Leseranwältin Vom schwierigen Umgang mit Humor

Der eine liebt Schokolade, die andere lässt für Kartoffelchips alles stehen und liegen. Geschmäcker sind verschieden, am Esstisch ist das meistens kein Problem. Schwieriger kann es paradoxerweise auf einem Feld werden, das eigentlich für Leichtigkeit und Freude steht: Humor, Witz und Ironie. Gar nicht lustig fand ein Leser den Guten-Morgen-Beitrag in einer unserer Lokalausgaben.
Die Autorin schildert darin einen Dialog mit einer Kellnerin, die freundlich fragt: „Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“ und als Antwort die Gegenfrage erhält: „Wie viel Zeit haben Sie denn?“ Das, meint der Leser, sei unanständig und respektlos vor Menschen, die als heutzutage schwer zu findende Fachkraft in der Gastronomie zur Wertschöpfung beitragen.
Bei einem Gespräch geht es zunächst um die Worte, die gesagt werden. Wie diese vom Gesprächspartner oder von dritter Seite verstanden werden, das wiederum wird zusätzlich von eigenen Gedanken, Erwartungen und Annahmen beeinflusst. Im Fall oben könnte eine solche - sehr naheliegende, weil in jedem Restaurant praktisch erlebte - Annahme sein: Die Kellnerin will mit ihrer Frage herausfinden, ob der Gast mit Essen und Service zufrieden ist - und die Antwort bezieht sich genau hierauf.
Aus dieser Perspektive deutet die Gegenfrage an, dass einiges im Argen liegen muss. Man kann den Dialog jedoch auch unter einer anderen Annahme betrachten: Die Kellnerin meint Essen und Service – der Gast aber interpretiert die Frage absichtlich nicht auf den Restaurantbesuch bezogen, sondern nach seinem persönlichen Befinden, und legt mit seiner Antwort nahe, dass es da eine Menge Beklagenswertes zu berichten gäbe. In diesem Sinne war der Guten-Morgen-Artikel gemeint, zumal die Autorin sich im ersten Satz der Kolumne selbst „einen etwas seltsamen Humor“ attestiert.
Ob der Spaß gelungen ist, darüber lässt sich mit Recht streiten. Wer recht hat, der Leser oder die Autorin, ist klarer: Aus ihrer jeweiligen Warte beide.