Übergewicht Sachsen-Anhalt “dickstes” Land Deutschlands
Sachsen-Anhalt ist laut Erhebung Spitzenreiter beim Anteil der meisten Übergewichtigen deutschlandweit. Bemerkenswert: Die neuen Bundesländer führen die Statistik seit mindestens 20 Jahren an. Woran liegt das? Die Volksstimme fragt bei einer Magdeburger Soziologin nach.

Magdeburg - Kein anderes Bundesland hat so viele dicke Menschen wie Sachsen-Anhalt. Das ist das Ergebnis einer Erhebung, die seit Ende der 90er Jahre durchgeführt wird. Sechs von Zehn Menschen in Sachsen-Anhalt sind übergewichtig. Doch kommt es noch dicker.
Unser Land rangiert zwischen 1999 und 2017 unter den Top-3. Auffällig zeigt sich zudem, dass die neuen Bundesländer einen hohen Anteil übergewichtiger Menschen hat. Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern teilen sich seit Erhebung der Studie die obersten Plätze auf der - zugegebenermaßen - unrühmlichen Tabelle. Woran liegt das?
“Auf jeden Fall nicht daran, dass sich die Menschen der neuen Bundesländer anders ernähren oder weniger Sport machen”, sagt Leonie Steckermeier. Denn: “An Übergewicht erkranken eher Männer, Ältere und Menschen, die ein niedriges Bildungsniveau und Einkommen haben”. Charakteristiken also, die besonders die Bewohner der neuen Bundesländer betreffen, so die Magdeburger Soziologin. Die gebürtige Bayerin, die im südthüringischen Sonneberg aufwuchs, forscht seit 2015 an der Universität Magdeburg. “Diese Zusammensetzung in den neuen Bundesländer”, sagt die Soziologin, “bedeutet, dass die Menschen hier eher Gefahr laufen übergewichtig zu werden”. Deutlich macht sie das an einem Beispiel: In großen Städten wie Berlin oder Hamburg leben überdurchschnittlich viele junge und gut gebildete Menschen mit Hochschulabschlüssen. In der Studie teilen sich beide Städte regelmäßig die letzten zwei Plätze unter dem Anteil der dicksten Einwohnern Deutschlands (je rund 46 Prozent).

Ein großes Problem sieht Steckermeier vor allem an Distanzen, die viele Menschen in ihrem Alltag zurücklegen müssen. In dünn besiedelten Regionen ist die Bevölkerung besonders stark an das Auto gebunden - der nächste Supermarkt ist oftmals nicht fußläufig erreichbar, viele müssen weite Strecken zur Arbeit in Kauf nehmen. Zur meist sitzenden Arbeitstätigkeit, so die Soziologin, würden die Menschen also auch noch viel Zeit sitzend im Auto verbringen - wobei natürlich keine Kalorien verbrannt werden.
“Frust und Stress werden häufig mit Burger, Pizza und Cola abgebaut.”
Leonie Steckermeier
Ein weiterer Faktor sei zudem das Zeitbudget. Wer viel zur Arbeit pendeln muss, hat weniger Zeit sich ausreichend zu bewegen. Anders als in Ballungsgebieten wie dem Rhein-Ruhr-Gebiet oder den Metropolen München, Hannover, Stuttgart. Alles Regionen und Städte, die im “Westen” liegen - und speziell für das Fahrrad gute Alternativen zum Pendeln bieten. Steckermeier: “Frust und Stress werden häufig mit Burger, Pizza und Cola abgebaut.” Fett- und zuckerreiche Lebensmittel, die dick und ungesund machen.
Das offensichtliche “Ost-West-Gefälle” übergewichtiger Menschen, gehe laut Steckermeier auch auf die tradierten Lebensweisen zurück. Anders als in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Co., bleiben Elternteile in den alten Bundesländern häufig Zuhause wenn Nachwuchs einzieht. Trotz Wickelstress, Essen kochen und Hausarbeit, bleibt in der Regel mehr Zeit für Sport - ob als Hausfrau oder Hausmann.
Übergewicht, Fettleibigkeit, der Drang nach fettigem, reichhaltigem Essen steigt; die Zeit, die für Sport eingeplant werden kann schwindet. Deutschland entwickelt sich in ein Land der Dicken. Laut der Erhebung, deutschlandweit von 45 Prozent Übergewichtiger im Jahr 1999, hin zu 53 Prozent Anno 2017.
Probleme und Lösungen
Volkskrankheit Adipositas. Die Folgen: Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Neben den persönlichen Tragödien, die solche Krankheiten nach sich ziehen können, steigt die Belastung an das Gesundheitssystem. Schätzungen ergeben, dass die Krankheit Übergewicht, zwischen fünf und fünfzehn Prozent aller Gesundheitsausgaben betragen könnte. Eine Lösung, um diese Entwicklung einzudämmen? “Bessere Kennzeichnung ungesunder Lebensmittel, mehr Aufklärung im Schulunterricht, ausgewogenes Kantinen-Essen an Schulen und in Firmen”, sagt Soziologin Leonie Steckermeier. Der Staat müsse mehr für die Gesundheit seiner Bevölkerung tun, um dem Problem Herr zu werden.
Sie sagt aber auch, dass man solche statistischen Erhebungen zwar mit Vorsicht genießen müsse, da nicht jeder Befragte sein aktuelles Gewicht kenne, mancher nicht einmal seine exakte Körpergröße; sie verweist auf eine ähnliche Studie des Robert-Koch-Instituts, deren Zahlen im Vergleich nicht so drastisch sind, aber ein sehr ähnliches Bild zeichnet. Auch nach welchen Kriterien an den Probanden geforscht werden, nämlich dem BMI (s. unten), sieht sie zwiespältig - auch als muskulärer Mensch hat man einen hohen BMI. Allerdings, sagt Steckermeier, zeige sich eine klare Tendenz zum übergewichtigen Deutschen. Allen voran in Sachsen-Anhalt.
Info: Für die Studie wurden Körpergröße und Körpergewicht der Probanden zusammentragen. Daraus ergibt sich der sogenannten BMI (Body Mass Index). Liegt dieser über 25, gilt man als Übergewichtig. 2017 waren das bundesweit immerhin rund 53 Prozent der Erwachsenenbevölkerung. Absoluter Spitzenreiter: Sachsen-Anhalt. Sechs von zehn Bürger aus dem Land zwischen Altmark und dem Burgenland gelten als Übergewichtig. Die Daten wurden durch Stichproben repräsentativ erhoben, bei der jährlich etwa ein Prozent der Bevölkerung befragt werden.