1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Karlsruhe: Deutsche Zustimmung zu EU-Einheitspatent nichtig

Schwerer Rückschlag Karlsruhe: Deutsche Zustimmung zu EU-Einheitspatent nichtig

Nur ein Antrag statt viel Aufwand und Ärger in jedem einzelnen Land - das EU-Einheitspatent soll es Unternehmen mit ihren Erfindungen einfacher machen. Nun hängt das Projekt am seidenen Faden.

Von Anja Semmelroch, dpa 20.03.2020, 12:28
Uli Deck
Uli Deck dpa

Karlsruhe (dpa) - Das europäische Einheitspatent soll Unternehmen beim Anmelden ihrer Erfindungen Zeit und Geld sparen - aber jetzt hat das Projekt einen schweren Rückschlag erlitten.

Die für den Start zwingend erforderliche deutsche Zustimmung hat keine Grundlage mehr. Das Bundesverfassungsgericht erklärte ein dafür notwendiges Gesetz nach der Verfassungsbeschwerde einer Einzelperson für nichtig. Das wurde am Freitag in Karlsruhe mitgeteilt. (Az. 2 BvR 739/17)

Schon heute kann ein Unternehmen seine Erfindung mit einem nationalen oder einem europäischen Patent schützen. Europäische Anmeldungen prüft zentral das Europäische Patentamt (EPA) in München. Allerdings müssen die erteilten Patente anschließend in jedem Land, in dem sie gelten sollen, einzeln für gültig erklärt und aufrechterhalten werden. Laut EPA kann das ein sehr komplexer Prozess sein - der Unternehmen unter Umständen auch sehr viel Geld kostet.

Mit dem Einheitspatent soll es einfacher gehen. Die Idee dahinter ist, dass jeder Inhaber eines europäischen Patents zentral einen Antrag auf einheitliche Wirkung stellen kann. Damit soll das Patent auf einen Schlag in allen teilnehmenden Staaten gelten.

Das System kann aber erst starten, wenn auch das vorgesehene Einheitliche Patentgericht (EPG) eingerichtet ist. Dieses neue internationale Gericht soll über die Gültigkeit oder Verletzung von Einheitspatenten oder europäischen Patenten entscheiden. Bisher sind dafür die nationalen Gerichte und Behörden zuständig.

Die Verfassungsbeschwerde, die ein Fachanwalt eingelegt hatte, richtete sich gegen dieses Gericht - genauer gesagt: gegen das Ja des Bundestags zur deutschen Zustimmung. Die Parlamentarier hatten das Gesetz im April 2017 einstimmig angenommen. Anwesend waren damals allerdings nur ungefähr 35 der mehr als 600 Abgeordneten. Die Verfassungsrichter erklärten den Beschluss deshalb für nicht wirksam.

Nach ihrer Entscheidung hätte das Gesetz mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen werden müssen. Denn es bewirke in der Sache eine Verfassungsänderung. Deutsche Gerichte würden dadurch verdrängt.

Ein zentraler Satz ist, dass alle Bürgerinnen und Bürger "grundsätzlich ein Recht darauf haben, dass eine Übertragung von Hoheitsrechten nur in den vom Grundgesetz dafür vorgesehenen Formen erfolgt". Das machte es einem einzelnen Kläger möglich, ein EU-Projekt zu bremsen - nur weil Formalien nicht eingehalten wurden.

Drei der acht Richter des Zweiten Senats halten das für problematisch, sie tragen die Entscheidung nicht mit. Der Senat beabsichtige das zwar nicht, schreiben sie in einem gemeinsamen Sondervotum. Aber die Einführung einer formalen Kontrolle werde "zur Folge haben, dass sich notwendige politische Gestaltungsräume des Parlaments im Prozess der europäischen Integration verengen". Entscheidungen mit knapper Mehrheit müssten möglich bleiben.

Wie es nun mit dem europäischen Einheitspatent weitergeht, war zunächst unklar. Das Projekt liegt seit drei Jahren auf Eis, weil der Bundespräsident wegen der Klage in Karlsruhe das Zustimmungsgesetz seit 2017 nicht ausgefertigt hatte. Die drei Länder mit den meisten europäischen Patenten müssen zwingend ihre Zustimmung erteilen. Dazu gehört Deutschland. Bisher ging man beim Europäischen Patentamt davon aus, dass das Einheitspatent voraussichtlich Ende 2020 starten kann.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erklärte, das Verfassungsgericht erweise der Wirtschaft einen Bärendienst. "Mit der Entscheidung gegen die Patentreformen wird ein effektiver und bezahlbarer Innovationsschutz für die Unternehmen blockiert", sagte Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Das schwäche die Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber Regionen in China und den USA.

Laut BDI liegen die Kosten für ein europaweites Patent nach Berechnungen der EU-Kommission derzeit bei rund 36 000 Euro. Mit dem Einheitspatent würden sie demnach auf knapp 5000 Euro sinken.

Mitteilung des Gerichts

Beschluss vom 13. Februar

Infos zu Einheitspatent und Einheitlichem Patentgericht

Übersicht zum Stand der Ratifizierung

Bundesjustizministerium zur Reform

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht

Anwalt über die Verfassungsbeschwerde