Drei Tage Amtssitz im Harz Steinmeier auf Tuchfühlung in Quedlinburg
Zuletzt stand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wegen seiner angeblichen, früheren Russlandnähe in der Kritik. Im Rahmen der „Ortszeit Deutschland“ führt er die Amtsgeschäfte jetzt drei Tage von Quedlinburg aus, sucht den Dialog zu den Bürgern. Wie begegnen ihm die Menschen vor Ort?

Magdeburg - Als Frank-Walter Steinmeier am Dienstag um 11.23 Uhr im Regionalzug in Quedlinburg einrollt, liegt ein Rest Unsicherheit in der Luft. Welchen Empfang werden ihm die Menschen hier in der sachsen-anhaltischen Provinz bereiten? Wird es Kritik am Bundespräsidenten geben? – An seinem Agieren im Ukraine-Konflikt, an steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen infolge von Krieg und Pandemie, vielleicht gar an der Politik der Bundesregierung für den Osten insgesamt?
Es ist Steinmeiers zweite Reise im Format „Ortszeit Deutschland“ – nach der Premiere im thüringischen Altenburg im März. Und doch steht diese Reise unter dem Eindruck ereignisreicher – man könnte auch sagen schwieriger – Wochen für den Bundespräsidenten.
Drei Tage Quedlinburg statt Schloss Bellevue
Zum Konzept des vom Präsidialamt erdachten Formats gehört es, dass der Präsident seine Amtsgeschäfte drei Tage lang statt vom Berliner Schloss Bellevue aus von einem anderen Ort in Deutschland führt – und dabei mit den Menschen im Land ins Gespräch über ihre Sorgen, Probleme und Nöte kommt.
So viel vorab: Am ersten Tag seines dreitägigen Aufenthalts in ihrer Stadt machen es die Quedlinburger Steinmeier gestern leicht. CDU-Oberbürgermeister Frank Ruch, der vorab durchaus von Sorgen etwa über fehlende Fachkräfte im nach der Pandemie wieder aufblühenden Tourismus berichtet, begrüßt den Bundespräsidenten am Bahngleis fast wie einen alten Bekannten.

Drei Minuten brauchen beide, um vom Tourismus – 1,2 Millionen Besucher hat die Welterbestadt pro Jahr – aufs Wandern und das Waldsterben im Harz zu kommen. In 25 bis 30 Jahren sei hier alles wieder aufgeforstet sein, lässt Ruch seinen Gast wissen. Steinmeier scherzt: „Ok, dann komme ich dann noch mal wieder“ – beide Männer lachen. Es läuft gut zwischen Steinmeier und dem Stadtchef.
Die erste Anspannung ist damit gefallen. Ein guter Anfang für Steinmeier, der – erst im Februar wiedergewählt – zuletzt bundespolitisch stärker im Fokus der Medien stand, als ihm lieb gewesen sein dürfte. Kritiker warfen ihm Kreml-Nähe vor. Als früherer Außenminister habe er das Pipeline-Projekt „Nordstream 2“ auch nach Annexion der Krim durch Russland vorangetrieben, so lautete einer der Vorwürfe.
All das gipfelte in der Ausladung Steinmeiers durch die Ukraine nach Plänen für einen Kiew-Besuch.
Der 66-Jährige hat inzwischen Fehler eingestanden und Differenzen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ausgeräumt.
Zu Fuß durch die Stadt
In Quedlinburg scheint all das gestern weit weg. Nicht nur mit dem Bürgermeister läuft es gut. Passend zum Anliegen seiner Reise macht sich Steinmeier zu Fuß auf den Weg vom Bahnhof Richtung Innenstadt. Und je weiter es ins Zentrum geht, desto häufiger kommen dem Tross aus Präsident und Oberbürgermeister, Sicherheitsleuten und Journalisten Einwohner und Touristen entgegen.
Viele winken nur oder machen aus sicherer Entfernung Fotos. Zu den Ersten die das direkte Gespräch wagen, gehören Bärbel Germer und Michael Marscheider, zwei ältere Quedlinburger. „Was für eine Überraschung, wir freuen uns, Sie zu sehen“, sagt die 80-Jährige Germer zu Steinmeier.
Was aber würden sie und ihr Begleiter Steinmeier sagen, wenn sie etwas mehr Zeit hätten? „Ich hätte ihm noch sagen wollen, dass er sich nicht vom ukrainischen Botschafter erpressen lassen soll“, sagt Michael Marscheider schließlich – da ist der Bundespräsident schon weiter gegangen.

Auch andere kommen auf Nachfrage zuerst auf den Krieg zu sprechen. Frank Ellert, 64 Jahre, aus Quedlinburg etwa erzählt nach einem Selfie mit dem Präsidenten: „Ich muss gestehen, ich habe Angst vor einem dritten Weltkrieg“.
Und wie macht sich Steinmeier als deutscher Bundespräsident in diesem Konflikt? Der mache eine gute Figur, mischt sich Tochter Sabrina Ellert ein. „Eigentlich wäre es richtig, keine Waffen in die Ukraine zu schicken, um die Gefahr einer Ausweitung des Krieges zu verhindern“, sagt sie.
Der Ukraine-Krieg beschäftigt viele, die wenigstens sprechen ihn an
Auch Thomas Schröter, Stadtmitarbeiter im historischen Hochständerhaus, der dem Präsidenten nur en passant „hallo“, sagen kann, antwortet auf die Frage, was ihn am meisten umtreibe: „Der Krieg nimmt einen mit“. Steinmeier mache da bislang einen wirklich guten Job.
Einzig ein Würstchenverkäufer am Marktplatz schneidet später ein ganz anderes Thema an:
„Der Bundespräsident soll sich wieder nach Berlin scheren“, wettert er. „Für solche Reisen hier ist jede Menge Geld da. Aber an uns kleine Unternehmer oder an die Rentner denkt keiner.“ Und ein Verkäufer, den Steinmeier kurz zuvor kurz per Handschlag begrüßt hatte, winkt auf Nachfrage kopfschüttelnd ab: „Kein Kommentar.“
Neben viel Zustimmung bleiben solche Reaktionen gestern Einzelstimmen. Gelegenheit zum Austausch indes gibt es bis morgen noch genug.

Nach dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt und einem Runden Tisch zu „Flüchtlingen aus der Ukraine“ gestern, will Steinmeier heute bei einer „Kaffeetafel kontrovers“ den Dialog mit Bürgern zu lokalen Themen suchen. In der Quedlinburger Walzengießerei dürfte er morgen auch von Sorgen über horrend gestiegene Energie- und Rohstoffpreise zu hören bekommen.
Läuft der Besuch so wie bislang, könnten es trotzdem entspannte Tage für den Präsidenten werden. Ganz um die Geschäfte in Berlin herum kommt Steinmeier aber auch gestern nicht.
Ob er nach Außenministerin Annalena Baerbock nun selbst wieder einen Besuch in Kiew plane, will ein ZDF-Reporter nach dem Eintrag ins Goldene Buch der Stadt vor dem Rathaus wissen.
Und nun spricht wieder ganz der Bundespräsident und frühere Chefdiplomat aus Steinmeier: „Erstmal bin ich sehr froh, dass die Bundesaußenministerin nach Kiew gereist ist“, sagt er. „Wir werden sehen, wie sich die Gespräche weiter entwickeln.“