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Wie ein Videospiel: "Vergeltung" von Don Winslow

28.01.2014, 17:31

Berlin - Wieder ein Flugzeug, wieder New York. Terroristen holen an der US-Ostküste eine Linienmaschine vom Himmel, Hunderte Menschen sterben. Die Symbolkraft könnte kaum größer sein. Amerika ist wieder getroffen. Und - tut diesmal nichts.

Bestseller-Autor Don Winslow (60, "Tage der Toten", "Zeit des Zorns") entwirft in "Vergeltung" ein Szenario, das aus der Erfahrung heraus schwer vorstellbar, aber bei näherem Hinsehen gar nicht so abwegig ist: Die USA ducken sich weg. Vertuschung statt Vergeltung.

Denn Osama bin Laden ist tot, das Land kriegsmüde. Ein neuer endloser Feldzug gegen den Terror? Und gleichzeitig zugeben, wie verwundbar man ist, trotz aller Überwachung und Kontrolle? Kein Interesse. Also lässt die Regierung die Beweise frisieren und stellt den Absturz des Flugzeugs offiziell als Unfall dar. Und macht weiter, als wäre nichts gewesen.

Nur ist da Dave Collins, ein einstiger Elitesoldat, der seine Familie bei dem Anschlag verloren hat und hinter das Geheimnis kommt. Seine Regierung bleibt stur, also stellt er eine Söldnertruppe zusammen und zieht auf eigene Faust in den Krieg. Das Ziel: Terrorfürst Aziz, der weniger ein islamistischer Fanatiker als ein kühl kalkulierender und zudem von eigenen Rachegelüsten getriebener Geschäftsmann ist. Collins tut, was er glaubt, das sein Land hätte tun müssen - und macht es sich ebenfalls zum Feind.

Das ist durchaus fesselnd - aber allenfalls auf den ersten 100 der knapp 500 Seiten. Winslow bleibt zwar in Sachen Härte und Tempo seinem Stil treu und lässt auch in "Vergeltung" detailreich und zugleich emotionslos töten und sterben. Doch die Figuren sind allzu simpel gestrickt und bleiben blass, während sie Aziz und seine Bande um die Welt jagen.

Collins\' Gratwanderung zwischen Recht, Moral und Gerechtigkeit, Aziz\' doppeltes Spiel um die Macht in einer modernisierten Terror-Branche, der Wettlauf um Geld und Informationen - alles irgendwann egal. Während Winslow etwa in "Tage der Toten" eine komplexe, tiefgründige Geschichte spinnt, lässt er die Fäden, die er anfangs aufnimmt, diesmal viel zu früh einfach wieder fallen.

Was übrig bleibt, ist ein zum Buch gewordenes Videospiel, in dem sich Collins und Kollegen den Weg zum Endgegner freiballern. "Geh bis zum Ende, töte den Bösen, sammle Bonuspunkte", lässt Winslow seinen Protagonisten an einer Stelle denken. Mehr ist es tatsächlich nicht.

Don Winslow: Vergeltung, Suhrkamp Verlag, Berlin, 491 Seiten, 14,99 Euro, ISBN 978-3-518-46500-4