Regisseur Volker Schlöndorff über das Filmland Sachsen-Anhalt, Angela Merkel und ein neues Projekt "Ein guter Film kann Vermittlerrolle einnehmen"
Regisseur Volker Schlöndorff hat sich auf Schloss Wernigerode auf ein neues Projekt vorbereitet. Mit dem 73-Jährigen, der für die "Blechtrommel"-Verfilmung einen Oscar gewann, hat Volksstimme-Redakteur Tom Koch gesprochen.
Volksstimme: Zu Ostern zeigte das Fernsehen Til Schweigers "11/2 Ritter" und "Zweiohrküken". Filme von Michael Herbig oder Otto Waalkes locken Millionen Deutsche ins Kino. Wie bewerten Sie solche Erfolge?
Volker Schlöndorff: Gewiss sind solche Filme keine Kunst, sind reine Unterhaltung. Vielleicht, um die Leute abzulenken. Und wenn das funktioniert, dann habe ich großen Respekt.
Volksstimme: Für Sie hat der Film eine weitaus umfänglichere Dimension?
Schlöndorff: Ein guter Film kann eine Vermittlerrolle in der Gesellschaft einnehmen. Kann beschreiben, wie wir fühlen, wie wir Entscheidungen der Politik empfinden. Wir erzählen dabei Geschichten, manchmal müssen wir dafür eine Komödie wählen, manchmal eine Tragödie. Ich empfinde dabei mein Talent als Verpflichtung. Wir als Künstler können in unseren Filmen ausdrücken, was andere empfinden.
"In Deutschland wird viel Wert auf Fernseh-unterhaltung gelegt"
Volksstimme: Stichwort Politik: Sie als langjähriger SPD-Sympathisant haben 2005 erstmals Angela Merkel im Wahlkampf um das Bundeskanzleramt unterstützt, dann 2009 erneut. Kann die CDU-Bundeschefin auch in zwei Jahren mit Ihren rechnen?
Schlöndorff: Das lasse ich auf mich zukommen. Die Kanzlerin hat die Krisen bislang bestens gemanagt. Gut, das bestens lassen wir an dieser Stelle mal weg. Generell bin ich mir aber nicht sicher, ob diese scheibchenweise als alternativlos beschriebene Politik in den Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise wirklich richtig ist.
Positiv daran ist, dass der europäische Gedanke immer stärker bewusst wird. Dass wir uns in Europa als Einheit begreifen, dass wir eine Chance haben, einen Wirtschafts- und Kulturraum zu schaffen, der uns von den USA oder von China unterscheidet, indem einzelne Nationalstaaten an Bedeutung verlieren, das muss Politik noch viel mehr in das Bewusstsein der Menschen bringen.
Volksstimme: Zurück zum Film: Ihre "Blechtrommel" hat 1979 in Hollywood den Oscar gewonnen, Florian Henckel von Donnersmarcks Film "Das Leben der Anderen" 2007. Eine Regiearbeit in Ihrem Sinne? Sehen Sie andere junge Regisseure, die den internationalen Durchbruch schaffen können?
Schlöndorff: Es ist immer schwierig, Arbeiten eines anderen Künstlers mit den eigenen zu vergleichen. Ich kann ja nicht mal meine eigenen Filme untereinander vergleichen. Zu Donnersmarck, nein, so etwas wie eine Art Wahlverwandtschaft besteht wohl eher nicht. Doch es stimmt, "Das Leben der Anderen" war zu Recht ein erfolgreicher Film. In diesem Zusammenhang finde ich, auch "Goodbye Lenin" war eine sehr gelungene Parabel auf die Fassaden in unserer Gesellschaft.
Zum Regisseurs-Nachwuchs: Es gibt nicht viele von internationaler Klasse, weil in Deutschland sehr viel Wert auf Fernsehunterhaltung gelegt wird. Und Fernseh-Dramaturgie ist oft weit entfernt vom künstlerischen Einfluss. Der Druck auf junge Regisseure ist bei Produktionen, in denen nur auf die Quote gegiert wird, so groß, dass ihnen ihr Talent fast ausgetrieben wird.
Volksstimme: Herr Schlöndorff, es gibt nahezu computeranimierte Filme wie "Avatar", es gibt den Film "The Artist" mit minimalistischem Einsatz von Farbe und Sprache - beide äußerst verschiedene Streifen sind mit mehreren Oscars prämiert worden. Wohin geht die Reise, welches Kino hat Zukunft? Wie empfinden Sie ein Filmerlebnis, das weniger von der Regiearbeit stattdessen von Trick-Computerprogrammen erschaffen wird?
"Mit Authentizität kann man Atmosphäre erlebbar werden lassen"
Schlöndorff: Bei der Jagd nach immer aufwändigeren Effekten ist der Höhepunkt überschritten. Damit kann man höchstens noch Halbwüchsige locken, und die wachsen immer wieder nach. Folgen dieser computeranimierten Filme sind, dass die Menschen fast gar nichts mehr glauben. Dabei ist es ein erheblicher Unterschied, ob ich in den Fachwerkgassen von Wernigerode drehe oder vor einer Bluescreen-Leinwand und hinterher Fachwerkgebäude in den Film hineinbaue. Das merkt der Zuschauer sofort, mit Authentizität kann man Atmosphäre erlebbar werden lassen. Erfolgreicher Film zeigt, es gibt einen Trend zur persönlichen Geschichte mit dem Austausch von Emotionen. Mit dem Zeigen von Gefühlen, von denen der Betrachter sagt: Ja, das habe ich so auch empfunden. Ohne den Glauben daran hätte ich in 40 Jahren nicht 30 Filme machen können. Dass "The Artist" weltweiten Erfolg hat, nur nicht in Deutschland, das zeigt, wie weit wir uns schon von der Filmkunst entfernt haben.
Volksstimme: Gehört zur Filmkunst, dass James Cameron seine "Titanic" jetzt auch in einer 3-D-Version in die Kinos bringt?
Schlöndorff: Film ist immer auch Geschäft, das ist jetzt wohl unvermeidbar.
Volksstimme: Sachsen-Anhalt bemüht sich um einen Imagewandel, will als weltoffenes Land mit reichen kulturellen Wurzeln, mit bedeutsamen historischen Ereignissen wahrgenommen werden. Herr Schlöndorff, Sie wohnen in Potsdam, wie nehmen Sie Sachsen-Anhalt wahr?
Schlöndorff: Image ändert man am besten, indem man die Wirklichkeit ändert. Ich habe 1999 Teile des Films "Die Stille nach dem Schuss" in Halle gedreht, in der Waggonfabrik, in der Großplattensiedlung Silberberg. Die Stadt war damals wie das Landesimage desolat. Es gab viele Menschen, die für sich einschätzten, diese Zustände sind weit schlimmer als in den Jahren vor 1989. Inzwischen hat sich in Sachsen-Anhalt Erhebliches entwickelt, Gleiches beobachte ich auch in Brandenburg.
Volksstimme: Sachsen-Anhalt war viele Jahre wegen rechtsextremer Gewalt in den bundesweiten Schlagzeilen ...
Schlöndorff: ... im Kampf gegen den Rechtsextremismus muss die Politik viel kreativer werden, nicht nur in Sachsen-Anhalt. Wer den Film "Die Kriegerin" sieht, der erlebt die Entwicklung einer jungen Frau innerhalb der rechten Szene. Man könnte auch philosophisch sagen, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Leider wird dieser Film das jugendliche Publikum nicht in Scharen locken.
"Ich empfinde das als intelligente Wirtschaftspolitik"
Volksstimme: Wäre es kreativ, "Die Kriegerin" zum Pflichtbestandteil des Sozialkundeunterrichts an den Schulen zu erklären?
Schlöndorff: Pflicht? Das erzeugt doch immer sofort eine Opposition. Vielleicht wird das Ansehen eines Films aber weniger als Pflicht empfunden als die nächste Mathe-Klausur?
Volksstimme: Sachsen-Anhalt will als Filmland punkten, lockt mit Hilfe der Mitteldeutschen Medienförderung auch internationale Produktionen. Ist das ein erfolgversprechender Weg?
Schlöndorff: Auf jeden Fall, auch weil sich die Produzenten verpflichten müssen, für jeden Förder-Euro drei eigene im Land zu investieren. Das empfinde ich als intelligente Wirtschaftspolitik. Zudem mit dem Vorteil, man erzeugt für den Drehort eine gewisse Art von Aufmerksamkeit. Wobei ich aber aus eigenem Erleben auch warnen muss: Wenn so ein Filmteam für wenige Wochen in einer Stadt einfällt, dann gleicht das schon dem biblischen Bild einer Heuschreckenplage.
Volksstimme: Herr Schlöndorff, Sie sind 73Jahre alt. Welchen Stoff wollen Sie filmisch als nächstes verarbeiten, welches Projekt unbedingt verwirklichen?
Schlöndorff: Einen solchen Stoff gibt es tatsächlich. Ich bin in den Startlöchern für einen Film, der Bismarcks Berliner Afrika-Konferenz von 1884 behandelt. 14europäische Staaten und die USA haben seinerzeit Afrika wie einen Kuchen unter sich aufgeteilt. Mit dem Lineal an der Landkarte, ohne irgendwelche Rücksichten auf die Verhältnisse vor Ort zu nehmen. Anfangs übrigens wohl tatsächlich ohne Machtanspruch, vielmehr im guten Glauben, die Zivilisation nach Afrika zu bringen. Berlin war zu dieser Zeit im wahren Afrika-Fieber mit Elefantenparaden und mit Afrikanern aus dem Wedding, die man mit Schuhwichse schwarz angemalt hatte. Das war schon eine tragikomische Veranstaltung.
Volksstimme: Wie weit ist das Projekt gediehen?
Schlöndorff: Das Drehbuch auch in englischer Sprache ist fertig, es wird ja eine internationale Produktion werden. Gemeinsam mit französischen Ko-Produzenten machen wir uns auf den Weg, Schauspieler und eine Finanzierung zu finden.
Volksstimme: Dieser Weg führt Sie bis nach Wernigerode.
Schlöndorff: Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode war einige Jahre Vizekanzler im Deutschen Reich unter Otto von Bismarck. Sowohl der Reichskanzler als auch der Kaiser waren mehrfach in Wernigerode zu Besuch. Im Schloss möchte ich unbedingt die Atmosphäre von Ottos Arbeitszimmer auf mich wirken lassen. Das geht nur dort, weil es in Berlin ja keinerlei solcher Spuren mehr gibt.
Volksstimme: Wann beginnen Sie mit diesem Projekt?
Schlöndorff: Frühestens im Sommer 2014, zuvor werde ich wohl noch eine romantische Geschichte drehen, die in New York spielt. Wenn ich mein Projekt über die Berliner Afrika-Konferenz wirklich hinbekommen habe, dann bin ich bereit, den Hammer hinzulegen und zu sagen: Das war\'s.