Jan Jochymski inszeniert "Kabale und Liebe" am Magdeburger Theater / Bejubelte Premiere Schauspielhaus schafft\'s: Es lebe Schiller!
Die Theater laufen in ihren "Kabale und Liebe"-Interpretationsbemühungen zu Höchstform auf. Oft vergeblich. Nicht so die Inszenierung von Jan Jochymski, die am Freitag im Magdeburger Schauspielhaus vom Publikum zu recht bejubelt wurde.
Magdeburg l Jochymski liefert unangestrengt, ohne modische Verballhornung einen Theaterabend, der es beweist: Schiller funktioniert auch im 21. Jahrhundert.
Das beginnt mit einer klugen Strichfassung (Dramaturgie Stefan Schnabel). Jochymski und sein Dramaturg lesen "Kabale und Liebe" nicht mehr unter dem Konflikt korrupter Adel - tugendhaftes Bürgertum. In dieser Inszenierung begegnen sich Ferdinand (Raimund Widra) und Luise (Katharina Schlothauer) als zwei selbstbewusste junge Menschen auf Augenhöhe. Die Liebe reißt sie zueinander und kraft schauspielerischer Imagination passt auch die exzentrische Sprache Schillers! Doch jenseits der Verliebtheit erreichen die Liebenden einander nicht. Ihre Lebensansprüche und -anschauungen sind es, die kollidieren.
Mit der Besetzung Raimund Widra und Katharina Schlothauer punktet das Regieteam absolut. Schauspielerisches Charisma, Glaubwürdigkeit und Gestaltungsvermögen bilden hier eine wunderbare Balance. Widra und Schlothauer zeigen Ferdinand und Luise als ein Paar, das zusammenzupassen scheint. Widras Ferdinand ist ein cooler Typ, der selbst im Aufbegehren ohne aggressive Attitüde auskommt, der auch in der Verzweiflung Form behält und dennoch als leidenschaftlich Liebender und Leidender überzeugt.
Katharina Schlothauer steht ihm in nichts nach. Mit Verstand, Kraft und Überzeugung formuliert sie als Luise in einem Moment ihren Widerstand und gibt ihn im nächsten in hinreißender Verliebtheit wieder auf. Luises Elend zeigt sie als innere Leere und Fühllosigkeit. Schlothauer vermeidet jegliche Larmoyanz. Sie wirkt absolut authentisch; atemberaubend die berühmte Briefszene, die zu den emotionalen Höhepunkten der Aufführung zählt.
Flankiert wird das Paar von zwei Vätern, die beide auf ihre Weise den Konflikt auslösen und befeuern, der Präsident (Silvio Hildebrandt) durch Brachialgewalt und Intrige, Miller (Axel Strothmann) durch vereinnahmende Liebe. Es ist sicher kein Zufall, dass sich die beiden Darsteller in Alter und Habitus ähneln und als Persönlichkeit besonders durch Sprachgewalt überzeugen.
Der Präsident kämpft nicht allein, ihm zur Seite stehen Wurm und der Hofmarschall von Kalb. Michael Ruchter als Kalb meidet jegliche Albernheit. Er zeigt dessen Degeneration als soziales Phänomen, nicht als Dummheit. Peter Weiss gibt einen Wurm, dessen skrupelloses Handeln aus Erfolglosigkeit und Verklemmtheit kommt.
Unklar in diesem Ränkespiel bleibt die Rolle der Lady Milford. Marlène Meyer-Dunker spielt sie mit Dynamik als forsche, hinterhältige, wenig souveräne Frau, der man den Bruch mit dem Herzog nicht glaubt.
Der Figur der Millerin fügt die Regie der traditionellen Sicht nichts Neues hinzu. Sie ist, gekonnt von Michaela Winterstein vorgeführt, eine eitle, selbstverliebte, etwas jämmerliche Frau.
Die Bühne von Peter Scior präsentiert sich denkbar einfach, nämlich leer. Ein riesiger fahrbarer Laufsteg bildet das einzige Ausstattungsstück. Die Regie setzt ganz auf die Beziehung zwischen den Figuren. Aber an markanten Wendepunkten der Fabel wird diese minimalistische Ausstattung plötzlich zum theatralischen Ereignis. Die jeweiligen Darsteller stürmen mit diesem Podest in rasendem Tempo im Kreis über die Bühne, untermalt von hämmernder Musik (Sven Springer), ehe sie mit einem Lichtwechsel wieder in die Szene einsteigen. Bis hin zum Schlusstableau mit dem toten Liebespaar als Reminiszenz an Romeo und Julia gelingen der Regie immer wieder überzeugende und großartige Bilder. Niemals versinkt die Aufführung in platten Realismus. Und das muss man auch über die Kostüme (Christiane Hercher) sagen.
Das Magdeburger Schauspiel hat es geschafft: Schiller ist tot! Es lebe Schiller!
Nächste Aufführungen: 24. und 27. Oktober jeweils 19.30 Uhr