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Verkehr Schweiß, Blut und Tränen

Den Führerschein in Magdeburg absolvieren - Eine Geschichte von zitternden Knien, Baustellen-Hass und später Liebe.

Von Nico Esche 17.03.2020, 23:01

Magdeburg | Das Auto. Nicht nur Slogan und genialer Erguss der Werbe-Abteilung rund um die Kampagne eines der berühmtesten Autoherstellers der Welt. Vielmehr eine Symbiose zwischen “dem Deutschen” und ebenjenem deutschen Lieblingsspielzeug. Für viele Mittel zum Zweck, manch einer nutzt es als Statussymbol, ein anderer als - pardon - Gemächtsverlängerung.

Am Ende des Tages jedoch besteht das Auto schlicht aus hunderten Schräubchen, kunstlederbezogenem Interieur und einem riesigen Haufen verschiedener Metalle. Eine nahezu perfekt funktionierende Maschine, entsprungen aus und weiterentwickelt von den hellsten Köpfchen des vergangenen Jahrhunderts.

Für mich war das Automobil stets ein blechernes Äquivalent zum klassischen Paarhufer, willkommene Ausrede und astreine Überkompensation.

Bis zu dem Tag, an dem ich selber am Steuer saß und durch Magdeburg und ihrer Umgebung heizen durfte, ich das wohlige Vibrieren der Maschine unter meinem Gesäß spürte und sich ein Gefühl von Freiheit breitmachte.

Fahren durch Magdeburg bietet dabei doch so manche Tücke - speziell als Fahranfänger, in meinem Fall als Fahrschüler. Hat man die Kurbelei am Schaltknüppel endlich raus und knallt alsbald nicht mehr von dem 2. in den 5. Gang (der Motor dankt stets), öffnen sich dem Anfänger gar sonderliche Stilblüten auf Magdeburgs Straßen. Da springt das übermotivierte Schulkind noch mal schnell zwischen zwei Autos auf die Fahrbahn, um die nahende Straßenbahn zu erwischen; Straßen werden wegen Baustellen gesperrt, wieder freigegeben und darauf wieder gesperrt(!); Tempo 30 von manch einem schlicht als “Empfehlung” angesehen.

Was mich als Dorfkind, der seine ersten Praxisstunden nun in einer Großstadt absolvieren darf, tief beeindruckt, ist die Partnerschaftlichkeit im aufgeheizten Metropol-Blech-Dschungel.

Als führerscheinlose Anwohner des Hasselbachplatzes hat man es nicht leicht. In einem unbedachten Moment nicht aufmerksam genug die Straße gekreuzt, nimmt dich die Tram noch ein paar Meter mit - ungewollt, versteht sich. Schnell packen erboste Fahrer den "Gesichts-Wischer" aus, deuten liebevoll mit dem Mittelfinger in deine Richtung oder es erschallt ein Hupkonzert, als müssten die Mauern von Jerichow eingerissen werden.

Übrigens: Den ersten Huper als Fahrschüler erntete ich im Jerichower Land. Kuppeln und Schalten ist eine Kunst, sorry, ist nunmal so. Wer ist nun ungeduldiger auf den Straßen: Stadt- oder Landbewohner? Ich schaue in deine Richtung, Honda-fahrende Frau mittleren Alters.

Begibt man sich selbst auf die Straßen, sozialisiert man sich in der ersten Sekunde mit den Verkehrsteilnehmern, baut ein unsichtbares Band auf. Mich würde es nicht wundern, wenn manch einer das Verlangen verspürt nach erhaltener Vorfahrt aus dem Auto zu steigen und im Gefühl der Solidarität die “Bro-Fist” (dieser Tage auch "Corona-Fist") auspackt.

Und das ist auch gut so. Ein jeder, der den Führerschein bestanden hat, weiß um die Strapazen, die hinter einem liegen. In kaum einem anderen Land der Erde herrschen solch strikte Regeln und Gesetze, geht es um die Teilnahme im Straßenverkehr. Immerhin geht es nach einer falschen oder zu spät getroffenen Entscheidung und im schlimmsten Fall um den Zustand: Leben oder Nicht-Leben.

Denkt daran, wenn ihr wieder einmal aus dem Fluchen über die anderen Verkehrsteilnehmer nicht mehr herauskommt. Magdeburgs Straßen funktionieren wie eine herrlich geschmierte Maschine - eine, die gelegentlich mal verstopft ist und abartig zum Stinken neigt und selten auch mal den Betrieb verweigert. Jedoch: In zwei Jahren, die ich in der Altstadt mit Blick auf den Hassel lebe, beobachtete ich insgesamt drei Unfälle - jeweils glücklicherweise nur Blechschäden. Da darf man sich schon einmal verwundert die Augen reiben.

Unabhängig meiner ganz persönlichen Liebäugelei zum Thema "autofreie Innenstadt", dem produzierten Lärm und der nicht von der Hand zu weisenden Umweltverschmutzung durch das Automobil, muss ich sagen: Autofahren fetzt gewaltig. Die gelebte Ambivalenz.

Bis ich die Prüfung bestanden habe (ihr dürft mir die Daumen drücken), werde ich weiterhin das fantastisch ausgebaute Straßenbahnnetz in Magdeburg nutzen, beziehungsweise mit meinem Fahrrad durch die City fahren. Das Auto ist dabei für mich die unumgängliche Konsequenz - geht halt nicht ohne, Alternativen sind nicht abzusehen. Außer ich heiße Kaiser Wilhelm II., der einst sprach: "Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd". Naja ...

Auto, Öffis, Fahrrad oder zu Fuß. Was ist Euer liebstes Fortbewegungsmittel in Magdeburg? Wie fährt es sich Eurer Meinung nach in Magdeburg und habt Ihr schon einmal einem wildfremden Verkehrsteilnehmer ein solidarisierendes Zwinkern gedrückt? In die Kommentare.

Euer Nico Esche