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Kinderschutzprojekt Waren Sachsen-Anhalts Behörden untätig?

Projekte wie "Maramures" in Rumänien sind umstritten - nicht erst, seit ein Dessauer wegen Misshandlungsvorwürfen in Haft sitzt. Was tun?

08.09.2019, 23:01

Magdeburg l Wegen des Verdachts der Misshandlung von Jugendlichen sitzt Bert S. in Rumänien in Untersuchungshaft. Er initiierte das Sozialprojekt „Maramures“. Es soll Jugendlichen, die als „Problemfälle“ gelten, eine neue Perspektive bieten. Projekte dieser Art sind nicht erst seit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen S. umstritten. Die Frage ist: Kann die Qualität der Betreuung im Ausland von deutschen Jugendämtern sichergestellt werden?

„Das ist schwierig zu beurteilen, weil wir bei der Frage der Qualität an den Landesgrenzen Halt machen müssen“, sagt Nicole Anger, Vorsitzende des Landesjugendhilfeausschusses Sachsen-Anhalt. Im Sozialgesetzbuch gibt es keinen Passus, der die gezielte Kontrolle vor Ort regelt. Anger spricht von einer „Regelungslücke“. So bezieht sich das vorgeschriebene Konsultationsverfahren nach Brüsseler Verordnung vor allem auf die Kommunikation der Gerichte und Behörden beider beteiligter Länder vor Projektstart. Und das vorgeschriebene Hilfeplanverfahren ist im Ausland nicht 1:1 übertragbar. Bereits 2015 merkte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter in einer Empfehlung an, dass die Hilfepanung und Überprüfung vor Ort zwar deutschen Standards entsprechen solle, jedoch am Ende nur „eingeschränkte Kontroll- und Einflussmöglichkeiten“ bestehen. Eine Erkenntnis, die bis heute aber keine Konsequenzen zur Folge hatte.

Im Projekt „Maramures“ sind auch zwei Jugendliche aus dem Saalekreis untergebracht. Nach Angaben von Landkreis-Sprecherin Kersten Küpperbusch gehe es ihnen gut. Ein Besuch vor Ort sei beabsichtigt – und vor Bekanntwerden der Vorwürfe geplant gewesen. Man stehe in regelmäßigem Kontakt. Sachsen-Anhalts Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) erklärte, man habe das Landesjugendamt nach Bekanntwerden der Vorwürfe gebeten, Fälle über Unterbringungen von Jugendlichen im Ausland zu prüfen. „Das Landesjugendamt und auch das Ministerium für Soziales hätten all diese Informationen bereits haben müssen“, kritisiert Linken-Abgeordnete Kristin Heiß und verweist auf eine Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft von 2004.

Demnach soll das örtliche Jugendamt das Landesjugendamt „in den Kommunikations- und Vermittlungsprozess“ mit einbeziehen. Heiß wirft Grimm-Benne und deren Ministerium Untätigkeit vor. Bereits Ende Juni hatte die Sprecherin für Haushalts- und Jugendpolitik in einer Kleinen Anfrage Informationen zur Auslandsunterbringung von Jugendlichen abgefragt. Die Antwort: mager. Sowohl auf die Frage nach den freien Trägern, einem Konzept als auch nach der Qualität der Betreuungspersonen im Ausland liegen dem Sozialministerium demnach keine Informationen vor. Statistische Daten gibt es nur für 2017. 13 Kinder aus Sachsen-Anhalt waren in Sozialprojekten im Ausland. Wie viele davon noch immer in diesen Projekten sind? Keine Angabe. „Das Sozialministerium weiß nichts und vernachlässigt die Kontrolle“, sagt Heiß.

Eine Datenerhebung ist auf Landesebene aber auch nicht vorgeschrieben, da schlichtweg der gesetzliche Rahmen fehlt. „Die Kontrollfunktion wird durch das örtliche Jugendamt verantwortet“, sagt Ministerirumssprecher Andreas Pinkert. Macht es sich das Ministerium hier zu einfach? „Man sollte auf jeden Fall dringend nachbessern und auf Kommunal- und Landesebene enger zusammenarbeiten“, sagt Anger. Schärfere Regeln bei der Kontrolle der Betreuung seien notwendig.

Eine Meinung, die das Bundesfamilienministerium teilt. Eine „weitergehende Qualifizierung und Schärfung der Regelungen zu Auslandsmaßnahmen ist notwendig“, erklärte ein Sprecher. Insbesondere die Kontrollen der erbrachten Leistungen seien nicht ausreichend und müssten „dringend verschärft werden“. So seien die Auslandsunterbringungen aktuell auch Thema einer Arbeitsgruppe unter Leitung der Parlamentarischen Staatssekretärin Caren Marks.