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Geldanlage Bank-Experte prognostiziert niedrige Zinsen

Chris-Oliver Schickentanz von der Commerzbank rechnet mit einer andauernden Niedrigzinsphase und rät Sparern zum Wertpapier-Kauf.

19.09.2016, 23:01

Frankfurt l Auf ihr Erspartes bekommen Kunden bei den meisten Banken kaum noch Zinsen. Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank in Deutschland, erklärt im Volksstimme-Interview, dass mit einer Zinswende in Europa vorerst nicht zu rechnen ist. Der 41-Jährige spricht zudem über die Folgen des Brexits und die wirtschaftlichen Aussichten für Deutschland in den kommenden Jahren.

Herr Schickentanz, was machen Sie derzeit mit Ihrem eigenen Geld, wenn Sie es halbwegs renditeträchtig auf die hohe Kante legen wollen?

Chris-Oliver Schickentanz: Als Chefanlagestratege habe ich zwei Probleme. Meine Bank achtet darauf, dass ich keine Insidergeschäfte tätige. Ich darf zum Beispiel keine Aktien besitzen, die meine Kollegen beurteilen. Und das macht ja auch Sinn: Stellen Sie sich vor, ein Kollege kommt morgens zu mir und erzählt, dass er eine Verkaufsempfehlung für die Siemens-Aktie aussprechen möchte. Dann könnte ich ihn ja fragen, ob er noch einen Tag wartet, damit ich meine Siemens-Aktien vorher verkaufen kann. Das wäre ein Interessenkonflikt.

Und zweitens bin ich viel unterwegs. Ich habe gar nicht die Zeit, mich intensiv um meine eigenen Geldanlagen zu kümmern. Von daher lege ich mein Erspartes nicht selbst an, sondern lasse es in meiner Bank von Kollegen verwalten. Insofern kümmern die sich um meine Rendite. Nebenbei habe ich zwar auch noch ein kleines Aktiendepot, aber das hat eher spielerischen Charakter. Da geht es nicht um große Summen – ich nutze es eher, um meiner Leidenschaft für den Aktienhandel nachzugehen.

Wie sollten denn aus Ihrer Sicht Normalverbraucher ihr Geld nun anlegen?

Viele Menschen in Deutschland haben leider noch immer keine Erfahrung mit Anlagen auf den Finanzmärkten. Ihr Erspartes liegt weiterhin auf dem Sparbuch, obwohl sich seit etwa vier Jahren die Rahmenbedingungen grundlegend geändert haben, es kaum noch Zinsen fürs Geld gibt und ihr Vermögen über die Zeit wegen der Inflation schrittweise entwertet wird. In der jetzigen Lage wäre es besser, wenn man sich als Sparer zumindest ein Stück weit stärker Richtung Wertpapieranlagen orientiert. Hier gibt es die unterschiedlichsten Angebote, der Sparer kann seine Anlagen auch verwalten lassen. Er kann wählen, ob er konservativ investieren möchte, dafür dann ein bis zwei Prozent Rendite erzielt, oder ob er chancenorientiert und risikoreich agieren möchte, dann sind auch höhere Renditen von sieben bis acht Prozent drin.

Der Deutsche Aktienindex Dax notiert aber bereits auf relativ hohem Niveau bei mehr als 10 000 Punkten. Ist es nicht jetzt schon zu spät, um noch einzusteigen?

Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn man bei einem Dax-Niveau um die 8000 Punkte gekauft hätte. Aber zum einen ist es ja so, dass die wenigsten es hinbekommen, den absoluten Tiefpunkt zu erwischen. Und zum Zweiten: Gerade wenn man langfristigen Vermögensaufbau betreiben will, dann spielt eigentlich der Investitionszeitpunkt nur eine untergeordnete Rolle. Man sollte sich auch nicht von hohen Zahlen abschrecken lassen. Ob Kurse steigen oder fallen, hängt im Wesentlichen mit der Entwicklung der Konzerngewinne zusammen. Und da haben wir in den vergangenen Jahren einen schönen Aufwärtstrend gesehen.

Insofern halten Sie die Aktien noch nicht für überbewertet?

Wir werden uns sicherlich darauf einstellen müssen, dass es häufiger zu hektischen Kursentwicklungen kommen wird. Aber wer einen Anlagehorizont von fünf oder von zehn Jahren hat, der kann diese Tagesschwankungen ausblenden und wird mit Aktien weiterhin ordentliche Renditen erzielen. Bei der Commerzbank gehen wir für die kommenden fünf bis acht Jahre von jährlichen Durchschnittsrenditen von vier bis sechs Prozent aus. Damit wird die Aktie aus unserer Sicht die Anlageklasse mit den höchsten Renditen bleiben.

Was halten Sie von Immobilienanlagen?

Immobilien halten wir durchaus noch für eine Alternative. Da rechnen wir mit einer Jahresrendite von im Schnitt zwei bis zweieinhalb Prozent.

Sowohl Aktionäre als auch Immobilienbesitzer fragen sich natürlich, wann die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen wieder anhebt. Höhere Zinsen würden ja Aktien unattraktiver und Immobilienkredite teurer machen. Wie lautet da Ihre Prognose?

Eine Diskussion um Zinserhöhungen halte ich für viel zu verfrüht. Ich gehe eher davon aus, dass die EZB im Dezember verkündet, dass sie ihre Geldpolitik beibehält, und rechne damit, dass es nicht vor 2019 zu einer Zinswende kommen wird.

Was macht Sie da so sicher?

Die EZB hat momentan drei Probleme: Sie schafft es nicht, ihr selbstgesetztes Inflationsziel von knapp zwei Prozent zu erreichen. Selbst im wirtschaftlich vergleichsweise starken Deutschland liegt die Inflation gerade einmal bei einem Prozent. Und zu niedrige Inflation bedeutet vereinfacht betrachtet zu wenig wirtschaftliche Dynamik.

Hinzu kommt, dass sich in vielen EU-Ländern noch hohe Schuldenberge türmen. Würde die EZB jetzt die Zinsen anheben, würden einige Länder wegen wachsender Zinslasten in Schwierigkeiten geraten. Das wiederum würde auch nicht im Interesse der Zentralbank liegen.

Und drittens klappt die Kreditvergabe von Banken an die Wirtschaft noch immer nicht so, wie es sich die Währungshüter vorstellen. Von daher gehe ich davon aus, dass die EZB so schnell nicht den Fuß vom Gaspedal nehmen wird.

Sie sprachen gerade das Thema Schuldenberge an. In Deutschland ist nun eine Diskussion entbrannt, ob man jetzt Schulden abbauen oder besser auf Investitionen setzen sollte. Gerade aus dem Ausland wurde zuletzt der Vorwurf laut, Deutschland streiche hohe Exportüberschüsse ein, investiere aber zu wenig. Wie sehen Sie das?

Ich warne hier vor zu viel Schwarz-Weiß-Malerei. Die einen sagen, die Regierung müsste die niedrigen Zinsen nutzen, um in Infrastruktur und Bildung zu investieren, die anderen wollen sparen. Beides ist aus meiner Sicht nur teilweise richtig.

Wir sollten jetzt nicht blindlings Millionen oder Milliarden heraushauen, um die Konjunktur zu stützen. Besser wäre es, Augenmaß zu bewahren und vielleicht ein bisschen mehr zu investieren. Aber das sollte eben nicht dazu führen, dass wir den Schuldenberg, den wir vor uns hertragen, noch deutlich größer machen.

In Großbritannien ist nun die Abstimmung über den Austritt aus der EU ein paar Wochen her. Sind die Folgen des Brexit-Votums bereits in der Wirtschaft und auf den Finanzmärkten spürbar?

Das Geschäftsklima hat ein bisschen gelitten, es gibt jetzt für die Wirtschaft und die Finanzmärkte einen Unsicherheitsfaktor mehr. Realwirtschaftlich sehe ich momentan aber noch keine Folgen, was aber auch nicht verwunderlich ist. Die Briten haben sich zwar für den Austritt aus der EU entschieden, doch niemand weiß bisher, wie und wann das vonstattengehen soll.

Sollte es dann doch eines Tages zur Trennung kommen, dann gehe ich davon aus, dass die Folgen für Kontinentaleuropa überschaubar bleiben werden, die britische Wirtschaft aber nur knapp an einer Rezession vorbeischrammen wird.

Rechnen Sie denn damit, dass sich so mancher Ihrer Londoner Berufskollegen künftig in Frankfurt niederlässt?

Die entsprechenden Umzugspläne haben sicher viele Banken in den Schubladen. Aber ich glaube, dass die erst dann herausgeholt werden, wenn klar ist, welche Folgen der Brexit haben wird. Wenn man etwa weiß, ob Großbritannien Bestandteil des EU-Binnenmarktes bleibt. Wenn das nicht mehr der Fall sein sollte, dann könnten einige Banken Geschäftsfelder nach Europa verlagern, um weiter die Kunden auf dem Kontinent bedienen zu können. Vorerst rechne ich aber nicht mit einem Massenexodus aus London raus.

Sollte die EU den Briten den Zugang zum Binnenmarkt gewähren?

Wir sollten jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielen und die Schotten dichtmachen. Sondern wir sollten eine Lösung finden, die für beide Seiten sinnvoll ist. Und da wäre für uns das norwegische Modell sicher das beste: Großbritannien behält den Zugang zum Markt, zahlt dafür aber weiter in den EU-Haushalt ein. Auch die Freizügigkeit, dass EU-Bürger weiter auf der Insel arbeiten dürfen, werden die Briten wohl weiter akzeptieren müssen.

Für Sachsen-Anhalt und ganz Deutschland ist Großbritannien ein wichtiger Exportmarkt – sollten sich die deutschen Unternehmen besser jetzt schon neue Absatzmärkte suchen?

Die eigene Kundenbasis zu erweitern, ist immer ein guter Ratschlag. Unabhängig vom Brexit sollte ein Unternehmer stets nach weiteren Absatzmärkten Ausschau halten. Denn auf die Weise wirken sich einzelne Ereignisse wie ein Brexit später nicht ganz so negativ auf die Geschäftszahlen aus. Aber ich glaube, es ist jetzt auch der falsche Zeitpunkt, um in Panik zu verfallen. Zahlreiche Produkte, die Großbritannien heute importiert, werden die Briten auch in Zukunft bestellen, weil sie diese schlicht brauchen.

Auf der Kippe stehen inzwischen die Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada, TTIP und Ceta. Wie schlimm wäre es aus Ihrer Sicht, wenn die Abkommen nicht zustande kämen?

Wir können mit dem Status quo relativ gut leben. Trotzdem ist eine offene Volkswirtschaft wie die deutsche auch auf Freihandel angewiesen. Gerade die Exporte sorgen hierzulande für konjunkturellen Schwung, weniger die Nachfrage im Binnenmarkt.

Ich glaube, dass TTIP und Ceta deshalb so unpopulär sind, weil es die Politik versäumt hat, die Bevölkerung mitzunehmen. Sie hätte die Verhandlungen zu den Abkommen nicht in den dunkelsten Hinterzimmern führen sollen. Denn so bietet sich jetzt viel Raum für Verschwörungstheorien. Das zeigt sich etwa beim berühmten Chlorhühnchen. Das will in Deutschland keiner essen. Gleichzeitig ist es hierzulande aber erlaubt, Salat mit Chlor zu behandeln. In den USA ist es genau andersherum. Letztlich nehmen wir die gleiche Menge Chlor zu uns, nur dass die Quellen unterschiedliche sind. Und so glaube ich, dass eine offenere Kommunikation der politischen Akteure mehr gebracht hätte.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, wenn sich die Handelspartner auf wesentliche Punkte wie den Abbau von Zollschranken und die Angleichung technischer Standards beschränkt hätten?

Ja, das kann man sicher so sehen. Ich kann aber auch verstehen, dass man bei so einem Jahrhundertprojekt auch ambitioniert zu Werke geht. Nur letztlich wäre es wohl besser gewesen, wenn man sich lieber erst einmal auf grundsätzliche Dinge geeinigt hätte, statt sich nun in Details zu verhaken.

Aus der weiten Welt zurück nach Deutschland: Wie bewerten Sie die Wachstumsaussichten für die Bundesrepublik in den kommenden Jahren?

Unsere Volkswirte umschreiben das relativ schön, indem sie sagen, „es ist ein Auf ohne Schwung“. Das heißt, wir reden über ein Wirtschaftswachstum von 1,3 bis 1,5 Prozent. Das ist ok, das fühlt sich aber für viele nicht nach dem dynamischen Aufschwung an, den wir sonst nach Wirtschaftskrisen üblicherweise gesehen haben.

Und damit zeigt sich ganz einfach, dass wir in eine Phase hineingeraten sind, in der wir strukturell mit niedrigen Wachstumsraten rechnen müssen. Weil die hohen Schulden aus der Wirtschafts- und Finanzkrise bremsend wirken, aber auch weil sich die Demografie, die Alterung der Gesellschaft, zunehmend negativ niederschlägt.