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59 jahre alter Magdeburger gerät in eine Kreissäge / Ärzteteam gelingt Replantation / Prognose für den Patienten: Ausgesprochen gut / Rettungssanitäter: "Mist! Das ist kein Infarkt - der Arm ist ab"

Von Bernd Kaufholz 10.08.2011, 04:25

Am 15. Juni war Claus Meischner mit dem Arm in eine Kreissäge geraten. Der Arm wurde kurz über dem Ellenbogen abgetrennt. Mit viel Glück überlebte der Magdeburger den Unfall. Die Umsicht der Notärztin sowie das Können der Unfall- und plastischen Chirurgen machten es sogar möglich, dass dem 59-Jährigen der Arm erfolgreich replantiert werden konnte.

Magdeburg. Die Minuten vor dem schweren Unfall und auch die ersten Tage danach liegen für Claus Meischner wie hinter einer dicken Nebelwand. Und an einige Details kann sich der 59-Jährige gar nicht mehr erinnern: Blackout.

Doch das sei ganz normal, sagt Professor Manfred Infanger, Spezialist für Plastische, Ästhetische, Handchirurgie, und seit dem 1. Juni 2011 Chef dieser Fachklinik am Magdeburger Universitätsklinikum. Meischner war zwei Wochen später sozusagen der Einstand für den Schweizer.

Zwischendecke kam herunter

Am späten Vormittag des 15. Juni dieses Jahres wollte Claus Meischner in seiner Garage an seinem Haus im Magdeburger Stadtteil Neustädter Feld die letzten Laminatteile für seine Kellertreppe zuschneiden. Die große Standkreissäge schnarrte und der Heimwerker hatte die Bretter schon bereitgelegt.

"Ich bin bei solchen Sachen immer sehr vorsichtig", sagt Meischner dieser Tage. "Ich bin in der Familie sogar als ,Sicherheitspapst\' verschrien."

Doch die größte Vorsicht nutzte ihm an jenem Tag nichts. Denn krachend, brach über ihm der Zwischenboden unter der Decke des Raumes ein. Der 59-Jährige geriet durch herabfallende Teile in das rotierende Sägeblatt. Wie genau, weiß er nicht. Sein linker Arm wurde vier Zentimeter über dem Ellenbogen beinahe glatt durchtrennt.

Doch daran kann sich das Unfallopfer nicht mehr erinnern. Auch nicht, dass er danach einen Freund angerufen hat: "Du musst kommen. Es ist etwas Furchtbares passiert."

Weil Meischner nichts von einem Sägeunfall sagte, glaubte der Angerufene, dass es sich um eine Kreislaufsache, möglicherweise gar einen Infarkt, handelt. Der glückliche Umstand war, dass der Alarmierte trotz der spärlichen Informationen einen Rettungswagen zum Haus des Freundes schickte.

An Schmerzen könne er sich nicht erinnern, so Meischner, und auch nicht daran, dass er sich selbst den Stumpf notdürftig abgebunden hat.

Erst im Nachhinein hat er zudem erfahren wie er gefunden wurde. "Ich soll hinter der Tür gelegen haben - in einer großen Blutlache. Die Rettungssanitäter haben auf dem Grundstück nach mir gesucht. Einer hat mich gefunden und soll zu seinem Kollegen gerufen haben: ,Mist! Komm schnell her! Das ist kein Infarkt - der Arm ist ab.\'"

Zu einer Szene wenig später im Rettungswagen neben Notärztin Dr. Andrea Adler lichtet sich der Nebel ein wenig: "Als ich erfahren habe, dass ich in die Uniklinik gebracht werden soll, habe ich gesagt, dass ich lieber nach Olvenstedt will, weil meine Frau es dann nicht so weit hat, mich zu besuchen."

Professor Infanger: "Bei Abtrennungen von Gliedmaßen kommt es auf jede Minute an und darauf, dass ein Rädchen ins andere greift." So habe man bei Fingern 6 bis 12 Stunden Zeit, ihn zu replantieren. Bei einem Oberarm aufgrund der starken Muskulatur nur zwei. Bei einem Unterarm zwischen vier und sechs Stunden. Voraussetzung sei eine Kühlung des sogenannten Amputats von etwa vier bis sieben Grad.

"Werden Muskeln zu lange nicht durchblutet, werden Giftstoffe in den Körper geschwemmt. Das kann zum Herzstillstand oder Nierenversagen führen."

Wichtig sei zudem, wie mit dem abgetrennten Körperglied bis zur Operation verfahren wird. "Optimal ist, das Körperteil eingetütet in einem Plastiksack, in einen weiteren Plastiksack, der mit zwei Dritteln Wasser und einem Drittel Eis gefüllt ist, zu stecken", erklärt der plastische Chirurg. Und er zollt der Notärztin Anerkennung: "Optimale Arbeit."

In der Uniklinik war man bereits auf den Patienten vorbereitet. Nach dessen Eintreffen bereitete das Team um Unfallchirurgen Dr. Stefan Piatek den Stumpf des Schwerverletzten vor, Professor Manfred Infanger und seine Leute den abgetrennten Arm. Die eigentliche OP dauerte dann acht Stunden. Zwei Stunden nach dem Unfall war erreicht, dass die Gefäße wieder durchblutet wurden. Dabei wurde dem Unfallopfer aus dem Bein rund sieben Zentimeter Venenenmaterial entnommen, wie sie auch für Bypässe angewendet werden. Dieses wurde an der Trennstelle eingesetzt. "Es gab keine Probleme. Alles lief wie am Schnürchen."

Vor der OP Bild vom Patienten gemacht

Für den erfahrenen Spezialisten sind Replantationen keine Seltenheit. "Ich habe aufgehört zu zählen, aber etwa 40 im Jahr kommen schon zusammen." Er räumt allerdings ein, dass "so große" recht selten, jedoch nicht die schwierigsten seien. "Sehr kompliziert sind Durchtrennungen der Mittelhand."

Der Klinikchef, der viele Jahre in der Schweiz, in China und den USA tätig war, hat im schönsten "Schwizerdütsch" noch eine Anekdote bereit: "Ich wollte am Unfalltag eigentlich mit meinem sechsjährigen Sohn etwas unternehmen. Als ich ihm am Telefon absagen musste, hat er gefragt: Atmet der Kranke noch? Schlägt das Herz noch? Ich habe das bejaht. Darauf er: Dann verstehe ich nicht, warum du wegen so einer Kleinigkeit nicht nach Hause kommst."

"Bevor wir bei einem Patienten replantieren, mache ich mir ein genaues Bild von seinen Lastern. Denn bei Menschen, die stark dem Alkohol zusprechen, kettenrauchen oder gar Drogen nehmen, sind die Chancen dafür, dass Gliedmaßen anwachsen und zumindest wieder teilfunktionsfähig werden, gering." Doch bei Meischner seien die Chancen trotz seiner 59 Jahre aufgrund seines gesunden Lebens sehr gut.

Zwei Jahre werde der komplette Genesungsprozess noch dauern. Wichtig sei, dass die "Nerven einwachsen", sagt Professor Infanger. Und er zeigt, wie weit unterhalb der OP-Narbe die Empfindlichkeit des einst abgetrennten Arms bereits wieder vorhanden ist.

Am 12. Juli wurde der Magdeburger aus der Klinik entlassen. Die tägliche Beschäftigung des gelernten Telekommunikationsfachmanns heißt nun Physio- und Ergotherapie: Arm- und Fingerübungen.

Claus Meischner ist allen, die sich mit großer Hingabe und mit ebenso viel fachlichem Können um ihn gekümmert haben, sehr dankbar. "Ich kann das gar nicht in Worte fassen", sagt er. "Und ich will gar nicht daran denken, wie es wäre, wenn das mit der Replantation nicht geklappt hätte ..."