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Magdeburger Theater an der Angel wird heute 20 und hat seit zehn Jahren eine eigene Spielstätte Unbändige Energie für Bühnen-Abenteuer

Von Grit Warnat 09.11.2011, 05:24

Das Theater an der Angel ist Kult und als Privattheater etwas Besonderes in der Kulturlandschaft Sachsen-Anhalts. Ines Lacroix und Matthias Engel haben es heute vor 20 Jahren gegründet.

Magdeburg l Wenn abends die Lichter im Eingang der Villa in der Zollstraße 19 stimmungsvoll den Weg zeigen und Axel "Aki" Rüther mit gewitzt-charmanten Worten um die Karten bittet, treten die Gäste ein in eine Theaterwelt der besonderen Art.

Hier in der Zuckschwerdtschen Villa atmet die Zeit in jedem Winkel. Hier ist der Putz nicht besonders schön anzusehen, das Inventar besteht aus Geschenken von Gästen und dem Sperrmüll Entrissenem. Die beiden Theaterchefs Ines Lacroix (50) und Matthias Engel (48) finden das, was keiner mehr braucht. Sie haben dabei ein glückliches Händchen, wie nicht nur die rotgeplüschten Stühle aus dem Oli-Kino zeigen. Die Stammgäste lieben dieses vermeintlich Unfertige und Alte.

"Wenn Anna Blume durch die Tür geht, ist das wie ein Auftritt von Heidi Kabel."

Matthias Engel

Aber vor allem wird Theater gespielt. Volkstheater. Hier wird unterhalten.

Matthias Engel: "Wir wollen nicht die Welt verändern. Das ist nicht unsere Aufgabe." Und: "Wenn Ines als Anna Blume durch die Tür geht, ist das wie ein Auftritt von Heidi Kabel."

Ines Lacroix: "Schlechtes Beispiel."

Matthias Engel: "Finde ich überhaupt nicht. Sie hat sich durch ihre Person an die Leute herangespielt, und die wussten, sie ist ein Mensch wie ich und du. Das wollen auch wir sein."

2002 gab es die erste Anna-Blume-Inszenierung. Im Jahr zuvor, genau am 9. November 2001, bei einer Esterhazy-Aufführung verkündeten die beiden: "Wir bleiben hier in diesem Haus." Zehn Jahre ist die altehrwürdige Villa auf dem Werder das theatrale Zuhause von Lacroix und Engel. Jährlich begrüßen sie 20000 Besucher. 22 Stücke wurden bisher gespielt und elf Sommertheater. Auf vieles sind sie stolz, natürlich auch auf die drei Inszenierungen von Star-Regisseur Andreas Kriegenburg.

Wenn heute Geburtstag gefeiert wird (die Vorstellung ist ausverkauft, ab 21.30 Uhr steht das Haus offen für alle zum Tanz und Schwatz), blicken beide zurück auf die Anfänge. Sie waren Puppenspieler am Magdeburger Puppentheater. "Ende 1990 habe ich den Probenraum von Matti kennengelernt, in einem Hinterhof hier in der Zollstraße." Ines Lacroix schwelgt in Erinnerungen. Verrückte Zeit, sagt Matthias Engel. Beide begannen damals, nebenberuflich Theater zu spielen.

"Die Energie bekommt man abends vom Publikum zurück."

Matthias Engel

Sie sind mit ihrem Zwei-Mann-Theater durchs Land gereist, haben auf Straßen und Plätzen gespielt, auch viel im Ausland, waren bis Spanien, Italien, Österreich unterwegs. Es war eine Art Tourneetheater, das den meisten Magdeburgern gar kein Begriff war.

Damals hießen sie schon Theater an der Angel, ein Name, an dem eine selbstgebastelte Postkarte "schuld" war - mit ihr als Nixe an der Elbe und ihm als Fischer. Freunde, die antworteten, schrieben an das Angeltheater.

Zehn Jahre später waren "die Angler" freischaffend, nicht ohne Angst vor der Zukunft und einer Unsicherheit, die bis heute existent ist . Mit Ideen und Mut und jeder Menge Idealismus zogen sie ein in die Villa in der Zollstraße.

Dieser Wunsch nach einer eigenen Spielstätte sei schon lange dagewesen, meint die gelernte Kunsterzieherin, Puppenspielerin und Schauspielerin und erzählt vom Oli, das Mitte der 90er Jahre zumachte. Sie schraubten die Stühle raus. 5 Mark pro Stück. Ein Abverkauf von der Ufa. Wohin damit? Beide hatten keine Ahnung. Aber vielleicht eine Vorahnung? Matthias Engel: "Jedes Jahr haben wir gesagt, wenn wir sie jetzt nicht aufbauen, dann werden sie verschenkt." Sie wurden nicht verschenkt, sie wurden die Sitze für das Publikum.

Von Anbeginn waren ihre Kinder, Eltern, Freunde mit dabei. Geprägt wurden sie von Peter Wittig und Therese Thomaschke. Die große, engagierte Theaterfamilie sah die Verrücktheit der beiden, auch die Abenteuerlichkeit, vor allem aber zwei, die etwas anpackten - und an das Abenteuer Theater glaubten. Positiver Wahnsinn.

Wahnsinn auch, weil beide alles sind: Buchhalter, künstlerische Ideengeber, Bühnenbauer. Die Theaterpersonage vereint auf wenige Menschen. Ines Lacroix erinnert sich an die FLUSSBETTleroper, das Sommerstück 2004, es war heiß und das Flussbett ausgetrocknet. Um das Stück spielen zu können, brauchten sie Wasser, so dass sie am Tage mit Eimern den Schlamm aufs Floß geschaufelt haben, damit auf die Elbe fuhren und abluden. Die ersten Tage haben die Kollegen mitgemacht. Später nicht mehr.

Ist da nicht die Sehnsucht, sich um all das nicht kümmern zu müssen, einfach nur als Schauspieler auf die Bühne zu gehen?

"Nein", sagt Matthias Engel entschieden. "So, wie die Dinge bei uns entstehen, sind sie mir auch wichtig." Aufbauen, Abbauen, Umbauen, Requisiten besorgen, den Garten pflegen, den Hof fegen. "Der Höhepunkt des Tages ist die Vorstellung, eine Art Belohnung. Die Energie, die man am Tag verbraucht hat, bekommt man abends vom Publikum zurück. Das ist großartig. Ich glaube, das ist an einem anderen Haus schwer zu erleben."

Diese Leidenschaft fürs Bühnenspiel, die familiäre Atmosphäre, diese Aufmerksamkeit, die den Gästen entgegengebracht wird, wird vom Publikum geschätzt. Es kommt immer wieder. Die Vorstellungen sind stets ausverkauft. Wie gut tut das?

"Mir tut das sehr gut", sagt Matthias Engel. "Das Adrenalin, was man braucht, um eine Geschichte zu erzählen und auch beim 100. Mal so zu erzählen, als wäre sie neu, das kommt nur durch die Zuschauer."

Das ausverkaufte Haus ist manchmal sehr beunruhigend.

Ines Lacroix

Seine Partnerin sieht es skeptischer: "Es ist manchmal sehr beunruhigend. Wenn eine Inszenierung noch nicht fertig ist, aber manche Abende schon ausverkauft sind, steigt der Druck nach Erfolg. Weil es den Gästen gefallen muss. Aber Kunst ist immer ein Experiment. Das kann auch mal schiefgehen. Ich habe vor einer Premiere nicht Lampenfieber, ob ich das bewältige, sondern ob wir mit dem Publikum zusammenkommen."

20 Jahre Theater. Das bedeutet nicht nur Freude. Es gab Tiefen, auch schon den Gedanken aufzugeben. Ein Tiefpunkt war das Sommertheater "Ballade von Garuma" im Magdeburger Stadion. Ines Lacroix: "Es geht einem sehr schlecht, wenn man sieht, dass Besucher mit der Pause die Vorstellung verlassen. Im Nachgang aber ist es eine wichtige Erfahrung, die über die nächste Hürde hinwegträgt."

Wenn Silvester nach "Dinner for one" die Gäste per Handschlag verabschiedet werden, sagt so mancher: Bleiben Sie uns noch lange erhalten. Ines Lacroix antwortet dann: "So lange sie durch diese Tür kommen, sind wir noch da."

Sie können sich nicht selbst erhalten, sagen beide. "Das Publikum muss uns finden."

Der Mietvertrag für die Villa läuft jetzt aus. Gespräche haben sie mit dem Besitzer geführt. Ihre Unterschriften wollen sie 2012 setzen - für weitere fünf Jahre.

Und vielleicht gibt es ja danach, wenn beide sich zurückziehen sollten, wieder zwei ein bisschen Verrückte und ineinander Verliebte.