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Naturen im Nebel

Kurzfilme haben es recht schwer, öffentlich wahrgenommen zu werden. Normalerweise finden sie ein Podium auf Filmfestivals und in kleinen Kinos, seltener werden sie zum Exponat in Museen - wie jetzt im Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen.

Von Grit Warnat 24.07.2020, 01:01

Magdeburg l Die stillen, menschenleeren Bilder aus dem Film „Kaltes Tal“ sind wie gemacht für den hell ausgeleuchteten, weiß gestrichenen, steril wirkenden Museumsraum. Es gibt jede Menge weiße und graue Töne in diesem Streifen, für den die Filmemacher Florian Fischer und Johannes Krell sich mit einem Paradoxon auseinandergesetzt haben: Sie zeigen einen Tagebau im Harz. Kalk wird dort abgebaut, Natur zerstört, und das gewonnene Material später als Waldkalkung der Natur zurückgeführt. Die Menschen sind ein Teil des irreversiblen Prozesses, sagt Krell.

„Kaltes Tal“, 2016 entstanden, ist eine von drei Arbeiten, die Fischer und Krell in den vergangenen Jahren gemeinsam erarbeitet haben und die das Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen in der kleinen Ausstellung „Natures/Naturen“ in seiner Medienlounge zeigt. Es sind künstlerische Kurzfilme, ihnen gemein ist die Natur als Protagonist. Man spürt schnell, dass Natur und das Verhältnis zwischen ihr und dem Menschen ein wesentliches Thema des gebürtigen Hallensers Krell und des gebürtigen Tübingers Fischer ist. Sie versuchen, dieses Verhältnis aus verschiedenen Blickwinkeln zu untersuchen.

Für ihre Filme der Trilogie sind die beiden mehrfach geehrt worden. „Kaltes Tal“ erhielt 2016 den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold in der Kategorie Dokumentation, „Umbra“ den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin im vergangenen Jahr. Auf der Berlinale wurde die Arbeit mit der Perspektive auf das Licht und der Perspektive auf den Schatten als 20-minütige Kinovorführung gezeigt. Der Videoraum im Magdeburger Kunstmuseum eröffnet neue Möglichkeiten des Zeigens. Dort gibt es eine Installation und mit ihr einen aktiven Dialog – anders als im Kinosaal. Der Betrachter kann sich zwischen zwei Leinwänden frei bewegen.

Alle Filme leben aus den Bildern, weniger in einer Erzählung. Für „Still Life“, den ersten Teil der Trilogie von 2014, haben Fischer und Krell Wald und Nebel im Harz eingefangen, das Blätterrascheln der Laubbäume, den blühenden Fingerhut, den Blauen See mit seinem türkisfarbenen Wasser, Rehe, Milane, Eulen, Enten. Der Teil eines Flügel ist zu sehen, Fell in Nahaufnahme. Was gehört zu welchem Tier? Man kann es nicht gleich zuordnen. Zu ungewohnt sind die Blicke auf diese Details und auf den Verzicht des Ganzen. Wie angeschnitten wirkt manches Bild, eher wie ein Kunstfoto auf der großen Leinwand. Tierfilmer hätten sicher so manches aussortiert. Krell und Fischer aber haben andere Intentionen. Sie setzen einen ausgestopften Hasen ins Grün. Da geht es vom ursprünglichen Naturraum hin zu künstlichen Bildwelten. Manches in ihrer Arbeit ist ganz stark konstruiert.

Was aber ist „Still Life“? Eine Naturdokumentation? Ein Essayfilm? Es gibt Sounddesign und keine Erzählstimme. Und die anderen Filme wie die Videoarbeit „Umbra“, die mit optischen Erscheinungen der Natur spielt? Krell und Fischer wollen ihre Arbeiten keinem Genre zusprechen. Sie reden selbst von einer Mischform. Fischer spricht von einer hybriden Art. Ihnen gehe es um Zwischenräume, um Sehgewohnheiten und Erwartungshaltungen aufbrechen zu können. „Wir sind beide sehr bildorientiert“, sagt Krell. Sie legen in dieser Trilogie Wert auf das Dokumentarische, ohne informativen, erklärenden Ansatz. Es geht nicht ums Faktenorientierte, vielmehr um Selbstreflexion. Fischer: „Wir wollen einen Erfahrungsraum erzeugen. Wir wollen fragen, was dieses Bild mit mir in diesem Raum macht. Was es in mir auslöst.“

Krell und Fischer haben sich im Werkleitz-Verein kennengelernt, den ersten Film gemacht, in den vergangenen Jahren viel gemeinsam gearbeitet. Von der Grundidee bis zur Fertigstellung eines Films ist es ein langer Weg. Krell spricht bei „Umbra“ von zwei Jahren. Recherche, Konzeptentwicklung, Dreh, Auswerten der Materialfülle, Schnitt, Sounddesign. „Wir haben viele unterschieldiche Gewerke“, sagt Fischer. „Das ist das Schöne an unserer Arbeit.“

Die Ausstellung ist bis 10. Oktober zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr, sonnabends und sonntags 10 bis 18 Uhr.