Kampfmittelräumung Von Beruf Bombenentschärfer
Udo Theilemann vom Kampfmittelbeseitigungsdienst Sachsen-Anhalt macht Minen, Bomben und Granaten unschädlich.
Dessau l Anfang Juli herrscht ungewöhnliche Stille in einem Wohngebiet in Dessau. In einem Umkreis von 500 Metern ist die Stadt wie leergefegt. Keine Autos und keine Busse rollen auf den Straßen. Kein Spaziergänger ist zu sehen. Zuvor mussten rund 1700 Menschen ihre Wohnungen verlassen. Grund dafür ist eine englische Fünf-Zentner-Bombe, die bei Bauarbeiten gefunden wurde.
Nur zwei Männer halten sich bei der Bombe auf. Einer von ihnen ist Udo Theilemann. Der 51-Jährige ist Truppführer beim Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBD), einer Abteilung des Technischen Polizeiamtes in Dessau. Seine Aufgabe ist es, die Bombe zu entschärfen. Aufgeregt ist Theilemann dabei nicht, aber zu „200 Prozent“ konzentriert. „Man ist sehr fokussiert und nimmt nichts anderes wahr. Man denkt nur an die Arbeit und hofft, dass man Zünder und Detonator problemlos entfernen kann“, sagt Theilemann.
Doch auch nach mehreren Jahren beim KBD ist bei Theilemann noch immer ein bisschen Nervenkitzel dabei. „Bevor man so eine Bombe entschärft, ist man schon etwas angespannt. Aber in erster Linie deswegen, weil man endlich anfangen will. Das Warten ist also gewissermaßen das Schlimmste“, sagt der 51-Jährige. Denn bevor er an die Bombe darf, muss sichergestellt sein, dass sich kein anderer Mensch mehr in der Nähe aufhält. „Wenn ich einen Radius von 500 Metern anordne, dann kriege ich den auch. Dann hat sich in diesem Umfeld keine Menschenseele mehr aufzuhalten“, sagt Theilemann.
Das wird sogar mit einem Helikopter überprüft. Können auch aus der Luft keine Personen mehr ausgemacht werden, erhält Theilemann die Erlaubnis an der Bombe zu arbeiten.
Das Entschärfen einer Bombe hat übrigens nichts mit dem Zerschneiden eines bunten Drahtes à la Hollywood zu tun. „Zunächst befreien wir die Bombe vom Dreck und legen sie frei. Anschließend entfernen wir, je nach Bauart, den Zünder. Bei mechanischen Zündern kann man diesen meist einfach herausschrauben. Dabei verwenden wir aber ein spezielles Öl. Ist hingegen ein chemischer Zünder verbaut, sprengen wir in den meisten Fällen – das ist am sichersten“, erklärt Theilemann.
Konnte das Kampfmittel jedoch erfolgreich entschärft werden, wird es in einem gesicherten Transporter nach Dessau oder Magdeburg transportiert und zwischengelagert. Letztendlich landen aber alle Kriegsrelikte, die Theilemann und seine Kollegen sicherstellen, beim Munitionslager– und Zerlegebetrieb in der Altmark, wo sie vernichtet werden.
So auch die englische Fliegerbombe. Hier konnten Theilemann und sein Kollege den Zünder innerhalb einer halben Stunde erfolgreich entfernen und ihn vor Ort kontrolliert zur Detonation bringen.
Eine ähnliche Bombe wurde auch am vergangenen Wochenende in Magdeburg unschädlich gemacht. Die Fünf-Zentner-Bombe wurde von einem Spaziergänger im niedrigen Wasser der Elbe entdeckt. Theilemanns Kollegen stellten einen intakten Heckzünder bei der amerikanischen Bombe fest. Wie bei der englischen Bombe in Dessau wurde ein Sicherungsradius von 500 Metern festgelegt. 5000 Menschen mussten daraufhin ihre Wohnungen verlassen. Doch auch hier konnten die Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes die Bombe sicher entschärfen.
Der Kampfmittelbeseitigungsdienst hat derzeit viele Einsätze in Wassernähe. Durch die langanhaltende Hitzeperiode sind die Pegel der Flüsse und Seen nämlich stark gesunken und es tauchen Munition und Bomben auf, die jahrzehntelang im Wasser verborgen waren.
Doch nicht nur große Flieger-Bomben schlummern im Wasser. Erst kürzlich hat Theilemann eine Panzermine, zwei Panzerfaustrohre und drei Sprenggranaten am Elbufer nahe Roßlau sichergestellt. „Zum Ende des Zweiten Weltkrieges haben die Soldaten ihre ganze Munition einfach in die Elbe geworfen. Bei dem aktuellen niedrigen Wasserstand finden wir diese jetzt viel öfter“, erklärt der Truppführer.
Die Nähe zum Wasser ist Theilemann aber nicht fremd. „Schon zu DDR-Zeiten habe ich bei der Marine Seeminen gesprengt und Erfahrungen mit Kampfmitteln gesammelt“, sagt der 51-Jährige. Und Erfahrung ist wichtig in seinem Beruf. Als Entschärfer muss er erkennen, welche Munition er vor sich hat, welche Art von Zünder verbaut ist und in welchem Zustand die Blindgänger sind. Erschwerend kommt hinzu, dass die Granaten, Bomben und Minen nach über 70 Jahren unter Wasser oder im Erdreich oftmals extrem verkrustet sind, so dass nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist, ob es sich überhaupt um einen gefährlichen Gegenstand handelt.
Doch neben Erfahrung und Vorsicht brauchen die Entschärfer auch einen „kühlen Kopf“ und „ruhige Hände“. Zudem müssen die Truppführer und Hilfstruppführer einen viermonatigen Grundlehrgang an der Sprengschule in Dresden absolvieren. An diesen Grundlehrgang schließen sich dann noch weitere Kurse an, in denen zum Beispiel chemische Kampfmittel oder die Waffen der ehemaligen Sowjetunion im Vordergrund stehen.
Die meisten Minen, Granaten, Bomben und Patronen stammen jedoch aus dem Zweiten Weltkrieg. Und obwohl diese schon rund sieben Jahrzehnte auf dem Buckel haben, sind sie noch immer gefährlich.
„Von einer Gefahr kann man eigentlich immer ausgehen. Zu 99 Prozent sind die Zünder noch intakt und die Waffen scharf – da ist höchste Vorsicht geboten“, erklärt Truppführer Theilemann. Aus diesem Grund rät er auch davon ab, auf eigene Faust nach Kriegsüberbleibseln zu suchen. Darüber hinaus ist das aktive Suchen nach Munition und anderen Kampfmitteln verboten.
Entdeckt ein Bürger aber durch Zufall einen verdächtigen Gegenstand, so solle er ihn auf keinen Fall berühren. „Als Allererstes immer die 110 oder die 112 wählen“, rät Theilemann. Darüber hinaus sollten der Gefahrenbereich gekennzeichnet und andere Menschen in der Nähe gewarnt werden. Über etwaige Kosten braucht sich der Finder keine Gedanken zu machen, denn die Arbeit des Kampfmittelbeseitigungsdienstes ist in einem solchen Fall kostenlos.
Nur bei rein vorsorglichen Maßnahmen, wie bei der Kampfmittelfreigabe von Bauflächen, fallen Gebühren an. Dabei wird das Areal, auf dem gebaut werden soll, zuvor auf Munition untersucht, um auszuschließen, dass dort gefährliche Blindgänger schlummern. „Wir sind eigentlich immer auf der Suche nach Munition. Wir wollen ja schließlich nicht, dass ein Häuslebauer sein Heim auf einer Bombe baut“, sagt Udo Theilemann.
Ein Zwischenfall vom August des vergangenen Jahres bleibt Theilemann besonders im Gedächtnis: Auf einem Acker bei Leuna riss ein Bauer mit seinem Pflug eine Weltkriegs–Bombe aus dem Boden. „Der Mann hatte unheimliches Glück. Normalerweise wäre die Bombe sofort hochgegangen, weil sein Pflug genau die Stelle getroffen hat, an der sich eigentlich der Kopfzünder befindet. In diesem Fall war dieser aber zum Glück nicht vorhanden. Ich habe dem Mann dann empfohlen in die Kneipe zu gehen und seinen zweiten Geburtstag zu feiern“, erzählt Theilemann.
Wie viele Tonnen Munition und wie viele Bomben, Minen und Granaten noch in den Flüssen und im Boden Sachsen-Anhalts verborgen sind, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen. Allein Magdeburg wurde mit rund 10.000 Tonnen Bomben bombardiert. Experten schätze, dass 15 Prozent davon Blindgänger waren.
Udo Theilemann ist sich sicher: „Für mich reicht es noch bis zur Rente.“