Die Inszenierung "In Zeiten des abnehmenden Lichts" hatte am Theater der Altmark Premiere Ein Scherbenhaufen von Überzeugungen
Der Ausziehtisch bricht zusammen. Und mit ihm das schöne Buffet. Wilhelms Geburtstag am 1. Oktober 1989 endet in einem Durcheinander von Scherben. Wie die Geschichte der Familie Umnitzer. Wie die Geschichte eines ganzen Staates.
Stendal l Intendant Alexander Netschajew führt selbst Regie in der Inszenierung, die die neue Spielzeit am Sonnabend eröffnet hat. Eugen Ruges preisgekrönter Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist vielen bekannt.
Es ist eine Familiengeschichte, die über 50 Jahre und drei Kontinente umfasst. Eigentlich nichts für eine Bühne. Doch Eugen Ruge selbst ist es gelungen, sein Werk theaterfähig zu machen. Zugegeben: Man braucht Sitzfleisch für die dreistündige Inszenierung. Der Spannungsbogen bricht jedoch nicht ab, ernste und komische Momente geben sich die Hand und die Charaktere sind bis hin zu den Nebenrollen mit sehenswerten Darstellern besetzt.
Das Bühnenbild (Mark Späth) ist eine gelungene Mischung aus funktionalen, schnell umzubauenden Elementen und witzigen Details mit nostalgischem Wiedererkennungswert. Letzteres gilt auch für die Kostüme von Sofia Mazzoni.
"In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist eine Geschichte des Niedergangs. Wie das Licht ab der Sommersonnenwende immer schwächer wird, so nimmt die politische Überzeugung der Umnitzer von Generation zu Generation ab. Großmutter Charlotte (Ingrid Birkholz) und ihr zweiter Mann Wilhelm (Hannes Liebmann) sind überzeugte Kommunisten.
1952 kehren sie aus dem mexikanischen Exil in die DDR zurück, um den jungen Staat mit aufzubauen. Charlottes Sohn Kurt (Frank Siebers) ist in seiner politischen Überzeugung bereits erschüttert. Immerhin musste er in seinem sowjetischen Exil Arbeitslager und Tod seines Bruders erleben. Trotzdem hat er noch das Ideal eines demokratischen Sozialismus vor Augen. Auch wenn ihm, dem Historiker, das Lügengebäude mehr und mehr auf der Seele lastet.
Sein Sohn Alexander (Andreas Müller) wiederum mag schon nicht mehr in die Partei eintreten. Er ist gänzlich desillusioniert und kehrt dem Unrechtsstaat den Rücken: Er flieht kurz vor dem Mauerfall in den Westen. Die vierte Generation der Familie Umnitzer besteht aus Alexanders Sohn Markus (Doppelbesetzung Jakob Tyllack/Jonathan Lembrecht). Markus verbindet nichts mehr mit den politischen Illusionen und Sehnsüchten der Generationen vor ihm.
Die Bühnenfassung von "In Zeiten des abnehmenden Lichts" geht chronologisch vor, Orts- und Zeitangaben werden angesagt und die verschiedenen Szenen mit Musik oder historischen Toneinspielungen verbunden. Für diese Ansagen und Musikeinlagen sind Volker Wackermann und Thomas Weber zuständig. Beide Schauspieler sind immer auf der Bühne präsent und übernehmen sämtliche männlichen Nebenrollen. Tolle Leistung, dieses Dasein und Doch-nicht-Dasein. Und Thomas Weber an der Gitarre ist sehr hörenswert.
Die Ensemblemitglieder Annett Siegmund und Simone Fulir übernehmen die weiblichen Nebenrollen, Melitta und Catrin, Hanna Petkoff ist als russische Muttersprachlerin in der Rolle der Nadjeshda Iwanowna zu sehen.
Zu den Hauptcharakteren des Stücks gehört auch Irina Umnitzer, Kurts russische Gattin. Gespielt wird sie - mal wunderbar komisch, mal verzweifelt und bemitleidenswert - von Angelika Hofstetter.
"In Zeiten des abnehmenden Lichts" ist eine unglaublich intensive und mitnehmende Geschichte. Die Stendaler Inszenierung punktet mit sehenswerten Darstellern und toller Ausstattung.
Dem Regisseur und seiner Dramaturgin Cordula Jung ist es gelungen, die Zuschauer für drei Stunden zu fesseln. Die Premiere im großen Haus des Theaters der Altmark erntete stürmischen Beifall.
Nächste Aufführungen: 5. Oktober, 19.30 Uhr in Stendal, 18. und 19. Oktober in Brandenburg.