Bestattungen Sachsen-Anhalt steht vor dem Abschied vom Sargzwang
Der Volkstrauertag am Sonntag ist der Auftakt zu den sogenannten „Stillen Tagen“. Es folgen Buß- und Bettag sowie Totensonntag. Die Menschen halten inne, gedenken und erinnern sich. Das hat Tradition, doch die Bestattungskultur steht im Zeichen des Wandels. Auch in Sachsen-Anhalt.

Magdeburg - Man könnte fast von einem Alleinstellungsmerkmal sprechen. Denn schaut man sich in Deutschland um, dann stellt man fest: Am Sargzwang halten außer Sachsen-Anhalt nur noch die Nachbarn aus Sachsen fest. Insbesondere aus Rücksicht auf Muslime, bei denen die Bestattung in einem Leichentuch stattfindet, sind in sämtlichen anderen Bundesländern Ausnahmen von der Sargpflicht zugelassen.
Doch es zeichnet sich ab, dass es dabei nicht bleiben wird. Im Sommer hatte die zuständige Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) bereits einen Gesetzentwurf mit einer entsprechenden Liberalisierung angekündigt. „Derzeit befindet sich der Entwurf in der Ressortabstimmung. Die erste Kabinettsbefassung ist noch in diesem Jahr geplant“, heißt es vom Sozialministerium auf Anfrage. Anfang des nächsten Jahres könnte sich der Landtag erstmals mit dem Reformvorschlag befassen.
Ein Schritt, der für die Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke längst überfällig ist. Sie beklagen, dass das Bundesland bei Bestattungsfragen dem gesellschaftlichen Wandel hinterherhinke. Der Änderungsdruck sei groß. „Dazu gehören die sarglose Bestattung und kürzere Fristen für Erdbestattungen, um religiösen Bedürfnissen gerecht zu werden“, sagt Eva von Angern, Fraktionsvorsitzende der Linken.
Allerdings hört der Reformbedarf bei den beiden Parteien bei der Sargfrage längst nicht auf. „Außerdem gehört der Friedhofszwang gelockert. Wir wollen die Möglichkeit eröffnen, auf extra ausgewiesenen Flächen Asche verstreuen zu dürfen“, sagt Grünen-Fraktionsvorsitzende Cornelia Lüddemann.
Aus Sicht der Linkspartei sei es angebracht, Urnen auf privaten Grundstücken oder den eigenen vier Wänden aufbewahren zu dürfen. In diesem Falle könnte Sachsen-Anhalt sogar eine Vorreiterrolle einnehmen. Bisher ist diese Art der Bestattung in Deutschland ausschließlich in Bremen erlaubt.
Dies wäre ein Bruch mit einer tief verwurzelten Tradition. Es war die Angst vor Seuchen, die etwa im preußischen allgemeinen Landrecht von 1794 dazu führte, dass Tote nur auf festgelegten Flächen außerhalb der bewohnten Orte beerdigt werden durften. Seit 1934 gilt dies zwingend auch für die Asche von Toten. Eine Ausnahme ist die Seebestattung.
Kirchen warnen vor Verlust der Trauerkultur
Aber nicht jeder ist geneigt, die Friedhofspflicht widerstandslos aufzugeben. Insbesondere die Kirchen wehren sich gegen eine Aufhebung. Sie warnen vor einem Verlust an Trauerkultur. Friedhöfe sollten als Orte des Gedenkens, der Mahnung und des gemeinschaftlichen Trauerns erhalten bleiben, so das Argument. Auch Städte und Gemeinden haben ein Interesse am Erhalt von Friedhöfen. Schließlich können sie ihre Kosten kaum noch decken, weil es immer weniger Erdbestattungen gibt.
Seit einigen Jahren ziehen es die Menschen nämlich vor, eingeäschert zu werden. Das Verhältnis liege inzwischen bei 80 zu 20 für die Urnenbeisetzung, sagte Tristan Balk, der Geschäftsführer des Stendaler Krematoriums, bei der Eröffnung seines Neubaus im Sommer. Die Urnenbeisetzungen seien günstiger und die Grabpflege bei Weitem nicht so aufwendig. Nicht zuletzt die deutlich gestiegene Nachfrage gab für Balk den Ausschlag, den Standort in Stendal auszubauen. Die alte Anlage war an die Kapazitätsgrenzen gestoßen.
Die Stadt im Norden des Bundeslandes spiegelt damit einen bundesweiten Trend wider. Wurden vor 30 Jahren noch weniger als ein Drittel der Verstorbenen eingeäschert, sind es mittlerweile rund 70 Prozent, wie die Verbraucherinitiative Bestattungskultur „Aeternitas“ unlängst herausfand.
„Traditionen, Konventionen und religiöse und familiäre Bindungen verlieren an Bedeutung“, so fasst es der Vorstand der Verbraucherinitiative, Christoph Keldenich, zusammen. „Mobilität und Vielfalt der Lebensentwürfe nehmen zu.“ Das habe auch Auswirkungen auf Tod und Sterben.
Das klassische, über Generationen gepflegte Familiengrab wird zum Auslaufmodell. Auf der anderen Seite entstehen zunehmend persönlich gestaltete Grabmale. Der Trend zu immer mehr anonymen Gräbern scheint allerdings durch das stärkere Angebot pflegeleichter Grabstellen gestoppt, sagt Aeternitas-Pressesprecher Alexander Helbach. Zugleich nimmt die Zahl der Baumbestattungen weiter zu. Rund 250 Bestattungswälder gebe es mittlerweile in Deutschland, schätzt Helbach. Rund fünf Prozent der Bestattungen finden dort statt. (Mit Material von KNA)
