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Autoindustrie Schönebeck noch verschont von der Krise

Die Autobranche steckt in der schwersten Krise seit Jahren. Beim Zulieferer Thyssenkrupp in Schönebeck sind die Auftragsbücher gut gefüllt.

02.03.2020, 23:01

Schönebeck l In jedem vierten Auto weltweit sind Lenk-Teile von Thyssenkrupp verbaut. Die meisten davon durchlaufen das Werk in Schönebeck oder werden hier produziert. Das Lenkungswerk gehört zu den wichtigsten Standorten der Autosparte des aktuell angeschlagenen Thyssenkrupp-Konzerns in Deutschland. Von einer Krise ist zumindest im Werk in Schönebeck nichts zu spüren. Die Auftragsbücher sind voll. In diesem Jahr sollen mehr Lenk-Komponenten gebaut werden als noch 2019.

Lenkungen werden in allen Autos gebraucht – unabhängig, ob Verbrenner oder Elektrofahrzeug. Unter der Diesel-Krise und dem Trend zur Elektromobilität leidet der Standort deshalb nicht. Auch die aktuellen Automodelle, die mit Bauteilen aus Schönebeck versorgt werden, laufen derzeit gut. Zu den Kunden gehören unter anderem BMW, Daimler und Ford.

900 Mitarbeiter beschäftigt Thyssenkrupp in Schönebeck, das Werk gilt als einer der wichtigsten Arbeitgeber rund um Magdeburg. Geleitet wird es seit wenigen Wochen von Jana Stierwald. Die 46-Jährige hat bereits für den Konzern in Ilsenburg und Chemnitz gearbeitet, war sogar in China für Thyssenkrupp. Ihre Karriere wollte sie aber ausgerechnet bei den Finanzbehörden beginnen, hat eine Ausbildung beim Finanzamt gemacht. Nach ihrem BWL-Studium zog es die gebürtige Otterslebenerin aber in die Produktion. Vor allem während ihres China-Aufenthaltes habe sie viel gelernt. „Toleranz und Weltoffenheit zum Beispiel“, sagt Stierwald. Ihr Werk ist hochmodern. Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, wird weiter investiert, vor allem in neue Fertigungsanlagen und Prozessverbesserungen.

Der Standort in Schönebeck ist ein Schlüsselwerk der Autozuliefer-Sparte von Thyssenkrupp: Hier werden Komponenten und Baugruppen gefertigt, die in Schwesterwerken auf der ganzen Welt zu kompletten Lenksystemen verbaut werden. Schönebeck ist eine wichtige Drehscheibe im globalen Produktionsnetzwerk des Lenkungsgeschäfts von Thyssenkrupp.

Gegründet wurde der Standort 1999. Schon zu DDR-Zeiten und weit davor hatte Schönebeck eine Tradition im Maschinen- und Fahrzeugbau. Vor 100 Jahren wurden hier von der Firma Treskow Kraftfahrzeuge gebaut. Seit den 60er Jahren wurden im Traktorenwerk Schönebeck Zugtraktoren und Feldhäcksler gebaut.

Nach der Wende wurde das Werk in die Landtechnik Schönebeck (LTS) umgewandelt, der Traktorenbau nach mehreren Fehlschlägen jedoch schließlich eingestellt. Bis Mitte der 1990er Jahre existierte in Schönebeck noch das Dieselmotorenwerk, das Unternehmen ging jedoch in Konkurs.

Jana Stierwald ist eine Seltenheit: Frauen gibt es zwar bei Thyssenkrupp häufig in Führungspositionen. Die Werke werden aber meistens noch von Männern geführt. „Natürlich ist das hier noch eine Männerdomäne. Für mich ist das allerding Alltag.“ Das könnte auch daran liegen, dass Stierwald zupacken kann. Wenn es darum geht, neue Maschinen einzurichten oder praktische Probleme zu lösen, steht sie zusammen mit ihren Mitarbeitern in der Produktionshalle. Zu Hause ist Stierwald im Harz, lebt dort mit ihrem Mann und ihren Söhnen.

Auch wegen der Nähe zu Magdeburg, zur Autobahn und zur Uni sei der Schönebecker Standort erfolgreich, sagt Stierwald. Die Zusammenarbeit mit der Hochschule helfe bei der Suche nach Fachkräften, logistisch sei Schönebeck sehr gut gelegen: dort, wo sich die A14 und die A2 treffen.

Insgesamt beschäftigt Thyssenkrupp in den neuen Bundesländern mehr als 4500 Mitarbeitende an 20 Standorten, darunter allein rund 3200 im Automobilsektor. Eine besonders wichtige Rolle spielt da Sachsen-Anhalt. Mit rund 1100 Mitarbeitenden ist Ilsenburg im Harz der größte Standort, an dem Motorenkomponenten gefertigt werden, gefolgt von Schönebeck.

Thyssenkrupp insgesamt steckt aktuell in einer Krise und hat sich gerade für 17,2 Milliarden Euro von seinem wertvollsten Unternehmensbereich getrennt: Der angeschlagene Stahl- und Industriekonzern verkaufte seine hochprofitable Aufzugssparte an ein Konsortium um die internationalen Finanzinvestoren Advent und Cinven sowie die RAG-Stiftung. Mit dem Geld wollen die Essener Schulden abbauen, ihre Pensionsverpflichtungen decken und den Umbau der verbliebenen Konzernteile finanzieren. Nach dem Verkauf der Aufzugssparte soll der traditionsreiche Stahl wieder zum Kerngeschäft von Thyssen- krupp werden.