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Prozessauftakt zum Anschlag in Magdeburg Das wirre Geständnis des Attentäters Taleb A.

Zum Prozessstart wirft die Anklage dem Arzt aus Saudi-Arabien niedere Motive für seine Todesfahrt in Magdeburg vor. Es geht um 6-fachen Mord und 338-fachen Mordversuch.

Von Alexander Walter Aktualisiert: 10.11.2025, 19:07
Taleb A. vor Prozessbeginn am Montag im Glaskasten des Gerichtssaals.
Taleb A. vor Prozessbeginn am Montag im Glaskasten des Gerichtssaals. Foto: picture alliance / REUTERS

Magdeburg - Als sich am Montag gegen 6.30 Uhr die Türen zum eigens errichteten Gerichtsgebäude für den Prozess gegen den Attentäter des Magdeburger Weihnachtsmarkts öffnen, liegt noch die Nacht über der Stadt. Alle Eingänge sind durch Polizei und Justizpersonal gesichert. Nebenkläger, Zuschauer und Journalisten müssen über getrennte Schleusen in die 4.700 Quadratmeter große Halle.

Es ist der Auftakt für den größten Gerichtsprozess in der Geschichte Sachsen-Anhalts. 87 Journalisten, auch aus europäischen Nachbarländern sind bis Prozessbeginn um 9.30 Uhr anwesend, dazu 52 von 177 Nebenklägern, 27 Anwälte und 47 Zuschauer.

Angesetzt sind vorerst 46 Prozesstage

An vorerst 46 Prozesstagen verhandelt das Landgericht Magdeburger hier, im Osten der Landeshauptstadt, die Amokfahrt des Taleb A. über den Weihnachtsmarkt am Abend des 20. Dezember 2024.

A. selbst wird in Handschellen und mit Fußfesseln ins Gericht geführt und nimmt in einem schusssicheren Glaskasten Platz. Schon zu Beginn des Prozesses irritiert der Attentäter mit Schlagworten, die er Journalisten auf seinem Notebook entgegenhält. „#MagdeburgGate“ und „Sept. 2026“ ist dort zu lesen – die Botschaft zunächst unklar. Später verweist er dazu auf die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr.

Lesen Sie auch: Liveticker mit Videos: Prozessauftakt gegen den Attentäter von Magdeburg Richter beendet ersten Verhandlungstag

Zwei Stunden dauert allein die Verlesung der Anklageschrift

In der folgenden Anklageschrift – allein sie dauert zwei Stunden – betonen Oberstaatsanwalt Matthias Böttcher und Staatsanwalt Marco Reinl den Vorwurf der Vorsatzes des Anschlags. Bei seiner 348 Meter langen Amokfahrt habe Taleb A. binnen 64 Sekunden sechs Menschen getötet und mehr als 300 weitere teils lebensbedrohlich verletzt.

Der Angeklagte handelte in der Absicht, eine unbestimmte, möglichst große Anzahl von Personen zu töten.

Matthias Böttcher, Oberstaatsanwalt

„Dabei handelte der Angeklagte in der Absicht, eine unbestimmte, möglichst große Anzahl von Personen, die in den Fahrbereich seines Fahrzeugs gelangen würden, zu töten“, betont Böttcher. „Darüber hinaus nahm er billigend in Kauf, dass weitere auf dem Weihnachtsmarkt befindliche Personen durch umherfliegende andere Personen oder Gegenstände getötet oder verletzt werden würden.“

A. habe vor allem aus persönlicher Kränkung wegen seiner Niederlage in einem Prozess gegen die Säkulare Flüchtlingshilfe in Köln gehandelt. „Dabei ist es dem Angeklagten darum gegangen, hierfür Rache durch die Tötung willkürlich ausgewählter Opfer zu üben“, so der Oberstaatsanwalt. Taleb A. nimmt all das ohne äußere Regung auf.

Taleb A. im Prozess zum Tatvorwurf: „Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat.“

Als er schließlich zur Sache befragt wird, kündigt er an, persönlich Stellung zu nehmen. „Stundenlang, vielleicht auch tagelang“, werden seine Ausführungen dauern, sagt er. Nach einer Pause gesteht er dann: „Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat.“ Dabei wendet er sich kurz auch an die Opfer – konkret die Eltern eines durch seine Amokfahrt getöteten neunjährigen Jungen. Hier bricht er in Tränen aus, hat Schwierigkeiten zu sprechen, vergräbt sein Gesicht hinter einem Taschentuch. Doch die Ansprache bleibt kurz.

Blick von den Nebenklage-Plätzen in den Gerichtssaal.
Blick von den Nebenklage-Plätzen in den Gerichtssaal.
Foto: picture alliance/dpa

Angeklagter springt zwischen Sachverhalten - zitiert Voltaire, beschuldigt die Polizei

Schnell wechselt Taleb A. zu den von ihm erlebten Gründen für seine Tat. Dabei springt er immer wieder zwischen religiösen und politischen Sachverhalten sowie persönlichen Erlebnissen. Für Beobachter sind die Ausführungen – je länger A. spricht – umso schwerer nachvollziehbar. Für manche Betroffene ist das kaum zu ertragen. Mehrere Nebenkläger verlassen zwischenzeitlich den Saal.

So bezieht sich A. auf den französischen Aufklärer Voltaire. Dieser sei der erste Europäer gewesen, der intellektuell den Islam kritisiert habe. Dies habe er für die Frauenrechte getan – heute aber sei der Diskurs in Europa manipuliert.

Dann er erzählt die Geschichte einer geflüchteten Frau, die von einem Balkon gestürzt sei – die Magdeburger Polizei sei in die Tat verwickelt. Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg beendet die Ausführungen schließlich – vorerst. Heute will sich der Attentäter weiter äußern.

Im Fall der Verurteilung droht Lebenslang und anschließende Sicherheitsverwahrung

Im Fall seiner Verurteilung wegen sechsfachen Mordes und 338-fachen Mordversuches droht Taleb A. eine lebenslange Freiheitsstrafe. Wie Sternberg erklärt, könnten auch eine besondere Schwere der Schuld und eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht kommen.

Nebenklage-Vertreter Thomas Klaus, der mit Kollegin Petra Küllmei mehr als 100 Betroffene vertritt, sagt am Ende: „Unsere Mandanten haben sich zufrieden gezeigt, auch wenn die Einlassungen des Angeklagten eine Zumutung für sie waren.“