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Meinungsfreiheit Asli Erdogan sieht Parallelen zu Nazi-Deutschland

Sie fürchtet um die Türkei und mahnt. Die türkische Autorin sieht ihr Land auch als großes Sammellager: Die Menschen wissen nicht, wann und warum sie eingesperrt werden.

24.05.2017, 13:07

Istanbul (dpa) - Die türkische Autorin Asli Erdogan sieht Parallelen zwischen der Lage in der heutigen Türkei und der Situation in Deutschland zu Beginn der Nazi-Herrschaft.

"Weil ich mich sehr gut mit dieser Zeit auskenne, ziehe ich generell Vergleiche mit Nazi-Deutschland", sagte die 50-Jährige am Dienstagabend in Istanbul der Deutschen Presse-Agentur auf die Frage, wohin sich die Türkei entwickele. "Es gibt viele Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede. Das muss ich zugeben, denn Vergleiche zu ziehen, ist immer gefährlich. Aber wir steuern wirklich mit voller Geschwindigkeit auf ein äußerst totalitäres Ein-Parteien-Regime zu."

Erdogan fügte am Rande einer Preisverleihung hinzu, besonders gefährlich werde es, wenn die Justiz nicht mehr funktioniere. "Der Justizmechanismus ist wirklich vollkommen zum Erliegen gekommen. Im Moment hat sich die Türkei in ein Sammellager verwandelt", sagte sie. "Die Menschen wissen nicht, wann und warum sie eingesperrt werden, und auch nicht, wann und ob sie wieder herauskommen." Die Autorin fügte hinzu: "Bald werden wir wahrscheinlich wegen halber Sätze, halber Ausrufezeichen, eines halben Kommas verhaftet. Glauben Sie mir, ich habe keine schlimmere Zeit erlebt."

Zur künstlerischen Betätigung in einem solchen Umfeld sagte die preisgekrönte Autorin: "Natürlich kann jemand, dem eine Pistole an den Kopf gehalten wird, keine Arie singen. Wer kann in so einem Umfeld schon Literatur und Kunst machen? Das ist natürlich unser einziger Halt, mit dem wir versuchen weiterzuleben. Aber jeder spricht von Hoffnung. Es wird so viel von Hoffnung geredet. Alleine das offenbart eigentlich die Hoffnungslosigkeit."

Erdogan war im vergangenen August in Untersuchungshaft genommen und im Dezember wieder freigelassen worden. Allerdings verhängte das Gericht eine Ausreisesperre gegen die Autorin, der lebenslange Haft droht. Ihr wird unter anderem Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen.

Am Dienstagabend wurde ihr in Istanbul der Preis für Meinungs- und Gedankenfreiheit des Vereins der türkischen Herausgeber verliehen. Vergangene Woche wurde mitgeteilt, dass sie mit dem mit 25 000 Euro dotierten Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet wird.