Volksstimme-Aktion „Leser helfen 2025“ Marius lernt auf dem Wasser - Gut Priemern wünscht sich Kanus für die Kinder- und Jugendhilfe
Raus in die Natur: Die Volksstimme und der Paritätische bitten um Spenden für das Sozialtherapeutische Zentrum Gut Priemern.

Priemern. - Rainer Franke kennt das nur zu gut. Der Vordermann seiner Schützlinge meckert herum, weil der Hintermann das Steuern im Kanu nicht beherrscht. Der Erlebnispädagoge weiß dann, was er anordnen muss: einen Rollentausch. „Danach ist meistens Ruhe.“ Danach hat der frühere Vordermann verstanden, dass die Rolle des Steuermanns gar nicht so ohne ist. Er hat die Perspektive gewechselt, eine Lektion erhalten.
Und pädagogische Einheiten braucht es viele in der Kinder- und Jugendhilfe des Sozialtherapeutischen Zentrums Priemern bei Osterburg (Altmark). Das Projekt wird im Rahmen der Volksstimme-Aktion „Leser helfen 2025“ mit dem Motto „Starke Kinder, starke Familien“ vorgestellt.
Marius Michaelis (16) lebt seit vier Jahren im Landhaus in Meßdorf, einer von sechs Wohngruppen der Kinder- und Jugendhilfe des Sozialtherapeutischen Zentrums Gut Priemern. Rainer Franke war damals noch Hausleiter und erinnert sich gut daran, wie Marius war. „Klein, frech, fordernd, grenzüberschreitend. Er hatte Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle.“ Oder wie die Bereichsleiterin der Kinder- und Jugendhilfe, Ramona Lenz, es ausdrückt: „Wenn Marius rot gesehen hat, ist er durch Wände gegangen.“ Das geschah zum Beispiel, wenn jemand etwas gegen seine Familie gesagt hat, erinnert sich Marius. Seine Familie bleibe seine Familie, auch wenn er sie aufgrund schwieriger Umstände verlassen musste. „Es ging nicht mehr zu Hause.“
Marius stammt aus Leipzig und kam zunächst in ein Heim in Halle/Saale, „zwei Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, das war gar nicht gut“, erzählt er. Welch’ Segen dagegen die ländliche Region der Altmark – und doch, mit der Jugend kamen die Versuchungen. Die betreuten Wohngruppen sind ja keine geschlossenen Einrichtungen, wollen es auch gar nicht sein.

Marius jedenfalls hat eine Drogenkarriere hinter sich. Er nahm „alles“, wie er sagt. Amphetamine, Chrystal Meth, Ecstasy und eines Tages eine Überdosis an Lyrica anticalium. Ein Medikament gegen Epilepsie, das immer häufiger in der Straßendrogen-Szene missbraucht wird. Marius landete in der Notaufnahme. „Eine Tablette mehr und ich wäre gestorben, hat der Arzt gesagt.“ Das gab einen Ruck.
Nun ist Marius schon länger clean, aber das Leben bleibt eine Herkulesaufgabe. „Jugendliche wie Marius haben keine gesunden Lösungsstrategien an der Hand, sie müssen sich alles hart erarbeiten“, sagt Ramona Lenz.
Marius hat viel gelernt. Zum Beispiel, dass man eine brenzlige Situation verlassen kann. Stressbälle helfen, ein Spaziergang, zu reden, Sport. „Es geht mir deutlich besser.“ Inzwischen hat Marius seinen Hauptschulabschluss in der Tasche. Das Konzept des Produktiven Lernens – drei Tage die Woche Arbeit in Betrieben, zwei Tage Lernwerkstatt – der Comenius Sekundarschule Stendal war gut für ihn.
Ein Schulabschluss, das ist schon mal die halbe Miete. Doch der Dämpfer kam prompt: Marius begann eine Maurerlehre, sein Ausbilder kündigte ihm. Offenbar war Marius noch nicht so weit. Nun hat er Kontakt mit einem Praktikumsbetrieb aus der Schulzeit aufgenommen. „Er wird mich wohl als Lehrling nehmen.“
Bis es so weit ist, gehört die Erlebnispädagogik von Rainer Franke zu Marius’ Highlights. Der junge Mann ist ein Naturtalent im Bogenschießen, liebt neben dem Angeln auch das Kanufahren. Bislang muss das Gut Priemern sich die Kanus immer ausleihen. „Ein eigener Satz mit Trailer wäre ein Traum. Dann könnten wir hier ganz andere Sachen anbieten“, sagt Rainer Franke. Marius würde noch davon profitieren. Und irgendwann, so hofft er, führt er ein normales Leben. „Mit Eigenheim.“