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Sparkassen Michael Ermrich: „Angriff auf unser klassisches Geschäftsmodell“

Michael Ermrich, Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes, spricht über Negativzinsen, die EZB-Politik und über die Zukunft der Sparkassen in Sachsen-Anhalt.

Von Massimo Rogacki Aktualisiert: 15.11.2021, 12:59
Sitz des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV)  in Berlin-Mitte. Der OSV wurde als Sparkassenverband der DDR im März 1990 gegründet.
Sitz des Ostdeutschen Sparkassenverbandes (OSV) in Berlin-Mitte. Der OSV wurde als Sparkassenverband der DDR im März 1990 gegründet. Fotos: Ostdeutscher Sparkassenverband

Volksstimme: Herr Ermrich, Bankenkunden müssen vermehrt Strafzinsen auf Guthaben zahlen? Wohin entwickelt sich das?

Michael Ermrich: Wenn sich die Politik der Europäischen Zentralbank nicht ändert, wird die Diskussion über Verwahrentgelte und Negativzinsen weiter anhalten. Vor einigen Jahren hoffte ich, dass die EZB nur für ein kurze, überschaubare Zeit Negativzinsen erhebt. Das hat sich leider nicht bewahrheitet und deshalb sehen wir, dass immer mehr Banken, Volksbanken und auch Sparkassen Verwahrentgelte und Negativzinsen verlangen müssen.

Was sollte die EZB unternehmen?

Sie müsste zunächst einmal ihren negativen Einlagezins zurückführen. Zudem muss sie die Ankaufspolitik umstellen. Wir beklagen insgesamt einen Margenverfall bei Zinsen und Krediten. Für den Kreditnehmer ist das natürlich erfreulich. Aber dadurch erzielen die Kreditinstitute, also Banken, Volksbanken und eben unsere Sparkassen, nicht mehr die zur Abdeckung der Geschäftskosten notwendige Zinsspanne.

Michael Ermrich (67) ist seit 2013 OSV-Präsident. Am 1. Januar 2022 übernimmt  Ludger Weskamp, bislang Landrat des Landkreises Oberhavel.
Michael Ermrich (67) ist seit 2013 OSV-Präsident. Am 1. Januar 2022 übernimmt Ludger Weskamp, bislang Landrat des Landkreises Oberhavel.
Foto: OSV

Eine völlig andere Welt, als wir sie seit 200 Jahren kennen.

Normalerweise ist es ja so: Die Kunden vertrauen unseren Sparkassen ihr Geld an und erhalten einen Zins. So haben sie auch einen Anreiz, zu sparen. Und auf der anderen Seite geben wir das Geld aus für Kredite. Das Kreditwachstum ist trotz Pandemie nach wie vor sehr groß. Aber die Kreditzinsen sind durch die Masse des Geldes, das auf dem Markt ist, eben so niedrig, dass es keine wirtschaftlich notwendige Zinsspanne mehr ergibt. Es werden ja schon Zinsen unter Null vergeben, um dem negativen Einlagenzins bei der EZB zu entgehen. Das ist eine völlig andere Welt, als wir sie seit 200 Jahren kennen. Das ist eine große Herausforderung bei unserem Verhältnis zum Kunden und für unser Geschäftsmodell insgesamt.

Was würden Sie Sparern in dieser Zeit raten?

Sparen ist natürlich immer noch sinnvoll. Sie müssen erstmal wissen, wofür Sie sparen. Für die Altersvorsorge, für ein Auto oder ein Eigenheim. Darauf muss der Sparplan dann aufgebaut sein. Wenn ich Geld sofort oder in der nahen Zukunft brauche, dann nehme ich ein anderes Modell, als wenn ich etwa meine private Vorsorge für das Alter plane. Das ist eine sehr individuelle Entscheidung, die abhängig von der  persönlichen Lebenssituation ist. Hier hilft der Sparkassenberater gern weiter.  Ich sehe derzeit beim konventionellen Sparen die Gefahr einer schleichenden Geldentwertung durch Inflation und fehlenden Zins.  

Die Freibeträge werden ja immer weiter abgesenkt. Einige Banken erhoben Negativzinsen anfangs bei 100.000 Euro. Dann waren es bei einigen schon 50.000 Euro. Wie geht es bei den Sparkassen weiter?

Zunächst einmal, ich bin kein Freund von Negativzinsen. Ich habe immer erklärt, dass wir alles dran setzen, sie zu verhindern. Dies konnten wir auf Dauer nicht aufrechterhalten. Viele unserer Mitbewerber, also Banken und Volksbanken und Online-Banken, aber auch Sparkassen, arbeiten zunehmend mit Negativzinsen; sie müssen das tun. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man Kleinsparer nicht damit belasten sollte.

Das ist aber eine Frage, die jede Sparkasse für sich beantworten muss. Es gibt bis heute Sparkassen, die keine Verwahrentgelte nehmen. Beobachten lässt sich aber auch, dass neue Kunden zu uns wechseln, wenn ihre bisherige Bank  Negativzinsen einführt. Das ist natürlich auch eine Herausforderung. Denn wir haben ja die gleichen Probleme wie die anderen. Dann muss man bei Neukunden im Gegensatz zu den Bestandskunden schauen, ob man Verwahrentgelte nimmt.

Der Bürger will Geld, ihm ist egal, aus welchem Automaten es kommt.

Zur Zukunft der Sparkassen: Welche Herausforderungen warten in den kommenden Jahren? Wird das Filialnetz weiter ausgedünnt?

Wir müssen zunächst mal mit dieser besonderen Herausforderung der gegenwärtigen Geldpolitik umgehen. Die Sparkassen sind ständig dabei, ihre Potenziale zu heben. Wir werden weiter in Digitalisierung investieren, Abläufe rationalisieren, zusammenfassen. Bei allen Leistungen, die nicht im Kundenkontakt, sondern im Hintergrund laufen, wird es weiter Standardisierungen geben. Die sollen dann auch dabei helfen, die immer schwieriger werdende Regulatorik zu beherrschen. Neben der Digitalisierung müssen wir uns Gedanken über das Filialnetz der Zukunft machen. Erhebungen sagen aus, dass auch digitalaffine Kunden durchaus Wert darauf legen, von Zeit zu Zeit eine Filiale zu besuchen.

Es gibt Modelle, bei denen Volksbanken und Sparkassen an einem Standort zusammengehen. Eine denkbare Variante gerade im ländlichen Raum?

Das ist durchaus denkbar, dass man etwa Geldausgabeautomaten gemeinsam betreibt. Der Bürger will Geld, ihm ist im Endeffekt egal, aus welchem Automaten es kommt. Wir wollen auch im ländlichen Raum Bargeld für die Menschen vorhalten. Wenn auf der anderen Seite die Digitalisierung voranschreitet, dann ergibt es schon Sinn, wenn ein blauer und ein roter Geldausgabeautomat gemeinsam unter einem Dach betrieben werden.

Wie sind die Sparkassen in Sachsen-Anhalt durch die Corona-Krise gekommen?

Gut. Wir waren auch auf dem Höhepunkt der Pandemie für unsere Kunden bis auf wenige Einschränkungen erreichbar. Die Nutzung von digitalen Angeboten und insbesondere Bezahlverfahren haben einen Schub bekommen. Wir konnten Videoberatung anbieten, die gut angenommen wurde. Und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben diese besondere Situation gut gemeistert. Zudem gab es umfangreiche Bundes- und Länderprogramme. Über ihre Möglichkeiten haben wir unsere Kunden informiert und die Programme mit Leben erfüllt. Sparkassen haben vielfach ein individuelles Angebot vorgehalten und beispielsweise Kredite gestundet. Das ist alles unproblematisch gelaufen. Nicht nur Privatkunden, sondern auch die kleinen und mittelständischen Betriebe konnten auch in dieser Zeit auf uns bauen.

Befürchten Sie, dass uns noch eine Welle von Insolvenzen bevorsteht?

Wir haben ja schon viel früher damit gerechnet, dass eine Reihe von Betrieben Schwierigkeiten bekommt. Das ist nicht eingetreten. Auch nicht mit dem Ende der Ausnahmeregelungen der Insolvenzantragsverordnung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei einzelnen Betrieben noch Probleme auftreten. Das ist natürlich schmerzhaft. Nach einer Welle von Insolvenzen sieht es aber nicht aus. Bei unseren Betrieben ist die Lage sehr gut.

Wie bewerten Sie die Sanierung der Nord/LB? 2019 mussten die Sparkassen und die Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt die kriselnde Landesbank retten.

Ich bin in den Gremien der Nord/LB nicht vertreten und kann die Entwicklung demzufolge auch nur von außen betrachten. Ich habe aber schon den Eindruck, dass der Sanierungsplan weiter planmäßig verläuft. Man muss auf dem Weg der Sanierung immer mal wieder Korrekturen vornehmen. Eine zwei Jahre andauernde Pandemie konnte niemand vorhersehen.

Sie haben bereits eine politische Karriere hinter sich. Die Wirtschaft wurde in der Pandemie mit Milliarden gestützt, neue Schulden wurden gemacht. Wer bezahlt am Ende die Zeche?

Wir werden die Zeche alle gemeinsam zahlen müssen. Ich wünsche mir, dass auch die künftige Landesregierung in Sachsen-Anhalt eine maßvolle Politik betreibt und den Bürgern vermittelt, dass es etwas kostet, wenn man bestimmte Forderungen aufmacht. Sinnvolle Investitionen sollte man unterstützen, gerade auch in der Zeit, in der die Zinsen so niedrig sind. Man sollte aber daran denken, dass das Geld auch bezahlt werden muss. Den Menschen sollte man klarmachen, dass man prüfen muss, ob man sie sich auch leisten kann und nicht alle Wünsche erfüllbar sind.

Sie waren lange Zeit Landrat im Harz, sind Wernigeröder. Blutet Ihnen das Herz beim Blick auf die Baumschäden?

Das ist eine blanke Katastrophe. Ich bin der Meinung, die Schäden sind nicht nur eine Frage des Klimas. Es geht auch um das Spannungsfeld zwischen Nationalparkidee und dem Wirtschaftswald. Meiner Meinung nach hätte uns eine sinnvolle Borkenkäferbekämpfung vor größeren Schäden bewahrt. Klar wird sich die Natur erholen, man kann Waldumbau betreiben. Aber da werden einige Jahre vergehen. In zwanzig Jahren werden wir eine komplett andere Vorstellung vom Wald haben. Den Wald, wie wir ihn kennen – den werde ich nicht mehr erleben.

Eine Seilbahn wäre nicht nur eine Aufstiegshilfe für Ältere gewesen, sie wäre eine Attraktion geworden.

Erwarten Sie Auswirkungen auf den Tourismus im Harz?

Schwer zu sagen. Der Harz ist und bleibt bei Touristen beliebt. Gerade der innerdeutsche Tourismus hat Zuwächse. Das bietet Chancen. Laut Touristikern gehen die Zahlen im Harz nicht zurück. Möglicherweise hätten wir im Harz aber Zuwächse haben können, die nun anderen zugutekommen. Das wird man in zwei, drei Jahren aber erst merken. Und dass ein Infrastrukturvorhaben wie das Seilbahn-Projekt in Schierke gescheitert ist, halte ich für schwierig. Die Menschen heute wollen breitgefächerte Möglichkeiten, nicht nur das Wandern in der Natur. Eine Seilbahn wäre nicht nur eine Aufstiegshilfe für Ältere gewesen, sie wäre eine Attraktion geworden. Nach der Pandemie belastet der Arbeitskräftemangel die Branche mehr denn je, auch im Harz.

Sie werden Ihr Amt bis zum 31. Dezember bekleiden. Dann übernimmt Ludger Weskamp. Blicken Sie mitunter schon zurück und erinnern sich an prägende Episoden?

Ehrlich gesagt, noch nicht. Dazu ist es noch etwas zu früh. Darüber werde ich mir dann auch etwas länger Gedanken machen müssen (lacht).

Was steht bis Ende des Jahres für Sie als Chef des OSV ganz oben auf der Agenda?

Größte Herausforderung derzeit: Wir wurden von der Europäischen Bankenaufsicht aufgefordert, einige Korrekturen in unserem Haftungssystem vorzunehmen. Außerdem arbeiten wir an einer Geschäftsstrategie 2025.Wie sieht unsere Antwort auf Fragen der Regulatorik aus? Außerdem müssen wir sehen, wie wir gemeinsam mit Politik, Verwaltung und Wirtschaft mit der Politik der EZB umgehen. Wie ich schon sagte: Die gegenwärtige Politik ist eine Angriff auf unser klassisches, krisenbewährtes und der örtlichen Wirtschaft dienendes Geschäftsmodell.

Abschließende private Frage: Werden Sie nach diesem Jahr wieder mehr Zeit haben, ihr Hobby, das Laufen, zu betreiben?

Wird man sehen. Im Moment ist das in der Tat etwas schwierig. Ich nehme traditionell an zwei Läufen teil. Der Rennsteiglauf wurde auf Oktober verschoben. Der Harzgebirgslauf findet am Wochenende darauf statt. Das ist eine Herausforderung. Ich weiß nicht, ob ich das in diesem Jahr in meinem derzeitigen Trainingszustand schaffe (lacht).