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Helga Paschke „Das Nichtstun muss ich erst lernen“

An der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt - dem Ruhestand - zieht die Landtags-Vizepräsidentin Helga Paschke (Die Linke) Bilanz.

Von Anke Schleusner-Reinfeldt 17.02.2016, 11:16

Klietz l Nur noch ein paar Tage bestimmt sie die Geschicke in Sachsen-Anhalt mit. Die Klietzerin zieht sich aus der Politik und dem Berufsleben zurück. Gut und gerne hätte sie mit 62 Jahren noch eine weitere Legislaturperiode dranhängen können. Aber schon als sie 2011 wiedergewählt wurde, verkündete sie immer wieder, dass es ihre letzte Legislatur sei – damit andere es wissen und damit sie sich selbst auch langsam mit dem Gedanken anfreunden kann. Hat sie das? „Es ist schon komisch!“ gesteht die Linkspolitikerin wenige Tage nach der letzten Landtagssitzung.

Immerhin 18 Jahre war die politische Bühne ihr Zuhause, als Landtagsvizepräsidentin erfüllte sie zusätzliche Aufgaben im Namen des ganzen Landtages. Unvergessen bleiben für sie die internationalen Präsentationen. „Ich denke da zum Beispiel an die sehr bewegenden Besuche im Kosovo, in Israel und Palästina oder aber auch an die Teilnahme bei der Eröffnung des neuen schottischen Parlaments. Da gab die Queen für ausländische Gäste einen Empfang.“

So lange wie die Queen nun schon für ihr Land tätig ist, kann es sich Helga Paschke nicht vorstellen. „Wir haben kluge Köpfe, die nachkommen. Auch sie sollen eine Chance haben, sich zu beweisen. Das geht nur, wenn Ältere ihren Platz räumen. Ich tue das jetzt. Und ich weiß, dass mit Jenny Schulz in meinem Wahlkreis Osterburg-Havelberg oder Mario Blasche aus Stendal zwei Politiker antreten, die sowohl inhaltlich als auch menschlich ihre Arbeit gut machen werden.“

Sie wolle den Zeitpunkt, an dem sie sich zur Ruhe setzt, selbst bestimmen. „Mein alter Chef hat immer gesagt: Es gibt drei Stufen des Älterwerdens: Die erste: Man merkt selbst, dass die Kräfte nachlassen, die anderen noch nicht. Die zweite: Man selbst und andere merken, dass die Kräfte schwinden. Und die dritte: Man selbst merkt es nicht, aber andere. Ich habe die erste Stufe erreicht – also genau der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören.“ Sie merke, dass sie nicht mehr jedes Wochenende unterwegs sein oder vor dem Computer sitzen will und kann. „Politik ist ein Geschäft. Ich war immer ehrgeizig und habe alles gegeben, das Gummiband war immer straff gespannt. Nun lässt es nach.“

Endlich will Helga Paschke, gelernte Physiotherapeutin und studierte Gesellschaftswissenschaftlerin, Zeit mit der Familie und ihrem Mann, der ebenfalls im März die Tankstellenpacht aufgibt, verbringen. „So viele Jahre musste mein Mann zurückstecken. Viele Wochenenden haben wir nicht zusammen verbracht. Er war der staatlich anerkannte Opa. Als die Enkel noch klein waren, hat er sie aus dem Kindergarten abgeholt oder auf sie aufgepasst, wenn sie krank waren – ich bin zur Arbeit gefahren. Umso mehr habe ich die Zeit, die wir zusammen verbrachten, genossen.“

Die Politik bestimmt im Hause Paschke oft die Gespräche. Denn Helga Paschke ist nicht nur landespolitisch tätig, sondern sie sitzt auch im Kreistag und seit vergangenem Jahr im Rat der Verbandsgemeinde Elbe-Havel-Land. Und ihr Mann ist seit 2015 Bürgermeister von Klietz. Manchmal schon morgens am Frühstücks­tisch wird über kommunale Probleme und Problemchen gesprochen. „Wir haben schon gemeinsame Grundhaltungen. Aber unsere Meinungen gehen auch auseinander, wenn es ins Detail geht. Mein Mann ist ein Bauch-Mensch, reagiert schnell und manchmal auch impulsiv, das ergänzt mich. Ich fälle ganz selten spontane Entscheidungen, überlege hin und her, lasse auch mal Zweifel zu, was alle Politiker machen sollten, um falsche Entscheidungen dann auch zu korrigieren – das ist keine Schwäche, sondern Stärke!“

Noch gut erinnert sich Helga Paschke daran, wie die Gebietsreform auf den Weg gebracht wurde. Der damalige Innenminister Püschel hatte den Landtagsabgeordneten zwei Tage vor Weihnachten sein Leitbild zukommen lassen. Sogar Heiligabend und Silvester hat Helga Paschke die über hundert Seiten durchgeackert, um auf der Klausur ihrer Fraktion im Januar einen fundierten Vorschlag zum Umgang mit dem Thema vorzulegen. Nach langem Hin und Her und parteilichem Ringen stand das „Bild“, das dann doch wieder gekippt wurde – die ganze Arbeit umsonst!

Auch mit der Schulpolitik hadert die Mutter und Oma einer großen Familie. „Es ist ein fataler Fehler, die Kinder nach der vierten Klasse auseinander zu reißen. Sie sollen doch bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen. Und wer dann noch das Abitur dranhängen möchte, kann es tun. Nun ist es leider so, dass die Kinder auf Teufel komm raus aufs Gymnasium sollen, obwohl ihre Leistungen dafür gar nicht ausreichen.“

Bei aller Kritik, was in Sachsen-Anhalt anders läuft als es sich die Linkspolitikerin wünscht, so sieht sie das Land im Gegensatz zu anderen energiepolitisch gut aufgestellt, „da wurde schon Gutes geleistet“.

War Helga Paschke in der ersten Legislatur kommunalpolitische Sprecherin, so lag ihr Hauptaugenmerk in den letzten beiden Wahlperioden auf der Verwaltungs- und Personalpolitik. „Seit 2007 erlebe ich, dass es mit dem Landespersonal abwärts geht. Nicht nur bei Lehrern und Polizisten werden Stellen gestrichen, sondern auch bei den anderen Landesbediensteten wird gespart. So werden die Altersteilzeitstellen in der Ruhephase nicht neu besetzt und auch keine jungen Leute zur Ausbildung herangezogen. Der Austausch von Erfahrungen zwischen langjährigen Landesbediensteten und jungen Beamten fehlt komplett. Das muss sich ändern!“

Der Tatsache, dass immer weniger Personal da ist, sei vielleicht auch geschuldet, dass solche Entscheidungen wie die zur Wuster Grundschule gefallen sind. „Da ist das Umfeld gar nicht berücksichtigt worden! Geplant war, dass die Schule zwei Jahre eine Ausnahme erhält. Dass aber in Schönhausen erst die Bedingungen geschaffen werden müssen, hat man vielleicht sogar aus Unkenntnis nicht berücksichtigt. Es ging einfach nur darum, die Lehrerstellen in Wust zu sparen. Ich hoffe, die Entscheidung wird noch überdacht. Aber die Zeit rennt davon!“

Der Kontakt zu den Menschen war der Klietzerin immer wichtig. Besuche in Altersheimen, Kindergärten, Grundschulen, Betrieben, bei Vereinen oder jüngst auch Begegnungen mit Flüchtlingen waren ihr wichtig, um sich vor Ort die Sorgen anzuhören. Sie hat sich auch immer Zeit genommen, um ihre Lieblingsgeschichten in Kindereinrichtungen vorzulesen. Und wenn es ihr möglich war, machte sie Spenden locker, um Projekte zu unterstützen. Zuletzt beispielsweise für die Gestaltung einer Fassade mit Graffiti an der Klietzer Grundschule.

Wenn sich Helga Paschke ab dem Frühling nicht mehr um Landespolitik kümmern muss, will sie sich umso mehr in kommunale Angelegenheiten stürzen. „Die haben manchmal doch gelitten, weil meine Arbeit für das Land natürlich im Vordergrund stand. Und wenn zwei Termine gleichzeitig anstanden, habe ich mich für meine Arbeit entschieden.“ Nun will sie sich intensiver um Kreistagsthemen kümmern und sich auch auf Ebene der Verbandsgemeinde verstärkt einbringen. „Beide Gremien können an Qualität noch zulegen. Warum wartet man beispielsweise immer, bis man Entscheidungen von der Verwaltung vorgelegt bekommt und macht nicht selbst Vorschläge? Und man muss den Menschen die Entscheidungen, die getroffen werden, besser erklären. Nur so können sie auch Verständnis aufbringen.“

Was sie sich für den Ruhestand vorgenommen hat? „Wie sich mein Alltag gestaltet, ist mir auch noch nicht klar. Ich kann dann Dinge tun, die ich schon immer tun wollte. Mir liegt viel an einem gemütlichen Zuhause. Ich habe so viele Nächte im Hotel verbracht, da war es immer ein unbeschreiblich schönes Gefühl, nach Hause zu kommen. Ich will mich noch mehr den Details widmen, Dinge selbst gestalten. Oder auch mal wieder einen spannenden Krimi lesen. Mich hinzusetzen und die Ruhe beispielsweise in unserem Garten zu genießen, muss ich aber wohl erst noch lernen.“