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Naturschutz Wildtiere erobern Sachsen-Anhalts Städte

Sind Wildtiere eine Bereicherung oder ein Problem in Sachsen-Anhalts Städten? In Magdeburg kümmert sich eine Projektgruppe um Konflikte.

22.10.2017, 07:45

Magdeburg (dpa) l Die Wiese im Magdeburger Stadtpark Rotehorn sieht an mehreren Stellen aus wie ein Acker. Grasbrocken liegen kreuz und quer verteilt, auf ganzen Flächen ist nur noch braune Erde zu sehen. Jan Driesnack deutet auf eine frische Spur im Dreck. "Das war ein Überläufer", sagt der 40-Jährige, der bei der Stadt die Projektgruppe Wildtiere leitet. Überläufer, das sind etwa ein Jahr alte Wildschweine. Mit ihrer Schnauze durchpflügen sie die Wiese auf der Suche nach Futter – Würmer, Käfer oder Schnecken. "Wenn die es drauf anlegen, machen sie in einer Nacht die ganze Wiese schwarz", sagt Driesnack.

Wildtiere entdecken zunehmen die Stadt als Lebensraum für sich. Neben Wildschweinen fühlen sich auch Rehe, Füchse, Marder oder Waschbären in unmittelbarer Nähe des Menschen mittlerweile wohl. "Es sind eindeutig mehr geworden in den letzten Jahren", sagt Driesnack. In Magdeburg lebten inzwischen rund 200 Rehe und mehrere größere Wildschweingruppen. Berlin gilt mit mehreren Tausend Tieren als Schweine-Hauptstadt. Aber auch in anderen Großstädten wie München oder Köln seien die Tiere heimisch, berichtet Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverband.

Moritz Klose, Wildtierexperte bei der Umweltschutzorganisation WWF, sieht mehrere Gründe für diese Entwicklung. Weil gerade bei Wildschweinen die Bestände stark gestiegen seien, suchten die Tiere nach neuen Lebensräumen – und gelangten dabei auch in die Städte. "Auch hier finden sie genug zu fressen", sagt Klose. Hinzu komme, dass die Tiere auf städtischem Gebiet weniger Angst vor Jägern haben müssen.

Denn: Städte sind in der Jagdsprache sogenannte befriedete Gebiete. "Dort darf eigentlich gar nicht gejagt werden", sagt Reinwald vom Deutschen Jagdverband. Nur im Rahmen spezieller Ausnahmegenehmigungen dürfen Jäger zum Gewehr greifen – aus gutem Grund, wie Reinwald erklärt. "Das Gefährdungspotenzial ist in der Stadt ein ganz anderes." Um Wildschweine zu erlegen, brauche es großkalibrige Waffen mit entsprechender Durchschlagskraft. Da müsse sichergestellt sein, dass die Kugel nicht im heimischen Wohnzimmer landet. "Das erfordert viel Fingerspitzengefühl."

In Magdeburg gibt es deshalb seit dreieinhalb Jahren die Projektgruppe Wildtiere um Jan Driesnack. Sieben erfahrene Jäger und Wildtierexperten kümmern sich um die Konflikte, die die Tiere in der Stadt mit sich bringen. "Betroffene Anwohner melden sich praktisch jeden Tag bei uns", sagt Driesnack. Denn nicht immer bleiben die Wildschweine im Stadtpark, manchmal statten sie auch Gartenanlagen einen Besuch ab. Häufig gerufen werden Driesnack und seine Mitstreiter aber auch wegen Mardern oder Waschbären, die sich ins Haus eingeschlichen haben.

In der Regel schaut sich die Projektgruppe die Situation dann vor Ort bei den Betroffenen an. Häufig lasse sich das Problem durch bessere Zäune oder dem Verschließen von Öffnungen am Haus in den Griff bekommen, sagt Driesnack. Zudem wichtig laut WWF-Experte Klose: Mülltonnen sicher verschließen, kein Katzen- oder Hundefutter draußen stehen lassen – und auf gar keinen Fall die Wildtiere durch Füttern noch zusätzlich anlocken.

Hilft das alles nichts, werde den Tieren auch mit Fallen nachgestellt, sagt Driesnack. Zugewanderte Arten wie Waschbär, Marder oder die Biberratte Nutria dürfe jeder Grundstückseigentümer töten. "Das muss allerdings tierschutzgerecht geschehen." Auch dabei unterstützt die Projektgruppe.

In den Parks der Stadt wird zudem regelmäßig Jagd auf Wildschweine gemacht – im Herbst meist einmal im Monat. Ziel sei es, den Bestand in einem vertretbaren Rahmen zu halten. "Ganz aus der Stadt bekommen werden wir die Tiere aber nicht", sagt Driesnack.

Allerdings dürfe man nicht nur über die Tiere reden, die Probleme machen, sagt der Magdeburger Wildtierexperte. Auch eine ganze Reihe seltener Tierarten habe sich inzwischen auf städtischem Gebiet angesiedelt – an der Elbe fänden sich etwa Biber und Eisvögel. "Das ist gut für den Artenschutz."

Ähnlich sieht das WWF-Experte Klose. "Es ist toll, dass die Tiere zurückkommen, weil sie hier einen passablen Lebensraum finden." Uhus, Mäusebussarde oder die Feldlerche seien weitere Beispiele. "Das ist eine tolle Möglichkeit, um in der Stadt Natur hautnah zu erleben", findet Klose