Zum 92. Geburtstag Alexander Kluge schenkt Halberstadt eine Ausstellung
Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge wird am Mittwoch 92 Jahre alt. Seinen Geburtstag feiert er in seiner „Vaterstadt“ Halberstadt – mit einer Ausstellung im Gleimhaus.

Halberstadt. - Im Fachwerkhaus gleich neben dem mächtigen gotischen Dom von Halberstadt wohnte einst Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803). Seit 1862 ist dieses Anwesen ein Literaturmuseum, das seither an Leben, Werk und Wirken des Dichters und Sammlers erinnert. Gleim ist ein großer, wichtiger Name der Aufklärungszeit. „Er ist der Hans Werner Richter des 18. Jahrhunderts. Er war der Begründer der Gruppe 47. Er hat die Leute zusammengebracht“, sagt Alexander Kluge. Wer Kluge kennt, weiß, dass er das ebenso macht, er ist wie Gleim ein gewaltiger Netzwerker.
„Die Aufklärung braucht man im Jahr 2024 so notwendig wie nie zuvor.“ Kluge ist wieder in Halberstadt, im dortigen Gleimhaus, dem Museum der deutschen Aufklärung, und führt durch seine noch im Aufbau befindliche Ausstellung. Am Mittwoch wird sie eröffnet.
Die Aufklärung, so erzählt er, ist für ihn ein Bauhaus, das es nicht nur in Weimar und Dessau gibt, sondern auch in uns drin. „Wir haben ein Bauhaus der Gefühle. Das ist unsere Innenausstattung. Das sind unsere inneren Möbel.“ Kluge will nicht nur Ratio und Sachlichkeit, sondern Empathie und Einfühlung und – wie die Aufklärung – das Gleichgewicht dazwischen halten. Das könne man lernen bei den Tieren. Er hat seinem Bauhaus der Gefühle einen ganzen Raum gewidmet. Vier hat er gestaltet und sich dafür Künstlicher Intelligenz bedient. Bei Kluge ist die Aufklärung keine einstige Epoche. Er sieht sie im Heute.
Licht und Dunkelheit
Kluge, der Wahl-Münchner, ist mit den Räumlichkeiten bestens vertraut. Er war schon viele Male dort, las, hielt Vorträge, zeigte Filme. Wie vor zehn Jahren, er war 82, als Halberstadt ihm das Gemeinschaftsprojekt „Alexander Kluge in Halberstadt“ widmete. Jetzt schenkt er seiner „Vaterstadt“, wie er Halberstadt nennt, diese Ausstellung mit den ihm sehr eigenen Blicken auf die Aufklärung im 21. Jahrhundert. „Enlightenment“ hat er sie überschrieben, weil ihn entzückt, dass die Engländer ursprünglich gar kein Wort für Aufklärung hatten. Doch in dem Begriff steckt das Wort Licht. Blitzableiter, Kerzenlicht, Fackeln lässt er leuchten. Alles mittels Künstlicher Intelligenz. Franklin, der Blitzableiter-Erfinder, schwebt auf dem von Kluge gefütterten und von KI generierten Bild – wie die Aufklärung, die sich vom Boden erhebt. „Ich spiele mit der Frage, was Aufklärung bedeutet: Dunkelheit achten, das Verborgene entdecken und Licht machen“, sagt er.
Vor allem will er eines: Die Zuversicht des 18. Jahrhunderts vermitteln. Damals, so sagt er, sei eine offene Welt gewesen. Im 20. Jahrhundert habe sich die Menschheit gleich mehrmals verrannt. Es wäre keine Kluge-Schau, wenn er nicht auch gegen den Krieg anerzählen würde.
Kluge kommt im Gespräch sehr schnell auf 1945 und jenen 8. April, der diese Stadt und ihn selbst so prägte und zitiert Homer: Wer auch immer siegt, stürzt ab. Später sagt er: „Es gibt nie einen Grund, den Dämon Krieg weiterzupflegen.“ Noch später sagt er: „Wo Verrücktheit ist, gibt es auch einen Notausgang. Kenntnis der Notausgänge ist der Anfang von Philosophie. Das ist Gleimhaus.“
Kluge, der Weltbürger, der so vieles erreicht hat, Georg-Büchner, Heinrich-Böll- und Lessingpreise im Literarischen, Grimme-Preise fürs filmische Schaffen, ist über all die Jahrzehnte immer mit Halberstadt verbunden geblieben. Dort wurde er 1932 geboren, erlebte seine Kindheit, dann mit 13 die Zerstörung seiner Heimat. Das Trauma der Bomben, des Feuers, des Todes, dieses einschneidendste Erlebnis in seinem Leben, wie er einmal sagte, ließ ihn nie los. Das In-Schutt-und-Asche-legen der Heimat zieht sich durch sein künstlerisches Schaffen. Auch in der Ausstellung ist es präsent.
Ein großes weißes Tuch schaut über das Geländer im Foyer, es erinnert an jene Frauen, die gegen die Bomber und gegen die Nazis solche Art Tücher aus den Fenstern gehängt haben sollen, insbesondere aus der Martinikirche. Das Projekt um die Halberstädter Friedensfenster, ein Herzensprojekt, fiel Corona zum Opfer. Jetzt greift Kluge die Botschaft auf. Auf der Rückseite lässt er einen Film über das Tuch flimmern. Kriegsbilder einst und heute. Deutsche Soldaten in Stalingrad, Weißrussinnen, Bomben, verletzte Menschen. Er steht vor dem Film und erzählt, wie er bei Halberstadt den Einschlag einer Bombe erlebte, die das Gelände umpflügte. Wie ihn selbst. „Mich hat der Krieg umgegraben. Wie ein Pflug die Erde.“
In einem Nebenraum setzt sich der große Intellektuelle mit sich selbst, seiner Familie und Adorno auseinander. Er hat auch hier Künstliche Intelligenz eingesetzt. Als Werkzeug. KI sei nicht intelligent, sagt er und zeigt auf eine alte Fotografie. Er selbst ist dort zu sehen mit einem Löwen und einem Bären im Berliner Zoo. Daneben das von KI erzeugte Werk. Er finde es erstaunlich.
Heute wird Alexander Kluge 92 Jahre alt (Herzlichen Glückwunsch! Und Gesundheit!). Was wünscht er sich? „Ich habe Enkel und wünsche mir Frieden für sie.“ Und dann fügt er hinzu: „Dass heute die Schlafwandler wieder tätig sind wie 1914 ... Es steht nirgends geschrieben, dass wir das akzeptieren sollen. Da muss man gegenerzählen.“
Er tut es einmal mehr mit dieser Schau.