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Berlinale „Der Blutdruck steigt“

Im Februar findet die 66. Berlinale statt. Festival-Chef Dieter Kosslick spricht über Stars und Filme.

27.12.2015, 23:01

Frage: Herr Kosslick Ihre Filmauswahl ist noch nicht abgeschlossen – aber wie viele Filme für die Berlinale 2016 haben Sie bislang gesehen?

Dieter Kosslick: Etwa 120 Filme. Bis Festivalstart werde ich wieder auf rund 200 Filme kommen. Viele Filme werden erst kurz vor Programmschluss fertig. In den nächsten Wochen stehen also noch viele Sichtungen an. Ich habe auch noch nicht alle deutschen Filme gesehen, die in Frage kommen könnten. Im Auswahlprozess sehen wir ja oft Filme, die technisch noch nicht ganz fertig sind – zum Beispiel ohne Farbkorrektur oder Musik.

Wie kann man bei all den Eindrücken aus den Filmen abschalten?

Gar nicht. Ich schlafe zurzeit nicht gut. Ich träume viel. Ich hach einen Film über Interkontinental-Atomraketen gesehen und darüber, dass davon auch noch 20 in Deutschland rumliegen. Das ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Was tun Sie, um sich dennoch zu entspannen?

Ich mache Yoga. Ich versuche, viel an der frischen Luft zu sein, mich zu bewegen und gesund zu ernähren.

Wie läuft das auf dem roten Teppich vor dem Berlinale-Palast ab? Sind Sie trotz der langjährigen Erfahrung manchmal trotzdem noch aufgeregt?

Wenn ich am Eröffnungsabend am roten Teppich aus der Limousine steige, dann öffne ich mit der Autotür auch die Tür zu einer anderen Welt. In diese Welt tauche ich zehn Tage lang ab. Während des Festivals absolviere ich dann jeden Tag drei bis fünf rote Teppiche. Ein bisschen Routine ist dabei. Aber: Die Aufregung ist nach wie vor groß. Fast jeder Mensch hat Lampenfieber bei solchen Auftritten. Ich auch.

Wie schafft man es, so viele Berühmtheiten auf den roten Teppich zu holen?

Was man auf dem roten Teppich sieht, das ist das Ergebnis langer Arbeit. Am Premierentag ist man dann einfach glücklich, dass alle Stars auf dem roten Teppich gelandet sind. Denn so einfach wie es mittlerweile auch bei der Berlinale aussieht, ist es natürlich nicht, all die Schauspielgrößen und Regiestars zum Festival zu holen. Daran sind enorm viele Menschen und Firmen beteiligt.

Einige Hollywoodschauspieler wie Nicole Kidman oder George Clooney kehren immer wieder zurück auf die Berlinale ...

Natürlich kenne ich einige der Stars schon länger. Für George Clooney ist es 2016 der sechste Berlinale-Besuch. Wenn er kommt, dann heißt das: Hey George, jetzt stellen wir mal wieder zusammen einen Film vor! Clooney ist bei der 66. Berlinale im Eröffnungsfilm „Hail, Caesar!“ der amerikanischen Regie-Brüder Joel und Ethan Coen zu sehen. Eine Komödie über das Filmgeschäft, in dem man die verrückten Mechanismen hinter den Kulissen beobachten kann.

Gibt es auch Stars, die nervös sind?

Ja. Natürlich sind auch Stars aufgeregt. Sie müssen ja auf dem roten Teppich eine hohe Konzentrationsleistung erbringen, da muss alles sitzen. Es ist zum Beispiel genau durchchoreografiert, mit wem von der Presse die Schauspieler am roten Teppich sprechen. Dafür hat der Star eine ganze Entourage von Leuten, die das organisieren. Und dann gibt es noch eine ganz andere Aufregung: Einige Stars sehen ihren eigenen Film bei der Berlinale zum ersten Mal, mit Publikum! Da steigt für alle Beteiligten der Blutdruck.

Manche Stars sind für ihre Launen und Sonderwünsche bekannt – was waren die außergewöhnlichsten Wünsche, die Sie Berlinale-Gästen erfüllt haben?

Einer der häufigsten Wünsche ist, dass das Hotelzimmer ruhig sein soll. Man muss das auch verstehen. Alle sind fokussiert auf das Premierenereignis. Sie haben einen ziemlich harten Job. Neben den Premieren gibt es noch die Pressearbeit. Da sitzen die Stars dann in einem Hotel und geben zehn Stunden lang Interviews. Wir hatten auch schon einen Berlinale-Gast, der nur grünes Licht in seinem Zimmer duldete. Dann machen wir eben grünes Licht! Wir besorgen keine Drogen, aber grünes Licht in den Wunschfarben jederzeit.

Wie reagiert die Berlinale auf den Zustrom der Flüchtlinge?

Ohne Ausländer keine Berlinale! Das Festival wurde 1951 als kultureller Beitrag zur Völkerverständigung gegründet – in einem Jahr, in dem auch viele Deutsche Flüchtlinge waren. Diesen Auftrag hat die Berlinale in den vergangenen Jahrzehnten – mal mehr und mal weniger – immer erfüllt. Das Festival steht und wirbt für Toleranz.

Und in der Praxis?

Wir verfolgen verschiedene Wege. Die Sektion Generation bezieht zum Beispiel in ihr Schulprojekt zur Filmbildung eine Willkommensklasse ein, um Flüchtlingskinder bei der Integration zu unterstützen. Die Berlinale bittet zum ersten Mal in ihrer Geschichte um Spenden – unter anderem für eine Initiative, die sich um traumatisierte Folteropfer kümmert. Gespendet werden soll unter anderem auch bei der Eröffnungsgala – frei unter dem Motto „Bitte denkt daran, dass man auch teilen kann!“. Der Aufruf erfolgt über alle Einladungen als Einleger. Wir prüfen außerdem weiter, wie wir vielleicht Migranten in einer Einstiegsqualifikationsmaßnahme bei der Berlinale beschäftigen können. Das Wichtigste aber sind die Filme: Wir werden sicher wieder Regiearbeiten zeigen, die sich mit den Problemen der Flüchtlinge und den Ursachen von Flucht und Vertreibung beschäftigen. Es ist wichtig, die Ursachen zu begreifen und zu bekämpfen, sonst kann man diese Probleme nie lösen.