1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Halle-Anschlag: Der Prozess im Überblick

Rechtsextremist Halle-Anschlag: Der Prozess im Überblick

Heute in einer Woche startet am Magdeburger Landgericht das Verfahren gegen den Attentäter Stephan B. - ihm droht lebenslange Haft.

14.07.2020, 08:32

Magdeburg l Eine große Glasfront mit Sicherheitsfolien trennt die wenigen zugelassenen Zuschauer von dem Verhandlungssaal. Für den Prozess hat sich die Justiz eigens einen Röntgenscanner für Taschen, wie vom Flughafen bekannt, angeschafft. 300.000 Euro stehen für die Umsetzung der vom Bundeskriminalamt empfohlenen Sicherheitsmaßnahmen bereit.

50 Zuschauer und 44 Journalisten sind im Saal zugelassen. Dazu kommen 40 Nebenkläger. Auf der Anklagebank sitzt der 28-jährige Stephan B. Vorgeworfen wird ihm der versuchte Massenmord an Juden am Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag.

Der Rechtsextremist aus Benndorf bei Eisleben soll sich zum einen wegen des vollendeten Mordes in zwei Fällen verantworten. Stephan B. hatte nach seinem Versuch in die Synagoge einzudringen, eine Passantin von hinten erschossen. Die 40 Jahre alte Jana L. aus Halle war damals an dem Täter vorbeigelaufen.

Nach dem missglückten Anschlag auf die Synagoge und dem Mord fuhr er ein kurzes Stück durch die Stadt. Er entschloss sich laut Bundesanwaltschaft möglichst viele Menschen mit Migrationshintergrund zu töten. Mit dem Gewehr lief er zu einem Döner-Laden. Er schoss zweimal.

Eine Person flüchtete in den Imbiss, er folgte ihr. Dort kauerte Kevin S. hinter einem Kühlschrank. Er flehte um sein Leben. Stephan B. erschoss auch ihn. Er wurde nur 20 Jahre alt. Der junge Handwerker starb, als er sich in seiner Mittagspause einen Döner holte.

Stephan B. muss sich auch wegen versuchten Mordes an insgesamt 68 Menschen verantworten. Darunter sind die 52 Besucher der Synagoge. Sie kamen etwa zur Hälfte aus den USA. Weiterhin muss sich Stephan B. in zwei Fällen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie „versuchter räuberischer Erpressung mit Todesfolge“ verantworten.

Dabei handelt es sich um den Überfall in Wiedersdorf im Saalekreis, bei dem der Angeklagte einen neuen Fluchtwagen kapern wollte. Er schoss mit einem Revolver auf den 51-jährigen Jens Z. und die 50-jährige Dagmar M. Auf beide feuerte er mehrere Schüsse ab. Sie überlebten nur mit viel Glück, weil Stephan B. keine Patronen mehr hatte. Am Ende soll er sich ein Taxi geraubt haben. Deshalb lauten weitere Vorwürfe auch besonders schwere räuberische Erpressung und Volksverhetzung.

Am schwersten wiegen die Mordvorwürfe. Allein dafür droht Stephan B. eine lebenslange Freiheitsstrafe. Was das bedeutet, erklärt Professor Joachim Renzikowski. Er lehrt Strafrecht und Rechtstheorie an der juristischen Fakultät in Halle: „Lebenslang bedeutet erst einmal ein Leben lang.“ Allerdings kann ein verurteilter Mörder nach Paragraf 57 a Strafgesetzbuch die „Aussetzung des Strafrestes“ auf Bewährung nach 15 Jahren beantragen.

Das hängt dann von der Sozialprognose und der weiteren Gefährlichkeit des Betroffenen ab. Voraussetzung ist, dass ein Experte feststellt, dass von dem Verurteilten keine weiteren Straftaten mehr zu erwarten sind. Außerdem darf bei der Urteilsverkündung keine „besondere Schwere der Schuld“ festgestellt worden sein. Genau dies dürfte in diesem Prozess aber die zentrale Frage sein. Denn die Tat selbst hat Stephan B. bereits eingeräumt und sie ist von ihm auch selbst größtenteils im Video festgehalten worden.

Stellt das Gericht diese fest, legt eine Strafvollstreckungskammer nach 15 Jahren fest, wie viel Strafe wegen dieser besonders schweren Schuld noch verbüßt werden muss, bis der Verurteilte auf Bewährung entlassen werden kann. Dabei spielt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit eine entscheidende Rolle. Eine feste Obergrenze gibt es nicht.

Hat ein Täter übrigens mehrere Straftaten begangen, die für sich gesehen eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen würden, so werden diese nicht, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten, addiert, sondern zu einer lebenslangen Haftstrafe zusammengefasst. In diesem Fall wird allerdings meist auch von einer besonderen Schwere der Schuld ausgegangen. Infrage kommen könnte auch eine anschließende Sicherungsverwahrung, wenn der Strafsenat dafür ausreichend Gründe feststellt.

In Magdeburg wird verhandelt, weil der Saal C 24 im Landgericht der größte in Sachsen-Anhalt ist. Das Oberlandesgericht in Naumburg bleibt aber wegen der Bedeutung der Tat zuständig. Zum Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) in Naumburg gehören normalerweise drei Berufsrichter.

Nach Angaben von OLG-Sprecher Henning Haberland wird angesichts der Bedeutung des Falles der Senat um zwei Berufsrichter erweitert. Unter dem Vorsitz von Richterin Ursula Mertens sollen demnach zwei weitere Richterinnen und zwei Richter den Senat bilden. Gegen das Urteil könnte wie in jedem Mordprozess noch Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.

Der Generalbundesanwalt teilte bereits im Vorfeld mit, dass Stephan B. „aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus“ den Mordanschlag plante. Zu diesem Zweck rüstete er sich mit insgesamt acht Schusswaffen, mehreren Sprengsätzen, einem Helm und einer Schutzweste aus und fuhr am 9. Oktober kurz vor 12 Uhr zur Synagoge in der Humboldt­straße.

Weiter heißt es: „Wie von Anfang an geplant, filmte der Beschuldigte das nachfolgende Tatgeschehen mit einer Kamera und verbreitete die Aufnahmen per Livestream im Internet.“ Zudem habe er unmittelbar vor der Ankunft an der Synagoge Internet-Links zu drei von ihm selbst verfassten Dokumenten veröffentlicht.

In diesen erläuterte Stephan B. unter anderem seinen Tatplan und seine Motivation. Außerdem rief er in ihnen dazu auf, alle Juden zu töten und stellte einen Internet-Link zu einer Internetplattform bereit, auf welcher der Live-Stream übertragen wurde. Dieser zeigt auch, wie sich Stephan B. der Eingangstür der Synagoge nähert. „Dabei ging er davon aus, das Gebäude alsbald betreten und sogleich mit der Tötung der Gläubigen beginnen zu können“, heißt es weiter.

Allerdings gelang es ihm nicht, das Tor zur Synagoge zu öffnen. Er warf eine Sprenggranate auf das Grundstück. „Hierdurch wollte er sich dort aufhaltende Gläubige töten oder diese zur Flucht aus der Synagoge bewegen, um sie anschließend erschießen zu können“, so der Vorwurf.

Da dieser Plan misslang, versuchte der Angeklagte das Tor zum Grundstück vergeblich aufzudrücken und aufzusprengen. Der Sprengsatz verfehlte die von ihm erhoffte Wirkung. Unmittelbar danach richtete er die vollautomatische Schusswaffe auf eine zufällig vorbeikommende Passantin, die ihn zuvor auf sein Verhalten angesprochen hatte. In ihren Rücken gab Stephan B. einen Feuerstoß mit vier Schüssen ab. Nachdem er erkannt hatte, dass auch ein erneuter Sprengversuch gescheitert war, lief er auf die leblos am Boden liegende 40 Jahre alte Frau zu und gab einen weiteren Feuerstoß auf sie ab.

Unmittelbar danach lief er zur Eingangstür zurück und erblickte eine in einiger Entfernung vorbeigehende Passantin. Auch sie versuchte Stephan B. mit seiner Maschinenpistole zu erschießen. Er erkannte allerdings, dass seine Waffe eine Ladehemmung hatte und der Abzug klemmte. Noch bevor er in der Lage war, die Waffe wieder gangbar zu machen, entfernte sie sich. Danach wurde Stephan B. vom Fahrer eines Kleinlieferwagens angesprochen. Auch auf diesen richtete er daraufhin die vollautomatische Waffe, konnte jedoch wiederholt keinen Schuss abgeben. Aus diesem Grund ergriff er seine Schrotflinte, um sein Vorhaben umzusetzen.

Diese zeitliche Verzögerung nutzte der Fahrer, um sich in Sicherheit zu bringen. Im Anschluss versuchte er - wiederum erfolglos - ein letztes Mal, sich Zutritt zur Synagoge zu verschaffen. Zu diesem Zweck gab er drei Schüsse auf die Eingangstür ab. Dann kehrte er zu dem Fahrzeug zurück, entnahm diesem fünf zuvor selbst hergestellte sogenannte Molotowcocktails, zündete sie an und warf sie über die Mauer des Anwesens der jüdischen Gemeinde.

Frustriert über diesen Misserfolg fasste Stephan B. den Entschluss, den Ort des Geschehens zu verlassen und Menschen mit Migrationshintergrund zu töten. Nach einer kurzen Fahrt stoppte er vor einem Döner-Imbiss, den er für ein geeignetes Anschlagsziel hielt. Dort hielten sich neben einem Angestellten vier männliche Gäste auf.

Zunächst versuchte er diese mit einer Sprenggranate zu töten. Allerdings verfehlte sie die Eingangstür, weshalb der Sprengsatz auf dem Bürgersteig explodierte. Beim anschließenden Betreten des Imbisses traf Stephan B. im Eingangsbereich auf das spätere zweite Mordopfer.

Bisher sind 17 weitere Termine bis in den Herbst festgelegt. Diese könnten aber jederzeit um weitere Prozesstage erweitert werden.