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Theater Ein Berliner für das Schauspielhaus

Tim Kramer, seit August neuer Direktor des Schauspielhauses Magdeburg, über das Ensemble, seine Ideen und seine Regie-Handschrift.

Von Grit Warnat 25.08.2019, 01:01

Volksstimme: Herr Kramer, Sie hatten bei Ihrer Vorstellung im Mai 2018 gesagt, Sie wollen möglichst viele Vorstellungen sehen und die Stadt kennenlernen, weil Sie wissen müssen, wie die sich anfühlt. Wie fühlt sich Magdeburg an?
Tim Kramer: Gut. Ich war im vergangenen Jahr ein-, zweimal im Monat hier und habe mich umgeschaut. Mal etwas intensiver, mal mit einem kurzen Aufenthalt. Ich war am Schauspielhaus und natürlich in der Oper, weil ich Oper sehr mag, und „Chicago“ habe ich auch gesehen.

Sie haben gerade Ihren Dienst angetreten. Wie stark wird die neue Spielzeit schon Ihre Handschrift tragen?
Die Spielzeit ist sehr stark von mir geprägt. Ich hatte ja mehr als ein Jahr Vorlauf.

Sie selbst geben Ihren Regie-Einstand mit der Eröffnungsinszenierung.
Ich finde, das soll so sein. Es ist wichtig, dass man sich mit einer eigenen Regiearbeit dem Publikum zeigt. Aber ich präsentiere mich nicht alleine. Wir starten mit gleich vier Premieren und vier verschiedenen Theaterästhetiken. Es ist mir ein Anliegen, zu Beginn zu zeigen, dass unser Theater offen ist für die verschiedensten Ästhetiken. Ein Schauspielhaus soll das ganze Spektrum der Schauspielkunst zeigen – vom klassischen Sprechtheater über den Monolog bis hin zur Performance. Das Ensemble muss sich dem stellen.

Wie wichtig ist Ihnen das Ensembletheater?
Sehr wichtig. Unsere Theaterarbeit machen wir für den Ort und die Menschen hier. Das Ensemble lebt hier, es hat mit der Stadt zu tun. Diese Lebenssituation wollen wir in unsere Stücke einfließen lassen. Das macht unsere Arbeit authentisch. Gleich zu Beginn haben wir eine Stadtrauminszenierung im Programm. Magdeburger machen mit. Das finde ich ganz wichtig. Wir agieren nicht autark.

Es ist Usus, dass mit einem neuen Chef auch das Ensemble in großen Teilen ausgetauscht wird. Wie handhaben Sie es?
Die Hälfte der Schauspieler ist geblieben. ich denke, wir haben offen miteinander gesprochen. Viele Kollegen haben mir mit ihrer Schauspielkunst gefallen, und ich wollte auch der Identität wegen, dass viele bleiben. Mit dem Ensemble, das wir jetzt haben, bin ich sehr zufrieden.

Sie müssen also nicht selbst auf die Bühne?
Ich darf. Ich werde auch auf die Bühne gehen und ich freue mich darauf. Das wird aber erst am Ende der Saison sein, wenn sich alles eingespielt hat.

Sie sind gelernter Schauspieler?
Ja, dann kam die Regie dazu und meine Arbeit als Schauspieldirektor am Theater St. Gallen. Aber ich will weiterhin als Schauspieler auch immer mal wieder auf der Bühne stehen. Man lernt das Publikum noch einmal ganz anders kennen, man spürt es auf eine ganz andere Art und Weise.

Zur Eröffnung des Schauspieljahres haben Sie sich für Bertolt Brecht und sein Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ entschieden. Warum Brecht?
Ich habe am Max-Reinhardt-Seminar in Wien schon an einigen Brecht-Workshops teilgenommen und hatte mit Kollegen vom Berliner Ensemble zu tun. Brecht hat mich immer wieder berührt. Aber in der Schweiz und in Österreich bin ich um den ostdeutschen Kultur- und Theaterraum immer herum gekreist. Jetzt will ich mich dem sogenannten Übervater stellen. Übrigens wird in dieser Spielzeit Manfred Karge hier am Haus inszenieren, der lange Zeit bei Helene Weigel am BE als Assistent und Schauspieler gearbeitet hat. Da schließt sich auch ein Kreis zu Brecht.

Gibt es in Ihrer Spielzeit einen roten Faden, ein Motto?
Wir gehen vom Menschenfreund zum Menschenfeind. Es geht um die Zerrissenheit des Menschen in der globalisierten Welt. Das ist ein großes Thema, aber wirklich zentral für viele Probleme, vor denen wir stehen und die auch hier diskutiert werden. Ich spüre oft eine Überforderung in unserer globalisierten Welt.

Wie beschreiben Sie Ihre eigene Regie-Handschrift?
Für mich ist der Schauspieler Hauptvermittler des Inhalts und der Aussage. Gerade in heutiger Zeit, wo wir so viele technische Möglichkeiten haben, ist das Faszinierende der Schauspieler. Ich weiß auch, dass ich da nicht mit dem Trend gehe. Natürlich werden andere Ästhetiken am Haus ihren Platz haben. Die Kollegen, die ich als Gastregisseure eingeladen habe, bringen sehr unterschiedliche Handschriften mit. Aber ich habe meine, und da steht der Schauspieler im Mittelpunkt.

Wollten Sie mit Ihrer Bewerbung in Magdeburg wieder in den deutschen Raum zurückkehren?
Es ist schon eine Heimkehr. Österreich und die Schweiz, wo ich studiert und viele, viele Jahre gearbeitet habe, sind deutschsprachig, aber doch andere Länder. Die Menschen haben andere Mentalitäten.

Sie sind gebürtiger ...
Westberliner.

Sie betonen das so.
Weil ich hier nach Ost oder West gefragt wurde. Seitdem sage ich es immer dazu. Mir ist das völlig egal. Ich war fünf, als meine Eltern mit mir nach Hamburg gingen und ich damals schon nicht mehr viel in Berlin war. Aber mit Berlin fühle ich mich doch verbunden. Väterlicherseits ist meine Familie stark preußisch geprägt. Einer meiner Ururgroßväter war Flötist bei den Langen Kerls. Jetzt in diesen Kulturraum zurückzukehren, freut mich sehr.

Das Schauspielhaus Magdeburg startet am 3. Oktober mit Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ in die neue Spielzeit. Weitere Premieren an dem Eröffnungswochenende: 4. Oktober „Konsens“, 5. Oktober „UTOP 89 ... und wer kümmert sich jetzt um die Fische“ (Schauspielhaus und Stadt) sowie „Die Pest“ von Albert Camus.