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Finanzen Schuldenbremse überzeugt nicht

Das vor zehn Jahren eingeführtes Finanzinstrument ist unter Ökonomen und Politikern weiter umstritten.

10.06.2019, 23:01

Berlin (dpa) l "Wir sind in einem Schraubstock der Verschuldung“ – der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) wählte drastische Worte im Mai 2009. Sein Gegenmittel: die Schuldenbremse im Grundgesetz. Wenige Tage später, am 12. Juni, sollte der Bundesrat sie endgültig beschließen. Zehn Jahre später bleibt das Instrument umstritten – und selbst einer seiner Entwickler ist nicht recht zufrieden.

„Es ging damals um eine strukturelle Neuverschuldung für den Bund von höchstens 0,35 Prozent, nicht um eine schwarze Null“, sagt Christian Kastrop, heute Europadirektor der Bertelsmann Stiftung und ehemals als Unterabteilungsleiter im Finanzministerium einer der Väter der Schuldenbremse. Warum die Politik ihren Spielraum so zusätzlich eingeschränkt habe, sei unerklärlich. „Die Einhaltung einer schwarzen Null ist noch kein Gütesiegel für die Finanzpolitik. Ein Gütesiegel wäre es, die durch die Schuldenbremse gegebenen Spielräume klug zu nutzen.“

Mit der Bremse setzte die Politik eigenen Ausgabengelüsten Grenzen, nachdem eine schwammiger formulierte Vorläufer-Regelung sich als zahnlos erwiesen hatte. Höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts darf der Bund seit 2016 jährlich an neuen Schulden machen, aktuell rund 12 Milliarden.

Die Länder müssen ab dem kommenden Jahr sogar ganz ohne neue Kredite auskommen. Was bald für die Länder gilt, setzt der Bund de facto schon seit 2014 um: Erstmals seit Jahrzehnten erreichte Scholz‘ Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) damals einen Haushalt ohne neue Kredite.

Ob das alles sinnvoll ist, ist umstritten. „Die Schuldenbremse bewahrt künftige Generationen vor Überschuldung und sichert einen ausgeglichenen Haushalt“, lobt FDP-Fraktionsvize Christian Dürr.

Von wegen, meint Gesine Lötzsch. „Die Schuldenbremse ist nämlich neoliberaler Unsinn und eine gefährliche Zukunftsbremse“, die dringend nötige Investitionen verhindere, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken. Genüsslich verwies sie jüngst im Bundestag auf Kritik des Ökonomen Michael Hüther. Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hatte die Debatte um die Bremse mit einem Diskussionsbeitrag im März neu befeuert.

Die vollen Staatskassen seien weniger der Schuldenbremse zu verdanken, als vielmehr steigender Beschäftigung und wachsenden Einkommen (und damit mehr Steuereinnahmen), argumentiert Hüther. Und die niedrigen Zinsen, die es dem Staat erlauben, sich günstig Geld zu borgen, dürften anhalten, so die Prognose. Wachsende Ausgaben für Sozialleistungen habe die Bremse jedenfalls nicht verhindert.

Die Schuldenbremse habe durchaus disziplinierende Wirkung entfaltet, meint ihr Mitentwickler Kastrop. Die Politik müsse nun aber dringend reagieren auf Megatrends wie Digitalisierung, eine alternde Gesellschaft, Klimawandel, Globalisierung, die auch soziale und regionale Ungleichheiten mit sich bringen könnten.