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Hotline für Migranten: 350 Anrufer nach Anschlag von Halle

Sie haben Angst selbst Ziel eines rechtsextremen Angriffs zu werden: Hunderte Migranten suchten bei einem Sorgentelefon nach dem Terroranschlag von Halle Hilfe. Das spontane Angebot endete nun - trotz der Nachfrage.

31.10.2019, 07:57

Halle (dpa/sa) - Rund 350 Menschen - überwiegend mit ausländischen Wurzeln - haben nach dem Terroranschlag von Halle Hilfe bei einem telefonischen Auskunftsdienst gesucht. Die Anrufer seien nach den schrecklichen Ereignissen vom 9. Oktober teilweise stark verunsichert gewesen, hätten nach Informationen in ihrer Sprache gesucht oder anderweitig Unterstützung benötigt, sagte der Geschäftsführer des Landesnetzwerkes der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (Lamsa), Mamad Mohamad.

Viele hätten Angst, selbst Opfer rechter Gewalt zu werden. Das Angebot in 70 Sprachen wurde am 12. Oktober spontan freigeschaltet. Nach rund drei Wochen geht es nun zu Ende. Eine Fortsetzung sei wegen fehlender finanzieller und personeller Ressourcen derzeit nicht möglich.

An den Tagen nach dem Anschlag wollten sich etliche Anrufer vor allem auf dem Laufenden halten. "Viele Menschen nutzen nur Facebook", erklärte Mohamad. Aufgrund von Sprachbarrieren könnten sie die Nachrichten im Fernsehen oder in den Zeitungen nicht vollständig verfolgen. Die Telefonberater hätten ihre Fragen beantwortet und aktuelle Erkenntnisse weitergegeben. Dazu dienten den Beratern vor allem Informationsblätter als Leitfaden, die ein Lamsa-Team regelmäßig mit den neusten Angaben von Polizei und aus der Presse zusammengetragen hatte.

"Viele Menschen realisierten: Ich hätte auch da sein können", sagte der gebürtige Syrier Mohamad. Bei einigen habe die Erkenntnis, dass sie auch von rechtsextremer Gewalt betroffen sein könnten, Angst und Sorge ausgelöst. Die Berater beruhigten diese Menschen, gaben ihnen - wenn erforderlich - Tipps für psychosoziale Beratungsangebote oder zu Opferberatungsstellen, wie der Geschäftsführer berichtete.

"Es rief zum Beispiel eine Mutter an, die fragte: "Kann ich meine Kinder noch alleine in die Schule schicken?"", berichtete Mohamad. Selbst Migranten, die seit 40 Jahren in Halle lebten, seien plötzlich verunsichert gewesen. Sie hätten sich nicht vorstellen können, dass so etwas in Halle passiere. Auch Menschen, die beruflich oder ehrenamtlich mit Migranten zusammenarbeiteten, erkundigten sich, wie sie für Schutz in ihren Anlaufstellen sorgen könnten.

"Das Lamsa liegt nur rund 700 Meter von der Synagoge entfernt", sagte Mohamad. Die Mitarbeiter seien nach dem Anschlag tief getroffen gewesen. "Außerdem haben wir selbst fünf jüdische Kollegen und Kolleginnen hier", erklärte Mohamad.

Als die Idee für den telefonischen Auskunftsdienst aufkam, meldeten sich spontan etliche Freiwillige, die ihre Hilfe anboten. Rund 30 Sprachen deckte allein das Lamsa-Team ab. "Alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sprechen im Schnitt drei bis vier Sprachen", sagte Mohamad. Ein Großteil der Anrufe war auf Arabisch, aber auch japanische, polnische und finnische Gespräche gab es.

Am 9. Oktober hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, in der rund 50 Gläubige den jüdischen Feiertag Jom Kippur begingen. Als der Plan scheiterte, erschoss der Täter eine Passantin vor dem Gotteshaus und einen Mann in einem Döner-Imbiss. Der 27 Jahre alte Deutsche sitzt in Untersuchungshaft. Er hat antisemitische und rechtsextremistische Motive eingeräumt.

Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt