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Kriegsflüchtlinge aus dem Irak fanden dank des Resettlement-Programmes von EU und UNO ein neues Zuhause an der Elbe Von Bagdad nach Magdeburg – Familie Wahid schlägt neue Wurzeln

Von Andreas Stein 14.07.2011, 06:32

11. August 2009 – an diesen Tag erinnert sich Familie Wahid noch genau. Knapp zwei Jahre ist es her, da kamen Bashar und Suhad mit ihren Töchtern Athraa und Aula zum ersten Mal nach Magdeburg, ihrem neuen Zuhause. Die christliche Familie musste vor dem Irak-Krieg nach Syrien fliehen und konnte mithilfe des Resettlement-Programms nach Deutschland kommen. Während die Kinder sich schnell integrierten, fällt den Eltern das Leben fern der Heimat immer noch schwer.

Magdeburg. Athraa und Aula haben Köpfchen. Während sich der Volksstimme-Reporter über einen Dolmetscher mit ihren Eltern unterhält, spielen die beiden Mädchen "Stadt, Land, Fluss" und tuscheln unentwegt miteinander – auf Deutsch, wohlgemerkt. Dass die Elf- und die Neunjährige erst seit zwei Jahren in Deutschland leben, merkt man nur, weil ihnen im Spiel noch die eine oder andere Vokabel fehlt. Athraa und Aula sind hier angekommen. Sie besuchen die Bertolt-Brecht-Grundschule und werden auf das Scholl-Gymnasium gehen, haben deutsche Freunde, gehen schwimmen, tanzen und zum Klavierspielen. Ihren Eltern Bashar (49) und Suhad (43) fällt es ungleich schwerer, in Deutschland Fuß zu fassen.

Im Irak, bis zum Ausbruch des Krieges 2003, waren die Wahids eine ganz normale Mittelschichtfamilie. Bashar, gelernter Schlosser, arbeitete in Bagdad als Raumausstatter, seine Frau Suhad war Rechtsanwältin und ist auf Steuerrecht spezialisiert. Die beiden kleinen Töchter machten das Familienglück perfekt. Dann begann der Krieg, und im entstehenden Machtvakuum bekämpften sich nicht nur islamische Sunniten und Schiiten, auch die syrisch-orthodoxe christliche Minderheit geriet ins Visier. Religiös motivierte Gewalttaten nahmen immer mehr zu und führten zum Exodus der irakischen Christen – bis heute hat weit mehr als die Hälfte von ihnen das Land verlassen.

"Wer eine Waffe in der Hand hielt, hatte das Sagen", denkt Bashar an diese Zeit zurück und berichtet von Beschimpfungen, Schikanen und Überfällen. Als sein Cousin und mehrere von Suhads Verwandten ermordet wurden und sie wegen ihrer Arbeit im Gericht mit dem Tod bedroht wurde, entschloss sich die Familie, wie viele andere Christen auch, zur Flucht ins benachbarte Syrien.

"Wir wussten, wir kehren nie in den Irak zurück"

"Wir wussten, wir kehren nie in den Irak zurück", erinnert sich Suhad. Jahrelang strandeten die Wahids in Syrien, aber willkommen waren sie dort nie. Ohne Bleiberecht, hatten sie all ihr Hab und Gut verkaufen müssen und lebten von den Ersparnissen, der Hilfe der UNO und Überweisungen in Kanada lebender Verwandter. Als die EU-Innenminister sich 2008 über die Aufnahme von Irak-Flüchtlingen einigten, kam die Chance der Familie. Die UNO vermittelte die Wahids nach Deutschland.

"Wir wussten wenig über unsere neue Heimat", erzählt Bashar. Aber ihm und seiner Frau war klar: Deutschland ist ein hochentwickeltes Land. Mit zwiespältigen Gefühlen gingen sie nach Europa – die alte Heimat, Familie und Freunde mussten die Wahids endgültig hinter sich lassen, eine bessere Zukunft für sie und die Kinder in Aussicht.

Über das Aufnahmelager Friedland kam die Familie im August 2009 nach Magdeburg, wo sie vier Monate im Wohnheim Grusonstraße verbrachte. Vom ersten Tag an kümmerte sich die Stadtverwaltung um eine lückenlose Betreuung der Wahids und der insgesamt 30 anderen Flüchtlinge aus dem Irak (siehe Infokasten). "Wir haben Integrations- und Sprachkurse vermittelt, die Eltern beim Jobcenter als arbeitssuchend gemeldet, die Kinder in der Schule untergebracht und Kontakt mit Kirchengemeinden geknüpft", berichtet Ines Rudolph von der Ausländerbehörde. Viktoria Heigel vom Sozial- und Wohnungsamt half der Familie bei der Wohnungssuche, und Wahids zogen schließlich in eine Plattenbau-Wohnung im Stadtteil Reform.

Bashars und Suhads erster Eindruck von Deutschland: Hier herrscht Ordnung und Sauberkeit! "Der Irak war kein armes Land, aber die Strukturen fehlten, der Staat konnte seine Regeln nicht vernünftig durchsetzen", hat Bashar festgestellt. Übergriffe und Korruption und Gewalt gebe es hier zum Glück nicht, man komme mit den Menschen aber auch nicht so leicht ins Gespräch, viele Deutsche selbst im eigenen Hauseingang seien verschlossen.

Bashar: "Ich will arbeiten und nützlich sein"

Während Athraa und Aula die Sprachhürde auch dank der Nachhilfestunden mit ihrer Klassenlehrerin Frau Hausmann bereits genommen haben, tun sich die Eltern schwerer mit der Sprache. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat ihnen zwar einen sechsmonatigen Sprachkurs finanziert. Das reiche aber nicht für den Arbeitsmarkt, finden nicht nur die Wahids, sondern auch Ines Rudolph von der Magdeburger Ausländerbehörde. Doch helfen kann man dort nicht, die Familie müsste weitere Kurse aus eigener Tasche zahlen.

Das frustriert besonders Bashar. "Ich will arbeiten und nützlich sein und nicht nur Leistungen vom Amt bekommen", sagt der 49-Jährige. Seine Frau Suhad, die gut Englisch spricht, ist schon ein Stück weiter: Sie absolviert seit Anfang Juli ein Praktikum in der Rechtsanwaltskanzlei des ehemaligen Finanz-Staatssekretärs Ulrich Köhler. Er ist beeindruckt von Suhads Leistungen und hebt die Internationalität ihres Jura-Studiums hervor. Eine Anerkennung ihres Abschlusses sei zwar kaum möglich, aber: "Wir prüfen gerade, ob der Irak Mitglied der Welthandelsorganisation ist. Dann könnte Suhad hier eine Zulassung beantragen, ihre Landsleute vertreten und wir werden Kollegen", macht Köhler Mut. "Nur der Papa muss noch Arbeit finden", bringt er das Problem der Wahids auf dem Punkt.

Gerne denkt die Familie an Diakon Wolfgang Gerlich von St. Norbert im Magdeburger Stadtteil Buckau. Er habe viele Türen geöffnet. "Es tut mir leid, dass die Wahids und die Christen aus dem Irak in dieser Situation sind", sagt Gerlich. Er hält viel von der Familie. "Wenn ihr keine Steine in den Weg gelegt werden, kann sie die Integration schaffen. Was die Kinder angeht, mache ich mir überhaupt keine Sorgen." Magdeburgs Integrationsbeauftragte Svetlana Oster rät, Kontakt zu den vielen Vereinen in der Stadt aufzunehmen, die in der Integration tätig sind. Auch für sie ist die Sprache das A und O. "Ganz wichtig: Niemals aufgeben, auch wenn es schwer ist", weiß die gebürtige Ukrainerin aus eigener Erfahrung.

Aufgeben, das haben die Wahids nicht vor. "Wir sind von Natur aus offen und wollen aus der deutschen Kultur das Passende übernehmen, ohne unsere eigene Identität zu verlieren", sagen Bashar und Suhad optimistisch. Für ihre Töchter könne es nur von Vorteil sein, so international aufzuwachsen. Magdeburg ist und bleibe ihr neues Zuhause.