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SPD-Fraktion Wünsche stoßen auf Wirklichkeit

Die Ideen der neuen SPD-Parteichefs kommen nicht bei allen Genossen gut an - das zeigt die Klausur der SPD-Bundestagsabgeordneten in Berlin.

10.01.2020, 23:01

Berlin (dpa) l Die SPD will: Ein Tempolimit, eine neue Steuer auf Bodenspekulationen, höhere Rentenbeiträge für Spitzenverdiener – und neue Milliardeninvestitionen des Staats sowieso. In Interviews haben die neuen SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans der Öffentlichkeit zum Jahreswechsel viele Wünsche präsentiert. Beim Koalitionspartner Union sorgten sie damit für Widerspruch, bei Spitzengenossen in Regierungs- und Fraktionsämtern riefen sie Kopfschütteln hervor. Wohin steuert die SPD im neuen Jahr?

Bei der Klausur der SPD-Bundestagsabgeordneten in Berlin stoßen Wünsche auf Wirklichkeit. Die meisten Abgeordneten wollen sich eher aufs Gesetzemachen in der Koalition konzentrieren. Walter-Borjans kommt allein und meint im Vorbeigehen: „Das Jahr hat ruhig angefangen.“ Wenn das schon ruhig ist – auf was kann man sich gefasst machen? Der Parteichef meint freilich nur seinen persönlichen Jahresstart. Als Esken im Fraktionssaal im Reichstagsgebäude auftaucht, halten sich Herzlichkeiten erkennbar in Grenzen. Später fällt eine Begrüßung zwischen Esken und Finanzminister Olaf Scholz so kurz aus, wie es nur geht.

Zum Jahresbeginn machte sich Esken zuerst für ein Tempolimit stark – in den Augen mancher Kritiker in den eigenen Reihen eine unnötige Unterstützungsmaßnahme für den angeschlagenen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Eine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt als wenig populär. Dann schlug Walter-Borjans eine Steuer für Grundeigentümer bei starken Wertsteigerungen vor – das ist zwar längst SPD-Beschluss, doch so richtig erklärt hat das Ganze bisher kaum jemand. Und auch sein Vorstoß für höhere Rentenbeiträge für Spitzenverdiener blieb zunächst einfach so im Raum stehen.

Steuer und Rente – das betrifft zwei SPD-Minister unmittelbar. Wie soll das werden, wenn der frühere NRW-Finanzminister Walter-Borjans Vorschläge macht, die Finanzminister Scholz umsetzen müsste? Und wie fügt sich so ein Rentenvorschlag in die Agenda von Sozialminister Hubertus Heil ein?

Scholz geht vor den Abgeordneten nicht auf Walter-Borjans’ Vorstoß ein. Er spricht staatsmännisch über die kommende deutsche EU-Ratspräsidentschaft und erntet reichlich Applaus, wie Teilnehmer berichten. „Er will auf jeden Fall den Eindruck vermeiden, gegenüber den beiden illoyal zu sein“, sagt ein Abgeordneter. Im Umfeld von Scholz heißt es, die Minister konzentrierten sich auf die Projekte, die jetzt in der Regierung durchzusetzen seien.

Auch Heil hält sich zurück. Er will in den nächsten Wochen erstmal die Grundrente in der Koalition per Gesetz durchboxen. Dass das mit der Union gelingt, sei noch keineswegs selbstverständlich, sagt Fraktionschef Rolf Mützenich laut Teilnehmern in der Sitzung. Alles Weitere ist dann Gegenstand der Rentenkommission der Regierung, die im März Vorschläge machen soll. Und die Vorschläge der SPD-Chefs?

Hinter verschlossener Tür mahnen einzelne Abgeordnete das neue Vorsitzenden-Duo zu einer gemeinsamen Linie mit der Fraktion, wie Teilnehmer berichten. So müssten alle vor der nächsten Wahl – am 23. Februar in Hamburg – an einem Strang ziehen. Walter-Borjans beruhigt: Man müsse sich da keine Sorgen machen. Kritik am Kurs der Neuen wird aber kaum laut. Niemand will Öl ins Feuer gießen.

Dabei stoßen Esken und Walter-Borjans mit ihren Vorstößen auf ein geteiltes Echo. Der linke Abgeordnete Karl Lauterbach lobt sie als „überzeugend“. Die Umsetzungschancen mit CDU/CSU seien aber klein.

„Unabgestimmt jede Woche eine neue Idee öffentlich machen, lässt offen, wo das dann weiterbetrieben wird“, meint ein anderer Abgeordneter. Man müsse so etwas besser planen, erklären, einbetten. „Sonst droht die Sigmar-Gabrielisierung der SPD.“ Der damalige Parteichef preschte immer wieder mit schillernden, aber sprunghaften Ideen vor, aus denen dann nichts wurde.

Vor den Abgeordneten betonen die beiden Neuen: Es komme darauf an, dass die SPD zeigt, jenseits des Machbaren in der Koalition eine eigene Linie zu haben. „Wir beschließen auch Positionierungen und Ideen für die Zukunft, die jetzt in dieser Koalition vermutlich nicht Fuß fassen werden“, sagte Esken bereits der Deutschen Presse-Agentur. Von einem schnellen GroKo-Aus redet niemand mehr – das setze die Neuen unter Druck, eigene Akzente zu setzen, meint einer.

Was soll davon in der Koalition umgesetzt werden – und was zielt auf später, etwa falls es einmal eine Chance auf Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot gibt? Eine klare Antwort fehlt – Esken und Walter-Borjans haben durchaus den Anspruch, auch Neues in der Regierung durchzusetzen. Ob davon etwas bereits beim Koalitionsausschuss Ende Januar auf die Tagesordnung kommt, ist völlig ungewiss.