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Kanu Oeltze und die Flucht aus dem Teufelskreis

Yul Oeltze vom SC Magdeburg hat lange Zeit gebraucht, um nach der Verlegung der Olympischen Spiele wieder zum Kampfgeist zu finden.

Von Daniel Hübner 31.08.2020, 12:42

Magdeburg l Keine Lust aufzustehen. Immer wieder der Blick zum Wecker. Ein lautes Klingeln, bis gefühlt das Trommelfell zu platzen droht. Und diese Sinnfrage, wofür es sich gerade lohnt, ins Boot zu steigen. „Ich war ein anderer Mensch“, sagt Yul Oeltze über die Zeit nach der Verlegung der Olympischen Spiele ins Jahr 2021. „Es war ein Teufelskreis, den ich nicht einfach durchbrechen konnte. Ich war nicht fit, mir hat die Motivation gefehlt. Jeder ist mit der Verlegung der Spiele anders umgegangen. Ich habe es nicht gut hinbekommen.“ Weshalb auch die Flucht aus dem Teufelskreis einen ziemlich langen Weg nehmen sollte.

Yul Oeltze sagt: „Außenstehende werden das nur sehr, sehr schwer verstehen.“ Ein Erklärungsversuch: Oeltze, der Canadier-Fahrer des SC Magdeburg, ist 2017 und 2018 Weltmeister im C2 über die olympischen 1000 Meter geworden. Gemeinsam mit seinem Leipziger Partner Peter Kretschmer. Oeltze hat mit ihm in jener Disziplin im vergangenen Jahr den vierten WM-Platz belegt. Was das Duo einfach auf sich nicht sitzen lassen wollte als bester Canadier-Zweier in Deutschland.

Sie hatten also noch härter trainiert, sie hatten Kraft getankt, waren „in der ganzen Zeit komplett bei 120 Prozent“, sagt der 26-Jährige. In der Zeit bis zur Olympia-Absage Ende März. Sie sind damals auf dem Höhepunkt des Spannungsbogens gepaddelt, der mit Beginn der Corona-Pandemie komplett zerstört wurde. „Junge oder verletzte Athleten haben sich über die Verlegung vielleicht gefreut. Aber alle, die mit einem Fuß bereits in Tokio standen, waren niedergeschlagen“, sagt Oeltze. Und spricht dabei vor allem über Oeltze.

Seine Niedergeschlagenheit hat sich in seinen Stimmungsschwankungen gezeigt. Gerade im Leben mit Jana, Oeltzes Lebensgefährtin. „Sie musste meine Launen ertragen, es gab öfter mal Krach. Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie mir trotzdem immer zur Seite gestanden hat“, betont er. Auch auf dem Weg zurück ins Training, zurück zur Leistung, die er zu den Überprüfungen des Deutschen Kanuverbandes (DKV) im Juli in Duisburg zeigen konnte, „nachdem ich meiner Form lange hinterhergelaufen war“.

Zum ersten Test lief es noch mittelmäßig, zum zweiten lief es schon viel besser: „Wenn man sieht, welche Leistung ich trotz der Umstände abgerufen habe, dann weiß ich: Wenn ich doppelt so viel trainiere, sieht es schon ganz anders aus.“

Ganz anders hatte er sich auch seinen Auftritt bei den deutschen Meisterschaften im August vorgestellt. Dort bestritt er ein Rennen – und sagte dann alle weiteren Starts ab. Zum einen „aufgrund einer Disbalance im Rücken, die wir aber wieder sehr gut hingekriegt haben“. Zum anderen war seine Absage auch psychosomatisch begründet, sagt Oeltze. Erschöpfung hat er gespürt. „Der Akku war leer.“

Die Verantwortlichen des DKV trafen für ihn die Entscheidung, die „ich mir auch selbst gewünscht hatte“. Sie nahmen Oeltze aus weiteren Maßnahmen heraus, er wird die internen Elite-Rennen Anfang kommender Woche in München nicht bestreiten. Er wird vielmehr den Resetknopf drücken, den Puls noch einmal runterfahren, um dann „Ende September wieder voll angreifen zu können“, erklärt Oeltze. „Und um dort wieder anzukommen, wo ich schon im März gewesen bin“. Zum Spaß am Sport zum Beispiel, „der mir in der Corona-Zeit abhanden gekommen war“, was dafür sorgte, dass „ich mich nicht mehr quälen konnte“. Und er will zurück zu den 120 Prozent. Oder „vielleicht noch mehr“.

Denn natürlich ist Oeltze weiterhin auf die Sommerspiele fokussiert, die vom 23. Juli bis 8. August 2021 abgehalten werden sollen. Aber in erster Linie richtet er seinen Blick auf die nationale Rangliste, auf die Olympia-Qualifikation, die wohl im April ausgetragen wird. „Ich will die Rangliste gewinnen, auch um es mir selbst zu beweisen“, so Oeltze. „Dann sollte an Peter und mir auch im C2 kein Weg vorbeiführen.“ Sinnfrage beantwortet.