BKA-Kriminalstatistik Geschlagen, getötet oder missbraucht: Mehr als 46 Kinder werden täglich Opfer von sexueller Gewalt in Deutschland
Am Mittwoch stellte der Präsident des Bundeskriminalamts, gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik vor. Die Dunkelziffer ist hoch - auch in Sachsen-Anhalt.

Berlin/Halle - Sadistisch gequält, missbraucht und schließlich totgeschlagen: Es ist erst knapp eine Woche her, als das Landgericht Halle ein Urteil im Prozess um den getöteten zweijährigen Tim aus Querfurt gesprochen hat. Der 31-jährige Ex-Lebenspartner von Tims Mutter muss lebenslang ins Gefängnis.
Die 36-jährige Mutter wurde zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Der erst zwei Jahre alte Sohn war am 11. Juli 2020 von der Mutter tot in seinem Kinderbett gefunden worden. Tims Schicksal ist nur ein trauriges Beispiel von alltäglichen Gewaltaten an Kindern in Deutschland, wie aus der Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2020 hervorgeht.

2020 gab es mehr Übergriffe auf Kinder als im Jahr zuvor
Am Mittwoch stellte in Berlin der BKA-Präsident Holger Münch, gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik vor. Die Entwicklung ist dramatisch: Seit 2016 hat sich die Anzahl der geschlagenen, getöteten oder sexuell missbrauchten Kinder in Deutschland verdreifacht. So gab es auch 2020 mehr Übergriffe auf Kinder als im Jahr zuvor.
Laut der offiziellen Statistik des BKA ist die Zahl der vollendeten Misshandlung von Kindern im vergangenen Jahr, um elf Prozent auf 4.497 Opfer gestiegen. Auch die Opferziffer sexueller Gewalt bewege sich weiterhin auf einem hohen Niveau. "2020 stieg die Zahl der Kinder, die als Opfer sexueller Gewalt registriert wurden, erneut um sechs Prozent auf 16.921. Im Jahr 2020 wurden im Durchschnitt jeden Tag mehr als 46 Kinder Opfer von sexueller Gewalt", berichtet BKA-Präsident Münch.

"Im vergangenen Jahr wurden 152 Kinder Opfer eines vollendeten Tötungsdeliktes. Es gab 79 vorsätzliche und 73 fahrlässige Tötungen, das sind jeweils starke Anstiege gegenüber dem Vorjahr. Der überwiegende Teil der Opfer, nämlich 115, sind Kinder und waren jünger als sechs Jahre", so heißt es vom Bundeskiminalamt. Gestiegen ist auch die Zahl sexuellem Missbrauchs von 15.701 im Vorjahr 2019 auf 16.686.
Ein direkter Zusammenhang zwischen den gestiegenen Zahlen und der Corona-Pandemie sei aber nicht belegbar. Die Taten ereigneten sich nicht alle im vergangenen Jahr, wie Holger Münch erklärte. Die Statistik ist eine Ausgangsstatistik, erfasst also die Fälle zu einem Zeitpunkt, an dem die Polizei ihre Bearbeitung abschließt. Zudem gebe es eine hohe Dunkelziffer.
Sexueller Missbrauch an Kindern in Sachsen-Anhalt
Laut einer polizeilichen Statistik (März 2021) wurden in Sachsen-Anhalt Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern 2020 insgesamt 506 Mal angezeigt und damit acht Mal weniger als im Jahr zuvor. Auch die Zahl der angezeigten Vergewaltigungen ging von 293 auf 241 zurück. Die Dunkelziffer sei jedoch hoch. Hingegen verzeichnete die Polizei einen Anstieg bei Fälschungs- und Betrugsdelikten sowie bei der Verbreitung von Pornografie.
"Da bleibt vieles unentdeckt oder wird erst mit starker Verzögerung gemeldet."
Wolfgang Berzau
Zum Internationalen Tag für gewaltfreie Erziehung (30. April 2021) mahnte der Kinderschutzbund Sachsen-Anhalt, das Recht, auf gewaltfreie Erziehung auch in Zeiten der Corona-Pandemie nicht aus dem Blick zu verlieren. "Da bleibt vieles unentdeckt oder wird erst mit starker Verzögerung gemeldet", befürchtet Wolfgang Berzau vom Kinderschutzbund Sachsen-Anhalt. Berzau wünscht sich einmal mehr von Eltern, Nachbarn, Verwandten, kurz: "Kinderfreunden achtsam und sensibel zu bleiben für die Sorgen und Nöte, Ängste und Probleme unserer Kinder."
Mehr Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs in Stendal
Immer mehr Fälle des sexuellen Kindesmissbrauchs sind in der Vergangenheit ans Licht gekommen. Die Zahl der Verfahren steigt – das auch rund um Stendal. Das bestätigen Sybille Stegemann, Vorsitzende des Vereins „Miß-Mut“ in Stendal, eine Beratungsstelle für Opfer sexualisierter Gewalt sowie die Jugendamtsleiterin des Landkreises, Kathrin Müller.
Statistisch untermauert wird der Anstieg des Missbrauchs in der Region durch die Polizeiinspektion Stendal. Sie verzeichnet zwischen 2018 und 2020 eine Erhöhung bei abgeschlossenen Verfahren zum sexuellen Missbrauch von Kindern.