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Große Nachfrage Urbane Meeresfischfarm aus dem Saarland will Schule machen

Eine Meeresfischfarm im Saarland macht wieder Schlagzeilen. Dieses Mal aber positive: Die Züchter kommen mit der Produktion kaum hinterher, so groß ist die Nachfrage. Die Anlage weit weg von jeglicher Küste bedient einen großen Trend.

Von Birgit Reichert (Text) und Oliver Dietze (Foto), dpa 31.08.2018, 07:40

Völklingen (dpa) - Die saarländische Stadt Völklingen liegt mehr als 400 Kilometer vom nächsten Meer entfernt. Dennoch tummeln sich hier Hunderttausende von Meeresfischen.

Aus riesigen Salzwasserpools werden täglich Kingfische, Doraden und Wolfsbarsche herausgefischt und an anspruchsvolle Kunden in Deutschland, Luxemburg, Österreich, Italien und der Schweiz geliefert. Die Anlage auf dem Gelände einer früheren Kokerei ist etwas Besonderes: "Es ist die erste Fischfarm, die wirklich unabhängig vom Meer im großen Stil produzieren kann", sagt der Geschäftsführer von "Fresh", Peter Zeller.

Was einst als Fehlinvestition belächelt wurde, sei jetzt auf Erfolgskurs: "Unsere Kunden kaufen uns die Farm leer. Wir haben viel weniger Fisch, als nachgefragt wird", sagt der Schweizer. Er hat die Anlage vor drei Jahren mit einer privaten Schweizer Investorengruppe gekauft. Für rund drei Millionen Euro, nachdem das Ende 2007 gestartete Projekt den Stadtwerken Völklingen deutlich mehr als 20 Millionen Euro Schulden beschert hatte.

"Wir hatten am Anfang sehr wenig Wissen und Zeit, uns darauf einzustellen", erzählt Zeller (48). Es sei vor allem eine Vision gewesen, die sie angetrieben habe: Fischkonsum ökonomischer und ökologischer zu machen. "Effektiv eliminieren wir den Transportweg", sagt er. In Völklingen werde Kingfisch produziert, der üblicherweise im südlichen Pazifik zu Hause sei und "um die ganze Welt" fliegen müsse, bevor er auf unseren Tellern lande. Durch die Produktion vor Ort "reduzieren wir den CO2-Abdruck" um bis zu 90 Prozent.

Auch die Wasserreinigungsanlage wurde optimiert, drei von vier der je 30 Mal 30 Meter großen Becken sind nun technisch auf Vordermann: Die Produktion liege bei rund 200 Tonnen Fisch im Jahr. "Wir sind auf gutem Weg, 500 Tonnen in den nächsten zwölf Monaten zu erreichen", sagt der Züricher, der vorher Marketing bei der Fluglinie Swiss gemacht, Werbeagenturen geführt und Greenpeace beraten hat.

Zudem wurde der Vertrieb aufgebaut. Der Fisch wird per Lastwagen innerhalb von einem Tag ausgeliefert, unter anderem an den Delikatessengroßhändler "La Provencale" in Luxemburg, das "Frischeparadies" in Hamburg oder an "Bianchi" in der Schweiz. Seit März zähle auch die Einzelhandelskette Edeka zu den Kunden. "Wir müssen jetzt lernen, das Rad schneller zu drehen", sagt Zeller. Ab nächstem Geschäftsjahr wolle die Firma schwarze Zahlen schreiben.

Zeller sieht in der Anlage in Völklingen mehr als eine Farm, sondern einen Prototyp für weitere urbane Fischfarmen. "Sobald das System seine volle Kapazität erreicht, dann lässt sich das multiplizieren." Viele Besucher kämen, um sich zu informieren: aus Bangladesch, aus China, aus Mexiko. "Ich gehe davon aus, dass es in der Zukunft in jeder Stadt ab drei Millionen Menschen so eine Farm gibt."

Nach Kenntnis von Professor Ulfert Focken vom Institut für Fischereiökologie des Thünen-Instituts in Bremerhaven ist die Völklinger Zuchtanlage die einzige in Deutschland, die unabhängig vom Meer Fische produziert. Zudem gebe es wenige kleinere Meereswasser-Aquakulturen im Binnenland, die Garnelen züchten. Der technologische Aufwand dieser Anlagen sei hoch, sodass die Produkte teuer sein müssten. "Die Völklinger bedienen einen Nischenmarkt", sagt Focken.

Bei den dort produzierten Fischen handele es sich für eine Kreislaufanlage um "schon eine ziemlich große Menge", sagt er. Gemessen an Fischzuchten etwa im Mittelmeer, die mehrere tausend Tonnen im Jahr produzierten, sei es aber "ein Klacks". Laut der Welternährungsorganisation FAO lag die Aquakultur-Produktion 2016 weltweit bei 80 Millionen Tonnen - Tendenz steigend. "Die Aquakultur wird mehr Fisch produzieren müssen, wenn wir die Versorgung der Weltbevölkerung mit Eiweiß sicherstellen wollen", meint Focken.

Allein die Deutschen essen nach Angaben des Fischinformationszentrums in Hamburg im Schnitt gut 14 Kilo Fisch pro Jahr und Kopf. Das Gesamtaufkommen an Fisch und Fischereierzeugnissen lag bundesweit 2016 bei rund 2,2 Millionen Tonnen. Aus deutscher Binnenfischerei und Aquakultur kamen 286.000 Tonnen.

Ob die Völklinger Anlage ein Modell für die global steigende Fischnachfrage sein könnte? Es gebe bisher keine Analyse der ökonomischen und ökologischen Kosten für Produktion und Transport, die beide Systeme - Kreislauf und Freiland - gegenüberstelle, sagt der Experte. Aber: "Wenn das jemand versucht nachzumachen, muss er berücksichtigen, dass die Anlage damals aus dem Konkurs gekauft worden ist." Sprich: Die Kosten bei einer Neu-Erstellung wären höher.

Das System in Völklingen funktioniere überall auf der Welt, meint Zeller: Es gibt geschlossene Wasserkreisläufe, die die Becken biologisch rein halten. Die Fütterung läuft automatisch über einen Futterautomaten, der über den Pools seine Bahnen zieht - Strom kommt auch aus der eigenen Solaranlage.

Der Chef der Völklinger Stadtwerke, Michael Böddeker, ist von Zellers Job beeindruckt. "Ich habe wirklich großen Respekt vor dem, was er da in den letzten Jahren geleistet hat", sagt Böddeker. Er habe gezeigt, dass die Anlage funktioniere. "Da muss ich sagen: Chapeau!"

Auch für Böddeker waren die vergangenen Jahre nicht einfach. Er musste die Stadtwerke, die kurz vor der Insolvenz standen, auf Kurs bringen. Dies ging über Kündigungen, Einsparungen, neue Strukturen. "Wir haben uns freigeschwommen." Den Fisch von Zeller hat Bödekker noch nicht probiert. "Ich sage immer: Das wäre der teuerste Fisch, den ich in meinem Leben je gegessen hätte."