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Karstadt Ein Arbeitsleben im Magdeburger Warenhaus

Erika Schiewe aus Magdeburg hat ihr Arbeitsleben im selben Haus verbracht: Zu DDR-Zeiten im "Centrum"-Warenhaus und ab 1991 im Karstadt.

Von Bernd Kaufholz 18.10.2019, 01:01

Magdeburg l „Es war wenige Wochen vor der Währungsunion am 1. Juli 1990. Damals gab es 14 „Centrum“-Warenhäuser und mit drei Kolleginnen aus anderen Städten fuhr ich nach Essen zur Karstadt-Zentrale“, erzählt Erika Schiewe. „Wir sollten dort für die Eröffnung der Warenhäuser am 2. Juli, einem Montag, einkaufen, damit die Regale mit Westwaren voll sind.“

Und alle seien ziemlich überfordert gewesen, räumt die Magdeburgerin ein. „Was gehört alles ins Sortiment? Bei dem Überangebot nach der DDR-Mangelwirtschaft haben wir ,Centrum‘-Verkäuferinnen genauso staunend im Großlager gestanden, wie Tage später die Kunden bei uns. „Aber die Mitarbeiter der Essener Zentrale haben uns prima unter die Arme gegriffen“, erinnert sie sich.

Erika Schiewe war damals Chefin der Rundfunk- und Fernsehabteilung. „Besonders schwer war es für mich CDs auszusuchen. „Matthias Reim war damals gerade angesagt. Da habe ich gleich eine große Stückzahl geordert.“ Traurig sei sie gewesen, dass DDR-Schallplatten plötzlich keine Abnehmer mehr fanden. „Wir haben sie für 1,50 Mark verhökert. Viele Westdeutsche haben die klassische Musik auf ,Eterna‘ haufenweise mitgenommen.“

In Magdeburg und Umgebung seien kaum noch Lagerräume zu bekommen gewesen. „Alles war mit Waren für den Start in die Westmark-Zeit gefüllt“, so die 71-Jährige. Und in diesem Zusammenhang fällt ihr noch etwas ein, das die Verkäuferinnen beinahe sprachlos gemacht hat. „Als wir Stichproben bei den angelieferten Kisten und Kartons machten, stellten wir fest, dass in einigen anstatt Videorecorder oder Kassettengeräte, Steine, Holzstücke oder einfach nur Papier lag.“

Die DDR-Verkäuferinnen, die an strenge Inventuren gewöhnt waren, wo alles bis auf den letzten Pfennig stimmen musste, meldeten diese Unregelmäßigkeiten nach Essen. „Aber da regte man sich überhaupt nicht auf: Schwund sei überall.“

Geklaut hätten Kunden übrigens in der ersten Zeit nach der Währungsunion „wie die Raben“. Und die Abteilungsleiterin hat das am eigenen Leibe gespürt. „Ein Kunde wollte Heimelektronik an der Kasse vorbei­schmuggeln. Als ich ihn zur Rede stellen wollte, hat er mir Pfefferspray in die Augen gesprüht.“ Das sei nicht nur schmerzhaft gewesen, sondern auch ein Schock. „So etwas kannten wir doch gar nicht.“

Erika Schiewe gehörte zu den ersten Verkäuferinnen des Magdeburger Warenhauses. Sie war schon im sogenannten Aufbaustab vor der offiziellen Eröffnung des „Centrum“ am 3. Dezember 1973. „Ich habe mich als stellvertretende Abteilungsleiterin beworben. Aber da kein Chef gefunden wurde, bekam ich den Posten.“ Wie 17 Jahre später, war auch die Erstausstattung des „Centrum“-Warenhauses Neuland für die Mitarbeiter gewesen. „Die Rundfunk- und Fernsehabteilung musste Kontakte zum Großhandel in der Halberstädter Straße knüpfen. Ebenso zum VEB Stern Radio in Berlin und nach Staßfurt zum Fernsehgerätewerk.“

Persönliche Kontakte zu den Herstellern seien wichtig gewesen, und jede Abteilung habe gewusst, an wen sie sich wenden muss, wenn mal wieder der Großhandel nicht nachkam. „Doch da gab es noch mehr Hürden“, sagt Erika Schiewe. „Mal einfach einen Transporter nach Staßfurt losschicken, um Geräte abzuholen, das ging beim zugeteilten Benzinkontingent nicht. Es musste erst beim Rat des Bezirkes ein Antrag gestellt und dort abgesegnet werden.“

Nach dem Mauerfall sei das Angebot im „Centrum“ wie das „Schlaraffenland“ gewesen. Allerdings habe es nun andere Probleme gegeben, teilweise existenzieller Natur. „Viele Abteilungsleiter wurden zum Ersten Verkäufer abqualifiziert und durch Mitarbeiter aus den alten Bundesländern ersetzt.“ Doch sie selbst habe sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Auch wenn einige der neuen Führungsriege zeigen wollten, dass man den dummen Ossis erst mal das Verkaufen beibringen müsse.

Schon zu DDR-Zeiten sei sie streitbar gewesen. Und als Beweis legt die Frau, die am 31. Dezember 2007 in Rente gegangen ist, die Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ von 1987 auf den Küchentisch. In einem Artikel geht es um einen Fall, den sie ein Jahr zuvor angestoßen hatte. „Der damalige Direktor vom Centrum hatte den 17 Mitarbeitern meiner Abteilung die Lohnprämie von je 50 Mark gestrichen, weil das Monatssoll nicht erfüllt wurde.“ Allerdings sei aufgrund eines Umbaus des Rundfunk- und TV-Bereichs die Verkaufsfläche längere Zeit verkleinert gewesen. „Wir konnten kaum Umsatz machen.“

Schiewe klagte, bekam Recht und sie und alle Mitarbeiter 50 Mark. Betrachtet Schiewe heute ihre „Centrum“-Zeit und die Jahre im Karstadt kommt sie zu einem klaren Urteil: „Die Kollegialität unter den Mitarbeitern war zu DDR-Zeiten eine andere. Wir haben uns als Einheit gefühlt und auch nach der Arbeit auch gemeinsam mit den Familien etwas unternommen.“ Legendär seien die „Centrum“-Feiern gewesen. „Und eine schöne Anerkennung war es, wenn morgens den Geburtstagskindern unter den Mitarbeitern gratuliert wurde.“

Nach dem Mauerfall sei der Zusammenhalt immer mehr gebröckelt. „Jeder hat nur noch gesehen, wo er selbst bleibt und sich kaum noch um den anderen gekümmert.“

Erika Schiewe war im Karstadt-Betriebsrat und hat in vorderster Front die Entlassungen begleitet. „Eine schlimme Zeit. Der Ehemann war nach der Schließung eines Magdeburger Großbetriebs arbeitslos geworden und nun seine Frau ...“

Auch, dass die Karstadt-Leitung nicht sensibel reagiert hat, als sie Endes 2018 angefragt hatte, ob zum 45. Jahrestag der „Centrum“-Eröffnung vielleicht ein Ehemaligen-Treffen stattfinden könne, biss sie auf Granit. Wir zählen erst ab der Übernahme durch Karstadt, hieß es.

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