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Uraufführung für "Die Verdammten dieser Erde" am Anhaltischen Theater Dessau Ein "Heimatabend" ganz fern jeder Idylle

Von Helmut Rohm 26.03.2013, 01:15

Politik auf der Theaterbühne: In "Die Verdammten dieser Erde" am Anhaltischen Theater geht es um Vorurteile, Freiheit und aktuelle Debatten.

Dessau-Roßlau l "Machen Sie Ihr Kreuz für Jamal Nujoma!", ruft ein Wahlwerbespot zur Dessauer Oberbürgermeisterwahl auf. Nun gut. Doch - der Kandidat ist ein Schwarzer! Er steht für die Liste "Vielfalt für Dessau" (VfD). Bis jetzt ist es nur eine Vision im Theaterstück "Die Verdammten dieser Erde - ein Heimatabend", das im vollbesetzten Studio im Alten Theater Dessau seine gefeierte Uraufführung hatte.

Der reale Ansatz für das Stück ist die geplante Städtepartnerschaft von Dessau-Roßlau und Rehoboth/Namibia. Ebenso, dass Dessau in jüngster Vergangenheit durch rassistische Übergriffe auf Menschen afrikanischer Herkunft überregional in den Medien präsent war.

Regisseurin Nina Gühlstorff und Ausstatterin Annette Schemmel widmeten sich der Thematik "Zusammenleben von Schwarz und Weiß" auf der Basis von Recherchen in Namibia und in Dessau. Die Zuschauer begleiteten, video-unterstützt, zunächst die junge Journalistin Luisa (Jenny Langner) ins afrikanische Namibia, die einstige deutsche Kolonie. Fast zeitgleich kommt auf dem Dessauer Hauptbahnhof die deutsche Sozialarbeiterin Grace (Diana Marie Müller) aus Berlin an, um mit vor allem farbigen Ausländern in Dessau Projekte zu gestalten. Luisa ist weiß, Grace ist aber schwarz - ist das schon ein Problem?

Dramaturgisch verfolgen die Zuschauer diese beiden Parallelhandlungen nacheinander. Wie sieht es konkret aus mit den Menschenrechten in den beiden Staaten, in denen zur fast gleichen Zeit epochale Veränderungen von statten gingen? Als in Berlin die Mauer fiel und die Wende begann, hatte Namibia, früheres Deutsch-Südwest, die Unabhängigkeit erkämpft.

Dieser "Heimatabend" auf der Dessauer Bühne hat wenig mit anheimelnder Idylle zu tun, wenn auch manche Szene durchaus humorvolle Sequenzen beinhaltet. Überwiegend enthalten die Szenen ernsthafte und vor allem sehr nachdenkenswerte Inhalte. Luisa trifft auf Frau von Dechow (Anne Lebinsky), eine einheimische weiße Namibierin, die in voller Überzeugung noch in alten Denkstrukturen lebt, wenn sie auch ihrer schwarzen Dienern Eileen scheinbar liebevoll die Wange tätschelt.

Keine Lösungen aber vieler Anregungen

Der Rehobother Bürgermeister (Thorsten Köhler) wird in seinen euphorischen Reden ungemein deutlich über seine Auffassungen von Schwarz und Weiß. Der Zuschauer erfährt etwas über die Basters, die sich im Laufe der Geschichte zu einer besonderen Ethnie entwickelt haben. Tief beeindruckt hat der emotional vorgetragene Bericht von Diana Marie Müller, die als Herero-Nachfahrin über den von der deutschen Kolonialmacht brutal niedergeschlagenen Aufstand des Herero-Stammes berichtete. Kontrast dazu war ein Abend, bei dem die Deutsch-Namibier mit deutschtümlichen Melodien, hin bis zum insbrünstigen Gesang des rassistisch geprägten Deutsch-Südwest-Liedes, "alten Zeiten" frönten.

Schnitt. Dessau. Grace trifft auf Migranten, spürt deren vorsichtige Zurückhaltung. Zu oft sind sie wohl schon enttäuscht worden. Dass die akzentfrei Deutsch sprechende, in Deutschland geborene Grace, eine Schwarze ist, stört ihre Gruppe nicht. Lediglich Frau Engelhardt (auch Anne Lebinsky), Mitarbeiterin der Dessauer Ausländerbehörde, ist darüber ziemlich verwirrt. Böse ist da, wer Böses denkt.

Diana Marie Müller, Anne Lebinsky und Thorsten Köhler gestalten im Stück jeweils mehrere Rollen. Besonders hervorzuheben sind auch die engagierten Leistungen der Laiendarsteller.

Lösungen für die vielen, noch nicht bis zu Ende bewältigten Fragen in Rehoboth und Dessau, doch nicht nur hier, gab das Stück nicht - Anregungen zum Denken und Nachdenken aber massig.