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Theaterintendanten zum schwierigen Spagat zwischen Theaterpreisen und Besucherzahlen "Was wir brauchen, ist Augenmaß"

18.11.2011, 04:21

Der deutsche Bühnenverein hat die niedrigen Theaterpreise in Sachsen-Anhalt verteidigt. Bei bisherigen Preiserhöhungen seien auch Besucher weggeblieben, sagt Michael Kempchen, Intendant des Puppentheaters Magdeburg.

Magdeburg/Halberstadt (gw) l In Sachsen-Anhalt seien höhere Preise nicht durchsetzbar, sagte der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin, der Nachrichtenagentur dpa. Er bezog sich auf den Beitrag "Netter Preis\' auf Staatskosten", der am Dienstag in der Volksstimme erschienen war und die höchsten Theatersubventionen und die niedrigsten Kartenpreise thematisiert hatte. Und er sagte: "Wenn man die Preise um zehn Prozent erhöht und es kommen zehn Prozent weniger Menschen, dann ist das eine Milchmädchenrechnung."

"Der Erlös pro Eintrittskarte im Bundesvergleich ist unbefriedigend", sagt Michael Kempchen. Die Besucherauslastung des Hauses - derzeit zirka 98 Prozent - ist perfekt, sie lässt dem Haus aber auch keinen Spielraum mehr für eine Angebotsausweitung. Man sei gezwungen, ab Februar des kommenden Jahres die Eintrittspreise anzuheben. Kempchen: "Wir wissen, dass mit jeder Preiserhöhung Besucher wegbleiben." Er spricht vom schweren Spagat, weil es den öffentlichen Theatern schließlich auch gelingen müsse, den ihnen erteilten Auftrag einer kulturellen Grundversorgung zu erfüllen. Und dazu gehöre auch ein Angebot, das möglichst allen sozialen Gruppen den Zugang ermögliche.

2010 hatte das Puppentheater Magdeburg die Besuchermarke von 50000 geknackt, 30000 Gäste waren Kinder und Jugendliche. "Da muss eine Erhöhung der Kartenpreise wohlüberlegt sein."

"Wir wissen, dass mit jeder Preiserhöhung Besucher wegbleiben."

Michael Kempchen

Das Nordharzer Städtebundtheater Halberstadt, das um seinen Erhalt fürchten muss, weil sich die kommunalen Träger mit ihren Zuschüssen zurückziehen, zählt alljährlich 100000 Besucher, davon 27000 Kinder und Jugendliche. Intendant Johannes Rieger: "Man muss unterscheiden, ob ich bei einer lange ausverkauften Silvesterveranstaltung im Hause an der Preisschraube drehe oder an den Preisen für unsere Angebote für Kinder und Jugendliche. Wir haben auch einen Bildungsauftrag." Mit großen Preissprüngen nach oben, so befürchtet Rieger, könne "eine Menge kaputtgemacht werden".

Als selbstauferlegte Konsolidierungsmaßnahme hat das Haus bereits die Ticketpreise - außer für Kinder und Jugendliche - angehoben und wieder eine vor Jahren aufgehobene sogenannte Preisspreizung eingeführt. Das Musiktheater, Publikumsmagnet und mit einem höheren Produktionsaufwand verbunden, ist teurer als das Schauspiel. Man werde um eine stärkere Differenzierung nicht herumkommen, sagt Rieger.

"Wir wollen Publikum binden und haben als Marschroute, desto öfter man zu uns ins Haus kommt, desto günstiger wird es." Die Rechnung des Deutschen Bühnenvereins, dass bei höheren Eintrittspreisen weniger Besucher ins Haus kommen würden, kann Rieger noch nicht bestätigen. "Wir werden die Erfahrungen und Reaktionen jetzt sammeln und auswerten", sagt er. "Wir hätten auch nichts gekonnt, wenn wir die Preise erhöhen und alle Karten in einer Preiskategorie niedriger kaufen. Was wir brauchen, ist Augenmaß."

"Wir müssen ständig analysieren, was machbar ist."

Karen Stone

"Augenmaß" und "moderat" sind auch Worte, die Karen Stone, Generalintendantin des Theaters Magdeburg, nennt, wenn es um Preiserhöhungen geht. Magdeburg liege bei den Kartenpreisen durchschnittlich bei 19,50 Euro und damit fast gleichauf mit Niedersachsen. Für eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern habe das Theater extra die Familienkarte eingeführt. "Was wir dann weniger einnehmen, müssen wir kompensieren." Die Engländerin nennt es "Work in progress": "Wir müssen ständig anschauen und analysieren, was machbar ist. Es gibt Theater in der Welt, die haben an jedem Abend eine andere Preisstruktur. Ich denke, wir könnten hier auch mehr machen." Für ein großes Musical am Sonnabendabend, so sagt die Generalintendantin, wären Besucher sicher eher bereit, mehr Geld auszugeben als für ein wenig bekanntes Werk an einem Mittwochabend.

"Das ist möglich mit der Kraft einer Landeshauptstadt. Kollegen in den kleineren Städten haben es da viel schwieriger", sagt Stone.

Apropos kleinere Städte: Halberstadts Intendant hat sich in einem offenen Brief an Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados gewandt. Sie hatte in der Volksstimme die Frage geäußert, ob es denn auf dem Lande auch noch Theater geben müsse.

Rieger schreibt vom "Schlag ins Gesicht" der mehr als 14000 Menschen, die gerade mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Theaters kämpfen. Und er schreibt vom falschen Weg, zu kulturellem Kanniblismus aufzurufen, wenn "eigentlich die Suche nach zukunftsfähigen Optimierungen am jeweiligen Standort angezeigt wäre". Sein Theater erbringt einen Eigenanteil von 15,6 Prozent, Halle von 8 Prozent.