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Kulturbranche Stille im Saal

Zahlreiche Kulturschaffende in Deutschland äußern ihren Unmut gegen den momentanen Umgang mit Kunst und Kultur in der Pandemie.

Von Grit Warnat 04.11.2020, 00:01

Magdeburg l Die Idee kam in einer der Proben. Auftreten und Stille zeigen. So ist es, wenn keine Kultur mehr stattfindet, wollten die Müncher Philharmoniker zeigen. Unter dem Motto #SangUndKlanglos hatten sich ihnen bundesweit mehrere Orchester angeschlossen. Philharmoniker Matthias Ambrosius hatte beim WDR zuvor gesagt, dass man mit der lauten Stille den Verlust spürbar machen wolle.

Seit Montag sind Kultureinrichtungen in Deutschland zur Eindämmung der Corona-Pandemie geschlossen. Museen können keine Besucher empfangen, Theater und Kinos sind dicht, Kabaretts zu, Ausstellungen, Konzerte, Lesungen abgesagt. Vor allem die freie Szene, private und von Vereinen geführte Häuser leiden besonders unter der Zwangsschließung.

Till Brönner, der im Internet ein millionenfach geklicktes Video mit einer Brand-, mehr noch Wutrede veröffentlicht hatte, spricht von einem Lockdown seit März für die Veranstaltungs- und Kulturbranche. Beim Anne-Will-Talk am Sonntagabend erzählte der Star-Trompeter von drei Auftritten, die er seitdem hatte. Einer davon war beim Jazzfestival im August im Kloster Jerichow. Da sagte er noch: „Ich bin so happy.“ Endlich wieder Bühne, endlich wieder Publikum, endlich wieder Geld verdienen. Lange hat die Freude nicht angehalten.

Nun ist Brönner ein Musiker, der sich bei weitem nicht die Sorgen machen muss wie Hunderttausende andere der Branche mit ihren kleinen Muggen und unregelmäßigen Einnahmen. Doch die Großen, das darf man nicht vergessen, sind Jobgeber für Abertausende Event-Beschäftigte. Und für Großveranstaltungen ist nicht einmal ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Die Veranstalter verlegen erneut. Erst von diesem Frühjahr ins Frühjahr 2021. Jetzt schon wieder weiter nach vorn, weil jeder ahnt, dass Corona an unserer Seite bleibt. Man kommt nicht mehr hinterher, welche Verlegung der Verlegung erst einmal zählt.

Was aber besonders quälend und ernüchternd in diesem neuerlichen Stillstand ist, ist die Einordnung der Branche, die sich wiederfindet zwischen Prostitutionsstätten, Spielhallen, Wettannahmestellen und Freizeitparks. Das macht Bühnenmenschen und Kinobetreiber fassungslos, verzweifelt, es empört. Zu Recht. Es werden mit Schrecken die Erinnerungen an das Frühjahr wach. Da ging es in den Diskussionen um Baumärkte, Friseure, Schulen, auch um den Sommerurlaub und die vollen Ferienflieger nach Mallorca. Um die Kultur war es ziemlich still geworden.

Dabei haben gerade die Kunst und Kultur in den vergangenen Monaten ihre Hausaufgaben gemacht und sorgsam wie aufwändig Hygienekonzepte ausgearbeitet. Karen Stone, die Generalintendantin des Theaters Magdeburg, hatte zum Beginn der Spielzeit im Volksstimme-Interview von dem fantastischen Lüftungssystem in ihrem Opernhaus gesprochen. Viele große Theaterhäuser und Museen machen auf ihre modernsten Lüftungen aufmerksam. Genutzt hat es nichts.

In Bayern hatte Ministerpräsident Söder schon vor zwei Wochen bei steigenden Infektionszahlen angekündigt, die Zuschauerzahl in den Sälen der Theater- und Konzerthäuser auf nur noch 50 Gäste zu verringern. Es hagelte gemeinschaftlichen Protest von den Intendanten – auch mit dem immer wieder verhallenden Hinweis, dass es bisher keine nachweisliche Infektion durch einen Theaterbesuch gegeben habe.

Dass Forscher in der gerade vorgestellten Studie um das Konzert-Experiment mit Tim Benzko Veranstaltungen unter bestimmten Voraussetzungen möglich erachten, geht völlig unter.

„Wir sind der Kollateralschaden, den man bereit ist zu akzeptieren, um anderes in der Gesellschaft zu erreichen“, wertet Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Sein Haus gab gestern eine Rote Liste durch Corona bedrohter Kultureinrichtungen heraus. Es ist die 2. Ausgabe.

Dabei geht es um mehr als einen (voraussichtlichen) einmonatigen Verzicht auf all das, was Spaß macht, Abwechslung, Anregung, Auseinandersetzung, Hoffnung gibt. Es geht um die große Frage, wie all die Verluste überhaupt kompensiert werden können. Es kann seit langem nirgends mehr von Wirtschaftlichkeit die Rede sein, wenn man sich bei ausverkauften Häusern die vielen leeren Plätze anschaut. Und in der Platzreglementierung durchs Abstandhalten ist kein Ende in Sicht.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) forderte am Montag zusätzliche Hilfen für Kunst und Kultur. Das Corona-Kabinett der Bundesregierung tagte. Konkretes wurde noch nicht vermeldet. So bleibt vor allem die zermürbende Ungewissheit, was kommen mag und ob die verordnete Zwangspause wirklich nur bis Ende November andauern wird.

Der Magdeburger Kabarettist Tobias Hengstmann zeigte bei Facebook schon mal – auf Kabarettisten-Art – sein Abendbrot mit Hundefutter. Wenn man mit ihm redet, ist das Augenzwinkern weg: „Aus Sicht eines Kulturunternehmers, der Beschäftigte hat, Steuern zahlt und schon auf allen Vieren krabbelt, habe ich das Gefühl, dass mit dem Knüppel auf uns eingeschlagen wird.“