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Sportentwicklung Quo vadis Leichtathletik?

Trotz gelungener Generalprobe ist ein Jahr vor der Heim-EM in Berlin nicht alles paletti.

Von Janette Beck 29.08.2017, 01:01

Berlin l Die Leichtathletik hat mit vielen Hindernissen zu kämpfen. Quo vadis? Das ist die bange Frage angesichts vieler systemimmanenter Probleme. Angefangen vom Thema Doping über Korruption, fliegenden Wechseln von Staatsbürgerschaften bis hin zum Mangel an Trainern, Talenten oder an Leistungsbereitschaft im Allgemeinen. Von der drohenden Monokultur durch die Allmacht des Fußballs, der alles an den Rand drückt, ganz zu schweigen.

Von einer Krise war beim Internationalen Stadionfest am Sonntag in Berlin aber nichts zu spüren. Auf den ersten Blick zumindest. Das Istaf war ein Festtag für die Leichtathletik, die olympische Kernsportart Nummer eins. 180 handverlesene Top-Athleten aus 40 Nationen sorgten für Klasse. Zudem ließen die „Local Heroes“ um Speerwurf-Champion Vetter und die „jungen Wilden“ Lückenkemper, Klosterhalfen und Krause die Herzen der Leichtathletik-Fans höher schlagen. Das ZDF übertrug die Wettkämpfe ganze 80 Minuten live. Wow!

Generalprobe gelungen! Könnte man meinen. Alles paletti ein Jahr vor der Heim-EM in Berlin. Das Spektakel kann kommen. Die Leichtathletik, sie lebt! Nicht nur in Großbritannien, wo die WM gerade alle Rekorde brach und neue Begeisterung entfachte. Auch in Deutschland.

Doch ein Tritt auf die Euphoriebremse sei erlaubt. Denn unsichtbar, aber dennoch spürbar schwebte ein Damoklesschwert über dem Berliner Olympiastadion. Allein die halbvollen Ränge machten stutzig: Das Olympiastadion fasst 74.244 Plätze, nur 42.500 waren am Sonntag besetzt. Das ist in der nach wie vor schwelenden Debatte um die Abschaffung der blauen Leichtathletik-Bahn und den Umbau in ein reines Fußballstadion Wasser auf die Mühlen der Befürworter und Fans von Hertha BSC Berlin.

Dabei will der Deutsche Leichtathletikverband (DLV) „unbedingt um den Erhalt dieser Laufbahn kämpfen“, wie der Verbandspräsident Clemens Prokop betont. Es gelte die Kräfte zu bündeln, damit die Leichtathletik in Deutschland ihre attraktivste Plattform behält. Würde nämlich das altehrwürdige Olympiastadion das gleiche traurige Los treffen wie die Arenen in Stuttgart und Bremen, blieben laut DLV nur noch die Stadien in Braunschweig und Nürnberg, die für die Ausrichtung internationaler Meisterschaften in Frage kämen. Vergebliche Liebesmüh‘ für das ehrgeizige Kampfprojekt des DLV, im Jahr 2021 die Staffel-Weltmeisterschaft auszurichten. Und die Idee, sich mittelfristig für eine WM zu bewerben, würde zum Rohrkrepierer.

Auch den EM-Organisatoren in Berlin klingeln angesichts der Zuschauerzahlen beim Istaf die Ohren. „Wir brauchen jeden Abend 45.000 Zuschauer. Das ist kein Wunschgedanke, sondern ein budgetäres Ziel“, mahnte EM-Geschäftsführer Frank Kowalski gestern an. Im Augenblick seien 60.000 Tickets verkauft - für insgesamt sechs Wettkampftage wohlgemerkt.

Dabei haben die „Macher“ bei ihren Planungen alles versucht, den gewachsenen Ansprüchen des Publikums an ein spannendes, actionreiches, kurzweiliges und familienfreundliches Leichtathletik-Event gerecht zu werden.

Theoretisch könnte das sogar klappen. In der Praxis sind Zweifel angebracht. Denn das innovativste Projekt ist nichts wert, wenn nicht auch die Protagonisten mitziehen und mit gutem Beispiel vorangehen. Und taten sie das, die deutschen Leichtathletik-Asse bei der WM in London? Haben sie die Vorfreude auf die Heim-EM geschürt?

Die Meinungen sind geteilt. Fünf Medaillen wurden erkämpft. Mit Ach und Krach. Gut, in Zeiten wie diesen sollte Edelmetall nicht mehr der alleinige Maßstab sein. Dann aber zumindest Saison-Bestleistungen. Aber auch diesen Anspruch erfüllten von den 71 deutschen Athleten nicht mehr als zwei Hände voll. Der Rest hatte, wie vor laufender TV-Kamera immer wieder zu hören war, wenigstens Spaß. Spätestens hier sollten dann doch die Alarmglocken läuten.

Es ist eine Kurskorrektur notwendig. Und diese muss von grundsätzlicher Natur sein. Die angedachte Sportreform gehört noch einmal auf den Prüfstand, denn sie ist nicht bis zu Ende gedacht. Sie macht nämlich nur Sinn, wenn Politik und Wirtschaft mit ins Boot geholt werden. Mit dem Leistungssport im Allgemeinen und der Leichtathletik im Besonderen ist es wie mit dem Schwangersein: Ein bisschen geht nicht.