majeds Wunsch ist es, Medizin zu studieren, im Juni beginnt er ein Praktikum im Johanniter-Krankenhaus. „Wegen dem Krieg konnte ich nicht zur Schule gehen, in Deutschland möchte ich jetzt weiter lernen, um Medizin studieren zu können.“ Die Rolle von Moe ist derweil bereits relativ klar: Der gelernte Tontechniker und DJ würde in der Bar für die passende Musik sorgen.

Wie das Modell schlussendlich umgesetzt wird, steht noch nicht fest. „Es kann in unterschiedlichen Variationen geschehen“, sagt Lenard. Nach der Vorstellung traf man sich zum gemeinsamen Gespräch im Welcome-Café im TdA, eben auch um den Kontakt zu möglichen Kooperationspartnern herzustellen. Es ist geplant, das Projekt erneut im Rahmen der Reflexionstage der Hochschule Stendal zu präsentieren.