Operettensommer bei Schönebeck Mit Gamsbart und Zöpfchen
Operettenfreunde kommen voll auf ihre Kosten: Bekannte Ohrwürmer und eine Inszenierung mit viel Sinn für Ironie begeistern das Publikum auf dem Bierer Berg beim Operettensommer.
Schönebeck l "Eijentlich wär` ick ja lieba nach Ahlbeck jefahren ...", konstatiert Wilhelmine Giesecke-Trikotagen, Leipziger Straße ... als wäre dies nicht schon Statement genug, zieht sich auch ihr Heimatgefühl "...Müggelsee is mia lieba, is mia lieba ..." durch die diesjährige Operettenproduktion. Die ist auf dem Bierer Berg nahe Schönebeck bis zum 28. Juli zu sehen.
Wer jetzt Wikipedia nach dieser Fabrikantin befragt, wird nicht fündig. Denn im Original reist Wilhelm Giesecke mit seiner Tochter ins "Weiße Rössl". Das berühmte Hotel im Salzkammergut, nach dem Ralph Benatzky sein Singspiel benannt hat, befindet sich für vier Wochen auf der idyllischen Freilichtbühne, umgeben von einem kleinen Tierpark inmitten der Ursprünglichkeit eines Laubwaldes.
Die Wiener Regisseurin Katharina Kutil zeichnet zum ersten Mal für das Buch verantwortlich und zieht die Spielfäden professionell. Hinter ihr ein hochkarätiges Ensemble aus Sängern, Tänzern und die Mitteldeutschen Kammerphilharmonie unter der wechselnden Leitung von Gerard Oskamp und Sung Joon Kwon.
Während 22 Vorstellungen ärgert sich Frau Giesecke (Katharina Kutil als Darstellerin) permanent mit Bühnenpräsenz und Leidenschaft. Das Publikum gerät bereits außer sich, wenn sie in Lederhose, Gamsbarthut, Zöpfchen und Stulpen die Bühne betritt. Den herrlichen Berliner Dialekt nimmt es ihr ebenso ab wie all die feinsinnigen Seitenhiebe und Kalauer, die das Stück ins Heute holen.
Zahlkellner Leopold (Alexander Klinger) wirbt mit inbrünstigem Charme um seine Chefin Josepha Voglhuber (Nadine Hammer). Da sie in den Berliner Rechtsanwalt Dr. Otto Siedler (Kirlianit Cortes) verliebt ist, weist sie ihn zurück. Fabrikantin Wilhelmine Giesecke hat gegen ihn und dessen Mandanten und Erzkonkurrenten Sigismund Sülzheimer (Jürgen Kapaun) einen Prozess verloren. Sie macht nur auf Drängen ihrer Tochter Ottilie (Martina Schilling) hier Urlaub. Letztere erliegt bald den Avancen Siedlers. Sigismund hat sich noch im Zug in das so zauberhaft lispelnde Klärchen (Barbara Endl) verliebt. Klärchen ist in Begleitung ihres Vaters Prof. Dr. Hinzelmann (Robert G. Neumayr), der seinen ganz eigenen Reisezauber verbreitet.
Logisch, dass sich in einer solchen Geschichte am Ende alle Paare finden. Dass dies hier so kurzweilig und unterhaltsam geschieht, ist nicht nur der rekonstruierten Originalfassung von 1930 zu verdanken. Immer wieder haftet der Blick des Zuschauers an den herrlichen Kostümen. Totos Bühnenbild zaubert den "Berg" auf den Berg und setzt der Idylle das Sahnehäubchen auf. Choreograph Evren Pekgelegen und sein international besetztes Tanz- und Gesangsensemble zeigen sich in Hochform. Die haben auch alle anderen Darsteller, allen voran Alexander Klinger. Er steckt sein ganzes Herzblut in der Rolle des Leopold. Sein "Zuschau`n kann i net" in so vielen Nuancen geht tief unter die Haut.
Nadine Hammer verleiht mit ihrer starken Persönlichkeit der Josepha Authentizität und ihrem Gesang Farbe. Wunderbar lyrisch und rein singen Martina Schilling und Kirlianit Cortes. Der Zuschauer freut sich an den zahlreichen Ohrwürmern und hat Spaß. Die Komik, die von Klärchen und Sigismund ausgeht, ist feinfühlig und anrührend. Das Pärchen strahlt vor Kraft und Ironie.
Die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie musiziert frisch und begleitet souverän. Überbordende Spielfreude dringt aus der Tiefe der Bergsilhouette vom Salzkammergut. Das Temperament reißt alle mit. Am Ende des ersten Aktes fliegen die Tänzerbeine für das bloße Auge kaum verfolgbar über die Bühne, und der Chor jagt im wahrsten Sinne des Wortes den Regen fort ...
Anschauen sollte man sich diese einmalige Inszenierung immer von Mittwoch bis Sonntag ab 16 Uhr.