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Ringen Die Sudenburger Ringer-Exklave

Fünf Talente der Roten Sterne trainieren bereits am Olympiastützpunkt in Frankfurt an der Oder. Zwei weitere kommen im Frühjahr hinzu.

Von Kevin Gehring 21.12.2020, 23:01

Magdeburg l Im Februar 2021 heißt es Tasche packen für Patrizia Bahn und Timo Pitz. Die beiden Zwölfjährigen ziehen dann um. Aus Braunsbedra und Magdeburg ins über 200 Kilometer entfernte Frankfurt an der Oder. Aus der Obhut der Familie ins nur wenige hundert Meter von der polnischen Grenze entfernte Sportinternat. Patrizia Bahn und Timo Pitz werden die Ringer sechs und sieben sein, die die Fahne von Roter Stern Sudenburg am Olympiastützpunkt hochhalten.

Besonders stolz über die Delegierung ist Sven Friedrichs, Abteilungsleiter und Haupttrainer bei den Rote-Sterne-Ringern. „Mich freut es sehr, dass zwei weitere Sportler von uns die Möglichkeit bekommen, dort unter hervorragenden Bedingungen trainineren zu dürfen“, erklärt er. Dass es für diesen Schritt auch eine große Portion Mut und Leidenschaft fürs Ringen bedarf, weiß Friedrichs genau. „Wenn man sich dazu entscheidet, nach Frankfurt zu gehen, muss man bereit sein, zu verzichten“, sagt er und konkretisiert: „Man ist nicht nur in jungen Jahren weit von der Familie entfernt, sondern opfert dort auch einen erheblichen Teil seiner Kindheit für den Sport.“

Dass sich diese Opfer lohnen, hört Friedrichs regelmäßig von den fünf Roten Sternen, die diesen Schritt bereits gegangen sind, in Frankfurt trainieren und dort die Sportschule besuchen. „Uns ist es besonders wichtig, dass sich die Jungs und Mädels wohlfühlen und die Bedigungen auch fernab des Sports optimal sind“, sagt Friedrichs. Ringkampfspezifisch, da ist er sich nämlich sicher, „erfahren sie dort das Beste vom Besten“.

Allein schon, weil der Alltag aus Schule und Sport optimal miteinander verknüpft werden kann. Trainingseinheiten gehören so zum alltäglichen, schulischen Lehrplan. Hinzu kommen Einheiten am Nachmittag oder Abend. „Das gibt uns die Zeit, sehr individuell auf die Sportler einzugehen“, erklärt Heinz Thiel, der sportartenverantwortliche Trainer der Ringer an der Eliteschule des Sports. „So erzielen wir eine hervorragende Entwicklung, die mit den Möglichkeiten der Heimatvereine gar nicht zu realisieren wäre.“

Das sieht auch Friedrichs so, weshalb sich der 51-Jährige stets um die Delegierung seiner Talente an den Olympiastützpunkt bemüht. „Bei uns darf man nicht vergessen, dass wir das alles in unserer Freizeit machen. Wir sind zwar sehr engagiert, aber irgendwann sind unsere Kapazitäten am Ende“, erklärt er und sagt deshalb klar: „Für den nächsten großen Schritt braucht es einen Wechsel nach Frankfurt.“

Eine Sportlerin, an der sich das gut nachvollziehen lässt, ist Amy Keller. Als Drittplatzierte bei den Deutschen Meisterschaften war sie vor drei Jahren aus Magdeburg an das Leistungszentrum gewechselt. Inzwischen darf sich Keller deutsche Meisterin nennen. „Sie hat eine echte Erfolgs-story geschrieben“, freut sich Friedrichs, „als eine der ersten hat sie den Schritt gewagt und das hat sich schon ausgezahlt.“ „Beim deutschen Meistertitel soll aber nicht Schluss sein“, versichert Stützpunkttrainer Thiel, der in der 14-Jährigen noch viel Potenzial sieht.

Das gilt auch für den 18-jährigen Robert Schröder und den 16-jährigen Witas Behrendt, die Thiel in den vergangenen Jahren in Frankfurt selbst als Hauptübungsleiter coachte. „Beide sind sehr fleißige, tolle Jungs“, attestiert er. „Robert hatte bei der letzten deutschen Meisterschaft nur Pech, dass in seiner Gewichtsklasse die härtesten Brocken waren. Witas hätte in diesem Jahr bei EM und WM gut abschneiden können, doch da hat Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht“, so Thiel. Dennoch ist er sich sicher: „Von beiden dürften wir in den kommenden Jahren noch einiges hören.“

Dass sowohl Schröder als auch Behrendt in ihrer Zeit am Stützpunkt große Fortschritte gemacht haben, hat auch Friedrichs schon zu spüren bekommen. „Wenn unsere Athleten in der Heimat sind, versuchen wir immer, gemeinsam zu trainieren, um das Vereinsleben zu erhalten“, erklärt der Sterne-Coach. „Wenn man dabei dann gegen Robert oder Witas ringt, kann das schon in den Knochen wehtun.“

Für den 15-jährigen Yannik Rudert, der im Gegensatz zu Schröder und Behrendt im Freistil ringt, gilt das zwar noch nicht, könnte es jedoch schon bald. „Er hat schon sehr gute Anlagen“, meint Friedrichs. Stützpunkttrainer Thiel unterstreicht: „In der kurzen Zeit, die er bei uns ist, hat er sich schon sehr gut entwickelt und seine Ergebnisse stimmen. Wenn er so weitermacht, ist noch vieles möglich.“

Der derzeit wohl größte Sterne-Rohdiamant ist allerdings die zugleich jüngste Delegierte: Adelia Vaupel, die erst seit dem Sommer im Internat in Frankfurt lebt und trainiert. „Sie hat ein unglaubliches Talent“, schwärmt Friedrichs, der auch auf der persönlichen Ebene viel von der Zwölfjährigen hält: „Sie wirkt für ihr junges Alter schon unglaublich erfahren, ist eine sehr soziale und umgängliche Persönlichkeit.“

Sportlich machte Vaupel, die Cousine von Witas Behrendt, schon als Landesmeisterin oder als mitteldeutsche Meisterin von sich reden. Die Aufnahmeprüfung im Sommer bestand sie trotz der limitierten Trainingsmöglichkeiten in allen Belangen mit „sehr gut“, glänzte dabei mit ihrer Physis und Technik. An der Sportschule angekommen, wurde sie prompt zur Klassensprecherin gewählt und überzeugte bei den Übungsleitern so sehr, dass sie bereits mit der Nationalmannschaft trainieren durfte. „Sie hat eine große Laufbahn vor sich, wenn sie so engagiert dabei bleibt“, meint Heimatcoach Friedrichs.

Mit Patrizia Bahn erhält Vaupel im Februar eine neue Trainingspartnerin, die sie bereits aus Magdeburg kennt. Regulär rang Bahn bis zuletzt für den SV Braunsbedra, absolvierte aber schon etliche Trainingseinheiten mit den befreundeten Roten Sternen. „In Braunsbedra war seit März kein Mattentraining möglich, weshalb sie schon häufig bei uns mitmachte“, erklärt Friedrichs. Nun entschied sich Bahn für den Vereinswechsel und wurde umgehend „weitervermittelt“, wechselt gemeinsam mit dem Eigengewächs Timo Pitz von der Elbe an die Oder.

„Die Trainer dürfen sich auf zwei echte Diamanten freuen“, sagt Friedrichs. „Beide sind technisch stark und für ihr Alter schon sehr gut ausgebildet.“ Dass die Vermittlung von Talenten so gut gelingt, weiß Stützpunkttrainer Thiel zu schätzen: „Die Zusammenarbeit mit dem Roten Stern klappt hervorragend. Die Sportler sind immer fleißig, engagiert und haben Ziele vor Augen.“ Darauf legt Friedrichs auch großen Wert: „Unser Ziel ist es nicht, so viele Kinder wie möglich wegzuschicken. Wir wollen auf diesem Weg unsere größten Talente fördern.“ Talente, die das Zeug haben, wie Sterne-Athlet und Vorbild Johann Steinforth bei einer WM zu ringen.