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Tischball Tore schießen nach Gehör

Tischball heißt die Blindenversion von Tischtennis. In Sachsen-Anhalt wird sie immer beliebter.

Von Elisa Sowieja 06.01.2018, 00:01

Stendal l Okay, lieber doch noch einen großen Schritt zurück. Bei dem Wumms, mit dem Frank Brehmer und sein Gegner den Ball über die Platte zimmern. Wenn das Ding mal statt ins Tor zu rollen über die Bande fliegt, gibt das bestimmt einen ordentlichen blauen Fleck am Reporter. Jeder Schlag mit der Kelle sitzt. Dabei können die Spieler den Ball gar nicht sehen. Nur hören. Die rasselnden Metallstifte im Inneren verraten, wo er gerade langrollt.

Freitagmittag, Tischball-Training in Stendal. Frank Brehmer, seit zehn Jahren blind, ist dafür extra mit dem Zug aus Schönebeck gekommen. Anderthalb Stunden von Haustür zu Haustür. Seit zwei Jahren fährt er schon, jeden zweiten Freitag, manchmal auch samstags. Was soll er machen? In seiner Nähe gibt‘s noch keine Gruppe, und Tischball, auch Showdown genannt, hat nun mal einen besonderen Reiz, sagt er: „Es ist die einzige Blindensportart, bei der es Mann gegen Mann geht.“

Mit seiner Faszination ist er in Sachsen-Anhalt in guter Gesellschaft. Seit sich vor rund sechs Jahren in Quedlinburg die erste Gruppe gegründet hat, kamen immer mehr dazu: in Bitterfeld, Halle und zuletzt Stendal. Jetzt wollten zum ersten Mal mehr Spieler zur Qualifikation für die Deutsche Meisterschaft fahren, als es Plätze für Sachsen-Anhalt gab. Da musste eine Landesrunde vorgeschaltet werden.

Brehmer hat so einen Platz ergattert. Dem 55-Jährigen fiel der Sport von Anfang an leicht. „Ich sag ja immer, das ist was für Leute, die schlecht in Tischtennis sind“, witzelt er. Denn praktischerweise muss der Ball hier nicht übers Netz, sondern drunter durch. Ziel ist das gegnerische Tor an der Stirnseite des Tisches. Gespielt wird mit rechteckigen Holzkellen und einem Kunststoffball. Damit sich keiner blaue Flecken an der Spielhand holt, wird ein Schutzhandschuh getragen, am besten einer zum Motorradfahren.

Außerdem trägt jeder Tischballspieler eine verdunkelte Brille – der Anblick erinnert irgendwie an „Wetten, dass..?“, nur ohne die kreativen Dekorationen auf den Gläsern. Die Brille ist wichtig für die Chancengleichheit. Denn Tischball spielen nicht nur Blinde, sondern auch Leute, die eingeschränkt oder sogar sehr gut gucken können. In der Stendaler Gruppe zum Beispiel trifft das auf vier der neun Mitglieder zu. Zum Blindensport sind sie gekommen, als sie als Begleitung mit beim Training waren, erzählt Brehmer. „Und dann meinten sie, sie wollen‘s uns mal zeigen.“

Nur ist das gar nicht so einfach: Klar, wer gut sieht, kann vorab die Spielgewohnheiten des Gegners ausspähen. Aber wer schlecht oder gar nicht gucken kann, der ist viel besser geübt im Zuhören. Und das gehört nun mal zu den wichtigsten Fähigkeiten beim Showdown.

Damit das mit dem Hinhören auch klappt, muss eine Tischballplatte immer irgendwo stehen, wo es mucksmäuschenstill ist. Also nichts mit großen Turnhallen, in denen parallel noch der Basketballverein trainiert. Für die Stendaler hat der Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen-Anhalt einen kleinen Raum gemietet, der an einen unbelebten Innenhof grenzt, früher das Hinterzimmer einer Bäckerei. Keine Schönheit mit seinem angepinselten Feinputz an den Wänden, aber für die Truppe ideal: leise, eben, gut ausgeleuchtet.

Einmal pro Stunde müssen die Spieler aber auch dort kurz aufhören, weil‘s zu laut wird. Dann bimmelt die Nicolaikirche, die in rund 150 Metern Entfernung steht. Punkt 12 kann man sogar getrost eine Pullerpause einlegen. Um die Zeit schlagen die Glocken 16-mal, erklärt Brehmer: zwölfmal für zwölf Stunden, viermal für die volle Stunde.

Entsprechend streng fallen auch die Regeln beim Wettkampf aus. Nebengeräusche, die man sich verkneifen kann, sind tabu. Bei Zuwiderhandlungen drohen Strafpunkte: Fürs Scharren mit dem Schläger auf der Platte. Für klingelnde Handys. Fürs Fluchen. Selbst wenn der mitfiebernden Mutti am Rand mitten im Spiel ein Jauchzer rausrutscht, kassiert der Spross eine Strafe.

In seiner Gruppe ist Frank Brehmer der Beste, das bezeugt der Pokal mit seinem Namen drauf, der auf dem Tischchen am Eingang steht, er stammt vom jüngsten Sommerturnier der Stendaler. Mit der bundesweiten Konkurrenz kann der Schönebecker aber bisher nicht mithalten. Wie auch, bei dem bisschen Training? Im hessischen Marburg zum Beispiel gibt es eine Art Trainingszentrum, schwärmt er. „Dort üben manche jeden Tag.“ Das zahlt sich aus: Die Marburger stellen den amtierenden Deutschen Meister.

Etwas öfter kommt Brehmer demnächst aber schon an die Platte – das hat er selbst organisiert. Der 55-Jährige ist nämlich seit kurzem Landesbeauftragter für Blindensport, als solcher hat er sich darum gekümmert, dass in den nächsten Wochen auch im zentral gelegenen Magdeburg eine Tischball-Gruppe starten kann. Den Raum mietet wieder der Blindenverband. Ein Trüppchen von rund zehn Spielwilligen steht auch in den Startlöchern. Das einzige, was noch fehlt, ist ein Übungsleiter. In Stendal gibt den Trainer und Schiedsrichter jemand, der selbst schlecht sieht – allerdings nur in der Ferne. „An der Platte bekommt er mehr mit, als den Spielern manchmal lieb ist“, sagt Brehmer und grinst.

Den nächsten Schritt, um Tischball in Sachsen-Anhalt voranzubringen, hat der Schönebecker auch schon im Blick: Er will erreichen, dass sich jede der losen Trainingsgruppen im jeweiligen lokalen Sportverein der Sektion Behindertensport anschließt. „Dann wäre es leichter, auch mal richtige Landesmeisterschaften auszurichten.“

Für die er dann in Magdeburg freilich wie ein Verrückter trainieren würde. Vielleicht gibt‘s ja sogar eines Tages mal ein Finale um den Deutschen Meister mit Marburg gegen Magdeburg.

Wer Lust hat, Tischball z.B. in Stendal oder Magdeburg auszuprobieren, kann Frank Brehmer eine E-Mail schreiben. Seine Mailadresse: f.brehmer@bsvsa.org