Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt Gesundheitsministerin zur Finanzierung der Kliniken: „Es muss mehr Geld ins System“
Wie weiter nach dem Krankenhausgutachten für Sachsen-Anhalt? Im Interview mit spricht Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) über den Abbau von Betten, die Zukunft der Versorgung auf dem Land und die künftige Finanzierung der Kliniklandschaft.

Magdeburg - Volksstimme: Frau Grimm-Benne, ein von Ihnen im April vorgestelltes Gutachten zur Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt hält bis 2035 bis zu 4000 weitere Klinik-Betten für verzichtbar. Wo sollen die noch abgebaut werden?
Petra Grimm-Benne: Diese werden schrittweise jetzt schon abgebaut, weil die Bettenauslastung aufgrund sinkender Fallzahlen relativ niedrig ist. Hinzu kommt, dass medizinisches Fachpersonal fehlt und Leistungen nicht mehr angeboten werden können. Mit der Corona-Pandemie hatten die Krankenhäuser im Schnitt einen Fallrückgang von um die 20 Prozent. Das war so nicht planbar und das tut vielen Klinik-Trägern wirtschaftlich natürlich weh.
Heißt, der kalte Strukturwandel soll es richten?
Ganz und gar nicht. Wir haben das Krankenhausgutachten in Auftrag gegeben, um Investitionszuschüsse für die Kliniken, für die wir als Land zuständig sind, nach dem Bedarf zielgerichteter steuern zu können und die Standorte so weiterzuentwickeln. Dass Betten abgebaut werden müssen, liegt nicht nur an den Folgen von Corona oder dem Fachkräftemangel. Da ist auch der demografische Wandel: Künftig werden einfach weniger Menschen im Land leben. Viele Erkrankungen können heute außerdem ambulant behandelt werden.
Die Kliniken werden stärker zusammenarbeiten müssen. Kleinere Häuser werden kompliziertere Fälle abgeben müssen.
Sie hatten vor einiger Zeit mal erklärt, Sie halten an allen 45 Krankenhäusern im Land fest. Gilt das noch?
Ja, da fühle ich mich durch die Gutachter bestätigt. Das Standortnetz, das wir heute haben, wird gebraucht, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. Die Frage wird sein, was am jeweiligen Standort künftig angeboten wird, um auch eine bestmögliche Qualität der medizinischen Versorgung zu erreichen.
Worauf müssen sich die Menschen einstellen?
Die Kliniken werden stärker zusammenarbeiten müssen. Kleinere Häuser werden kompliziertere Fälle abgeben müssen. Das kommt aber nicht unerwartet, viele Häuser haben sich da bereits auf den Weg gemacht. Für die Menschen bedeutet dies aber: Wir werden die flächendeckende Versorgung in bestmöglicher Qualität sicherstellen.
Wir haben eine andere Lage als viele West-Bundesländer, bei uns gab es bereits einschneidende Gebietsreformen. Wir haben daher tendenziell kein Über-, sondern regional sogar ein Unterversorgungsproblem.
Nach Plänen Ihres Amtskollegen im Bund Karl Lauterbach für eine große Krankenhausreform würde die Hälfte der Kliniken im Land zu bloßen Basisversorgern – also zu Kliniken der untersten Versorgungsstufe – degradiert. Gehen Sie da mit?
Das war der erste Aufschlag einer Expertenkommission. Mit einer 1:1-Umsetzung dieser Reform-Vorschläge würden wir allerdings weiße Flecken bei der Versorgung bekommen – so bei der Geburtshilfe und der Schlaganfallversorgung. Der Vorstoß der Kommission ist inzwischen vom Tisch, worüber ich froh bin. Für Sachsen-Anhalt ist festzuhalten: Wir haben eine andere Lage als viele West-Bundesländer, bei uns gab es bereits einschneidende Gebietsreformen. Wir haben daher tendenziell kein Über-, sondern regional sogar ein Unterversorgungsproblem.
Wie soll das klassische kleine Krankenhaus im Land denn künftig aussehen?
Zu einem Standort der Grundversorgung gehören meiner Überzeugung nach stationäre Abteilungen für Chirurgie, Innere Medizin, eine Notaufnahme – aber möglichst auch Geburtshilfe und Kindermedizin. Das Agaplesion Diakoniekrankenhaus in Seehausen in der Altmark ist ein Beispiel dafür, wie eine solche Versorgung aussehen kann. Dort gibt es mit Ausnahme der Geburts- und Kindermedizin die genannten stationären Bereiche – daneben aber auch ambulante Angebote. Solche Standorte müssen wir finanziell und personell stabilisieren.

Patienten mit einem Schlaganfall oder Herzinfarkt sollen laut Gutachten künftig weitere Wege zur nächsten Fachklinik gefahren werden. Warum das – da geht es ja oft um Minuten?
Ja, es geht um Minuten. Es kann aber auch wertvolle Zeit verloren gehen, wenn ein Patient erst in ein nicht spezialisiertes Krankenhaus eingeliefert und dann doch wieder weiter verlegt werden muss. Gerade für den ländlichen Raum hatten wir da in der Vergangenheit erschreckende Zahlen zur Überlebensrate. Mit dem System „Ivena“ wird der Rettungsdienst zunehmend digitalisiert und so auch kreis- und länderübergreifend besser verzahnt. Schon während der Fahrt soll die Zielklinik präzise informiert werden, worauf sie sich einstellen muss.
In der Altmark haben wir große Flächen mit ziemlich weiten Anfahrtswegen ...
Ja, die Gutachter empfehlen unter anderem, dass alle Fälle mit Verdacht auf Schlaganfall in Krankenhäusern mit einer Stroke Unit behandelt werden sollten. Sie halten daher auch die geplante Stroke Unit in Stendal für erforderlich. Klappt das wegen des Ärztemangels nicht, werden wir schnellere Rettungswege wie den Einsatz eines Rettungshubschraubers für den Standort prüfen.
Es ist allen klar, dass es eine stärkere Vorhaltefinanzierung braucht, um die Grundversorgung zu halten. Dabei wird es aber nicht reichen, nur umzuverteilen. Das Tischtuch ist zu kurz. Es muss mehr Geld ins System.
Kleine Kliniken will Herr Lauterbach mit sogenannten Vorhaltepauschalen stabilisieren. Kritiker warnen allerdings, dass dabei nicht mehr Geld ins System fließen soll, sondern Mittel aus der Fallbehandlung einfach umgeschichtet werden. Sehen Sie diese Gefahr ebenfalls?
Es ist allen klar, dass es eine stärkere Vorhaltefinanzierung braucht, um die Grundversorgung zu halten. Dabei wird es aber nicht reichen, nur umzuverteilen. Das Tischtuch ist zu kurz. Es muss mehr Geld ins System.
Die Finanzen sind ein Problem, das Personal das andere. Kleine Standorte werden mit der Abgabe komplexer Therapien ja nicht unbedingt attraktiver für Ärzte. Wie wollen Sie Mediziner für solche Kliniken gewinnen? Brauchen wir mehr Studienplätze?
Wenn wir als Land zusätzliche Medizinstudienplätze anbieten, am Ende aber alle abwandern, bringt das nichts. Aus den Erfahrungen mit der Landarztquote haben wir gelernt, dass wir besser mehr jungen Leuten mit einer geeigneten Vorausbildung aus dem Land die Chance auf ein Medizinstudium geben sollten. Wenn wir dann in der Ausbildung die kleineren Kliniken stärker einbeziehen, könnten wir sehr wohl Klebeeffekte erzielen.
Andere Lösungen sind Dienst-Rotationsmodelle in Kooperation mit größeren Kliniken, wie wir das für die Kinderklinik Gardelegen gemeinsam mit dem Uniklinikum Magdeburg planen. Mit hebammengeleiteten Kreißsälen, zuerst mit einem Modellprojekt in Halle und nun mit mittlerweile fünf hebammengeleiteten Kreißsälen im ganzen Land, haben wir gute Erfahrungen gemacht. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Bevölkerung muss ihre Klinik vor Ort auch annehmen.
Viele Kliniken im Land kämpfen mit hohen Kosten, staatliche Hilfen kommen nicht an, kritisiert die Opposition. Kommt die Klinik-Finanzreform von Herrn Lauterbach für viele Träger zu spät?
Richtig ist, dass die Zahlung der vom Bund zugesagten Energiehilfen von bundesweit 4,5 Milliarden Euro nicht richtig läuft, weil als Berechnungsgrundlage für die Bedarfsermittlung mit dem März 2022 bereits ein Krisenmonat gewählt wurde. Karl Lauterbach hat hier aber aktuell nachgesteuert und wird den Häusern zusätzlich 2,5 Milliarden Euro pauschal für mittelbare Energiekostenanstiege – also ohne weitere Nachweispflichten auszahlen, beginnend ab September 2023.
Im Übrigen bringt es nichts, über vergossene Milch zu klagen. Die aktuellen Strukturprobleme haben sich über Jahre aufgebaut. Der Bund will sie jetzt lösen. Was jedenfalls nichts brächte, wäre ein Schließungsmoratorium, wie es die Linke fordert. Das würde viel Geld kosten und kein einziges Strukturproblem lösen.
Wie ist Ihr weiterer Zeitplan fürs Land?
Um den 15. Mai werden wir unser finalisiertes Gutachten vorlegen. Danach wollen wir parallel zu den Reformen im Bund unsere Investitionspolitik neu ausrichten. Da der Bund seine Eckpunkte zur Reform bis zur Sommerpause vorlegen will, sollten beide Prozesse gut ineinandergreifen.