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KrankenkasseAOK gerät wegen Pflege in Kritik

Die AOK Sachsen-Anhalt gerät angesichts ihrer geringen Vergütungen von pflegerischen Leistungen immer mehr unter Druck.

Von Janette Beck 17.03.2018, 00:01

Zerbst l Ulrike Ziemer, Chefin eines Pflegedienstes in Zerbst, hört es in ihrem Arbeitsalltag immer wieder: Pflegedienste verdienen sich eine goldene Nase, bezahlen aber ihr Personal schlecht. Die 47-Jährige weiß, wovon sie spricht, wenn sie sagt, dass das wahre Leben in ihrer Branche „kein Zuckerschlecken“ ist. Sie arbeitet seit über 25 Jahren im Bereich Pflege und trägt Verantwortung für 30 Mitarbeiter. Das gibt ihr das Recht, auf die tatsächliche Situation privater Pflegedienste im ländlichen Raum aufmerksam zu machen: „Die schwimmen nämlich nicht im Geld, sondern arbeiten am Limit oder machen minus – wie ich im Vorjahr.“

2017 hat sie sich nur sieben Tage Urlaub gegönnt. Um Kosten zu sparen, übernimmt sie die vorgeschriebene 24-Stunden-Rufbereitschaft selbst und verzichtet in mageren Monaten sogar aufs eigene Gehalt. Angesichts der geringen Wertschätzung ihrer Arbeit fragt sie sich manchmal, warum sie sich das antut, statt aufzugeben. Doch die Zerbsterin will weiterkämpfen. Das sei sie ihren Pflegerinnen und Krankenschwestern, von denen viele schon lange zur Stange halten, genauso schuldig wie den Patienten, um die sie sich seit Jahren kümmern.

Eine Hauptschuld an der prekären Situation trägt die AOK Sachsen-Anhalt, so Ulrike Ziemer. „Die hortet das Geld und hat nachweislich die höchsten Rücklagen, zahlt aber für Pflegeleistungen aus dem Sozialgesetzbuch V deutlich schlechter als die Ersatzkassen.“

Das fängt bereits bei den Fahrtkosten an, so die Unternehmerin: Egal, wohin es geht – die AOK zahlt 2,58 Euro; die Ersatzkassen wie Barmer zahlen 2,90 Euro. Die Pauschale ist mit Blick auf ihren Fuhrpark, der 30 000 Euro im Jahr verschlinge, so knapp bemessen, dass sie aus Gründen der Rentabilität keine Patienten mehr annehmen dürfte, die außerhalb von Zerbst versorgt werden müssen.

Die Pflegedienstchefin nennt weitere Beispiele für die „ruinierende Preispolitik“: Die Vergabe von Insulin wird von den Ersatzkassen mit 5,99 Euro vergütet, für die gleiche Arbeit zahlt die AOK 1,57 Euro weniger. Für eine „kleine Morgentoilette“ bekommt sie von der AOK 8,52 Euro. Dafür fährt ihr Pflegedienst beispielsweise zehn Kilometer nach Steutz und zurück. Dazu kommen Lohnkosten und am Wochenende Zuschläge, und hintendran muss die Dokumentation erledigt werden. „Rechnen tut sich das nicht“, klagt Ziemer.

Die Schere zwischen den Erlösen auf der einen und den Lohnkostensteigerungen auf der anderen Seite klafft immer weiter auseinander, sagt sie: „2020 beträgt die Spanne im Osten um die 30 Prozent.“ Das sind Kosten, die einzig beim Pflegedienst ins Kontor schlagen. „Wir vom fahrenden Gewerbe, die für die AOK die Arbeit machen, sind auf die Honorare der Kasse angewiesen. Die aber spart uns auf ihre Kosten kaputt. Wenn das so weitergeht, setzt auf dem Land ein Sterben von Pflegediensten ein.“

Auch der Landesverband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB), der rund 100 Pflegedienste in Sachsen-Anhalt vertritt, prangert die „skandalöse Preispolitik“ der AOK an. Geschäftsstellenleiterin Gisela Gerling-Koehler dazu: „Die AOK nutzt ihre Verhandlungsmacht aus. Die Pflegedienste werden gnadenlos kleingehalten oder gar kaputtgespielt.“ Angesichts der Tatsache, dass die Steigerung der Honorare nicht mit der Lohnentwicklung mithalte, was im Übrigen auch Physiotherapeuten und Logopäden betreffe, fordert der Landesverband gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Gerling-Koehler: „Es ist niemand so vermessen, Westniveau zu verlangen. Aber zumindest sollte die AOK Sachsen-Anhalt, die das Geld dazu hat, sich bewegen und ihre Vergütungen an die der Ersatzkassen im Land angleichen.“

In einer Stellungnahme auf Nachfrage der Volksstimme betont die AOK Sachsen-Anhalt, dass sie „selbstverständlich für eine faire und auskömmliche Vergütung der häuslichen Krankenpflege durch Pflegedienste“ sei. Die Kasse verwies allerdings darauf, dass für alle tarifgebundenen Pflegedienste in Sachsen-Anhalt die Leistungen der Krankenkassen für häusliche Krankenpflege identisch seien. „Das heißt, alle gesetzlichen Krankenkassen zahlen hier dieselben Preise.“

Deren Basis beruhe auf Schiedsverfahren aus den Jahren 2014 und 2015. „In diesen wurden die Preise von zwei unabhängigen Schiedspersonen als auskömmlich bewertet und festgelegt. Die Preise wurden von allen Verbänden akzeptiert und vertraglich geeint.“ Unterschiede bestehen indes bei der Vergütung nicht tarifgebundener Pflegedienste, welche die Ersatzkassen anders honorieren.

Gerling-Koehler hält zum Thema Schiedsverfahren dagegen: „Die Sozialgerichtsbarkeit in Deutschland ist verrottet. Die AOK sagt: Klag doch! Und dann klagt sie halt dagegen. Ein Schiedsverfahren zieht sich über Jahre hin. Die AOK kann das ob ihrer Rücklagen aussitzen, private Pflegedienste indes können sich das nicht leisten.“

Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) zeigt Verständnis für die Situation der Pflegekräfte: „Ich kann nachvollziehen, dass die Leistungserbringer Nachbesserungen einfordern.“ Darüber wurde schon mehrfach mit AOK-Vorstand Ralf Dralle gesprochen, erklärte die Politikerin. Sie betont, „dass Leistungen vernünftig finanziert werden müssen, damit der ländliche Raum nicht noch mehr abgehängt wird“.